Wirtschaft, Wachstum, Wunderwelt?

07.10.2021

Das Geldvermögen der österreichischen Privathaushalte beträgt derzeit knapp 270 Milliarden Euro; damit liegt Frau/Herr Österreicher im europäischen Mittelfeld. Bei einer momentanen, jährlichen Inflation von ca. 3% (August 2020 bis August 2021) beträgt der reale Verlust des hart Ersparten Haushaltsvermögens ca. 8 Milliarden; Frau und Herr Österreicher fahren damit täglich(!) mit ihrem Sparguthaben einen Verlust von ca. 22 Millionen Euro ein.

"Beim Sparen will ich auf Nummer sicher gehen", wirbt eine namhafte inländische Bank; beim Klick auf den Button "Angebot" erfährt man, wie "Einfach", "Klassisch", "Sicher" funktioniert: Termin vereinbaren.

Keine Information, wieviel man in welchem Zeitraum für Spareinlagen tatsächlich bekommt.

"Einfach" Geld bei der Bank abgeben, "klassisch" sozusagen - und dann ganz "sicher" täglich Bares verlieren. Merkwürdige bzw. bemerkenswerte Werbung. "Das Raiffeisen Sparbuch - eine sichere Wahl". Ganz sicher. "Wir macht´s sicher", "bei uns dreht sich alles um´s möglich machen"; "Nicht der Einzelne verändert die Welt, sondern die Gemeinschaft, die stärker als alles andere ist. Das WIR, das füreinander sorgt und füreinander Mehrwert schafft - aus der Region für die Region und die Menschen, die darin leben" ... und das seit 1886.

Einen Hinweis auf Inflationäres sucht man vergebens; warum auch: Dafür ist ja nicht eine Bank verantwortlich, sondern die Finanzpolitik in Österreich, Europa, weltweit, wenn man so will.

Nun legt man z.B. € 50.000,00 auf ein Sparbuch (egal bei welcher Bank); derzeit gibt es ca. 0,1% Zinsen p.a. (€ 50,00) - abzüglich Spesen & Co folglich 0 (mit einem Wort: Null).

Rechnet man noch die Inflationsrate von derzeit ca. 3% p.a. ab oder hinzu, errechnet sich nach einem Jahr ein realer Verlust von € 1.500,00 - die Kaufkraft sinkt daher im Jahr um eben diese € 1.500,00; aus den € 50.000,00 werden binnen Jahresfrist € 48.500,00.

Eigentlich unfair, möchte man meinen.

Weit gefehlt: Das ist weder unfair noch wird die Sparsamkeit bestraft; es ist der eigenen Blödheit geschuldet, wenn man Geld nicht ausgibt, sondern spart.

Was früher ein Wert war, gilt heute als romantisches, weltfremdes Ignorieren der Realität. Der vielstrapazierte "Werteverlust der Gesellschaft" bekommt angesichts der realen Situation in der "Finanz- oder Bankenwelt" einen schalen Beigeschmack. "Nur Bares ist Wahres" klingt zwar immer noch ganz witzig, hat aber seine Bedeutung längst verloren.

Für die Generation 50 plus, vor allem aber für die noch älteren "Semester" war das Sparen tatsächlich noch ein "Wert", hatte Sinn, war Motivation, Antrieb und letztlich Lebensziel. Mein Vater ist heute über 80 Jahre alt, hat 45 Jahre gearbeitet, war sparsam und darf sich heute ansehen, wie sein "Erspartes" täglich weniger wert wird. So wie ihm geht es hunderttausenden Österreichern - sie dürfen, ohne Einfluss nehmen zu können (und nicht einmal kostenlos, sondern relativ teuer) zusehen, wie die dafür Verantwortlichen (Politiker, Bankmanager, Spekulanten an den Börsen, Frau Legarde oder sonstige, dubiose Gestalten) mit ihrem Vermögen umgehen, damit spekulieren, Geschäfte machen, die, ach so heilige, "Wirtschaft" anhimmeln, gleichsam anbeten und alles dem Verdikt des Wachstums derselben unterordnen.

Wirtschaft - Wachstum - Wunderwelt: Eine neue Form des www., des "World Wide Wahnsinns". Man darf sich also nicht wundern, wenn dieser Wahnsinn nicht nur Werte, sondern den Glauben daran zerstört, dass sich Arbeit lohnt um sich etwas ersparen (im Sinne von ansparen) zu können; abseits von Börsen, Spekulanten, waghalsigen Investitionen, riskanten Finanzgeschäften und -produkten - im sicheren Hafen des (noch) Überschaubaren - eventuell sogar bei der Hausbank vor Ort.

Diese Zeiten sind längst vorbei; wenn unser Finanzminister, Gernot Blümel, im Gefolge bzw. im Nachhall zum Weltwirtschaftsforum in Davos 2020, "dem Sparbuch den Kampf ansagt" (https://kurier.at/politik/inland/bildungsoffensive-bluemel-sagt-dem-sparbuch-den-kampf-an/401017202) kann selbst der dümmste Sparer Österreichs erkennen, für wie blöd man eigentlich gehalten oder verkauft wird. Scheinbar inspiriert vom "Stelldichein der Milliardäre" im schweizerischen Davos, wollte unser Gernot B. allen seinen österreichischen Sparern vor Augen führen, wie hanebüchen, himmelschreiend dumm sie eigentlich sind. Sie verstünden nichts von Wirtschaft, Finanz, den modernen Formen von Geldanlagen, litten diesbezüglich unter einem Bildungsdefizit, das es schnellstens zu beseitigen gelte.

Für alle, geistig minder bemittelten, Sparer Österreichs bedeutet das: Zumindest ein "Master of Science in Controlling and Financial Leadership" in Form eines berufs- oder pensionsbegleitenden Fernstudiums darf es schon sein; vielleicht auch ein bisschen mehr und etwas schneller: Fernstudien ohne Präsenz, 100% online, Master of Business Administration, flexible Studiendauer (14 - 36 Monate), alle Prüfungen ohne Voranmeldung - wann und wie Sie wollen; und das alles um schlappe € 8.900,00. Ein Schnäppchen, wenn man so will.

Hat jemand beispielsweise € 250.000,00 auf seiner "hohen Kante", verliert er derzeit jährlich - inflationsbedingt und noch dazu ohne Risiko - ca. € 7.500,00. Was sind dagegen schon zehntausend Euro (Kosten des Studiums, neuer, leistungsstarker Laptop, ein 5G-Internet-Vertrag a´la E. Köstinger, für die verbleibenden Lebensjahre etc.)? Investieren, nicht verlieren, meint der Minister für Finanzen also. "Sparen lohnt sich nicht, my darling" (oder so ähnlich) trällerte Siw Malmkvist bereits Mitte der Sechzigerjahre und war damit immerhin 24 Wochen die Nr. 1 in den deutschen Charts. "No risk, no fun", "das Leben ist kein Ponyhof" meint unser oberster, ministerieller Finanzexperte damit wohl - und Recht hat er (wie immer und am Ende).

Enkel, Urenkel, (Ur-) Omi und (Ur-) Opi im Spielfieber an diversen Börsen, eine Shoppingtour auf den Finanzmärkten; spekulierende Teenies und kein Risiko scheuende Zahnprothesenträger im Rausch der Renditen. Nicht mehr länger von der Hand in den Mund dahinvegetieren, sondern mit vollen Hosen die Finanzwelt erobern - das sei das Gebot der Stunde, ein gut gemeinter Insidertipp von einem, der es ja wissen muss, sitzt er doch (wenn auch nur in Österreich und mit unbestimmtem Ablaufdatum) in der Schaltzentrale alles Finanziellen im Zentrum der Bundeshauptstadt.

"Wirklich alle Teile der Gesellschaft sollen abgeholt werden", meinte Blümel; zur virtuellen Teilnahme am weltweit tätigen, monetären Karussell; eine, wenn man so will, Einladung zur exklusiven Teilnahme am Dreikäsehoch-Gambling oder den Einstieg ins financial seniors-Harakiri.

Diese Strategie sucht ihresgleichen; wozu benötigen aus der Arbeitswelt Ausgeschiedene, unproduktive Ruhegeldbezieher privates, brach herumliegendes, sich um seiner selbst willen monatlich vermehrendes, Kapital - und noch dazu in schwindelerregender Höhe? Mit ins Grab oder in die Urne nehmen können bzw. sollten oder dürfen (Art. 15 § 82b Nationalbankgesetz 1984) sie es ohnedies nicht; folglich gehört es auf den Markt, unter die Leute, in den Kreis der Wirtschaft ein- bzw. zurückgeführt. Aus, basta.

Wahlweise könnten sie (das gilt nur für die zahnprothesentragenden Krösusse und nicht die windeltragenden Finanzgenienachwuchshoffnungen) das Ersparte auch in einem der weltweit verstreuten, 43 Geschäftslokale der Casinos Austria AG, an den Mann oder die Frau bringen. Um seine (minimalen) Gewinnchancen zu optimieren sollte man sich vernünftiger Weise zumindest mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auseinandersetzen (dafür "spart" man sich aber das Online-Studium, den neuen Laptop ...); wer selbst diese Hürde nicht zu nehmen bereit ist, sich nicht mit der axiomatischen Begründung Andrej Kolmogorows beschäftigen will, kann es sich noch leichter machen: All-in-one, grandpa - the winner takes it all (oder auch nicht).

Eines steht aber selbst dann fest, sollte, abgesehen von leeren Hosentaschen, nichts dabei herausschauen bzw. übrigbleiben. Gernot B. wird - am Ende der Kette - mitverdienen (wenn auch nur als zuständiger Minister für das pekuniäre Wohlergehen der heimischen Republik) - aber immerhin und jedenfalls eine gute Tat aller spendierfreudigen Oldie-Zocker landauf landab.

Eines sollte dabei selbst der Leuchtstrahl-Yuppie aus der Johannesgasse 5 in 1010 Wien nicht vergessen - Frust und Zorn aller potenziellen Loser sind ihm sicher; das wird selbst dem abgebrühten Big Player spätestens dann nicht mehr einerlei sein, wenn sich zigtausende Gehstockträger samt weinenden Kleinkindern vor seiner homebase, allesamt auf "fluff up" getrimmt oder Krawall gebürstet, vorstellig werden. Spätestens dann wird unser elegant-geschliffener Philosoph vermutlich, seiner Lateinkenntnisse eingedenk, an Sueton denken, den römischen Schriftsteller und Verfasser der "Kaiserviten". Der soll, so weiß man, Kaiser Augustus (nach Bekanntwerden der bitteren Niederlage der römischen Armee in der Varusschlacht) zitiert haben: "Varus, Varus, gib mir meine Legionen zurück" (der Kaiser wusste scheinbar nicht, dass Varus nach der Niederlage Selbstmord begangen hatte).

Die Meute vor dem ministeriellen Gebäudeensemble "Questenbergpalais - Winterpalais des Prinzen Eugen - Bürgerspitalbad" wird nicht Legionen einfordern, sondern ihr Bares: "Gernot, Gernot, gib uns unsere Millionen zurück".

Blümel wird (nein, nicht das getan haben, was man jetzt aufgrund der Analogie annehmen könnte) zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr im Amt sein. Es wird ihn ein schicksalsträchtiger Kassandraruf aus der Wirtschaft ereilt haben - denn nirgends wäre er besser aufgehoben als dort, wo seine wahren Stärken und Tugenden am meisten gefragt und sinnstiftend-universell einsetzbar sind: Als Wirtschaftsphilosoph mit Tätigkeitsschwerpunkt Tautologie.

Was man sich darunter vorzustellen hat? Tautologien sind Aussagen, die, logisch betrachtet, immer wahr sind; d.h. im Umkehrschluss: Bei solchen Aussagen liegt man immer richtig, verbreitet nichts Unwahres, kann sohin auch nicht einer Lüge bezichtigt werden.

Beispiele: "In der Krise funktionieren viele Dinge nicht. Deswegen heißt es ja Krise"; oder: "Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen".

Jetzt könnte jemand behaupten, dass Tautologien, zumal ohnedies selbsterklärend, folglich vollkommen sinn- und nutzlos sind. Dem kann angesichts dessen, dass auch dieser Vorhalt eine Tautologie darstellt, nicht widersprochen werden. Solche Aussagen (Tautologien) sind allenfalls sprachtheoretisch interessant, wissenschaftlicher Auseinandersetzung zugänglich, semantischer Klamauk, wenn man so will.

Blümel & Co leben aber davon bzw. überleben damit politisch. Laufend etwas und gleichzeitig nichts zu sagen - die hohe Kunst des Sinnlosen, Sinnentleerten, nutzlos Nützlichen; dieser Kunst frönen türkise Prinzen, wie Prinzessinnen gleichermaßen. "Idem per idem" (dasselbe durch dasselbe) ist ihrer DNA nicht fremd.

Vor dem Hintergrund dieser Gegebenheiten gliche es einem Wunder, träten nicht der eine, oder die andere, Türkise alsbald als reinkarniertes Sprachrohr des delphischen Orakels auf. Mehrdeutige, auslegungsbedürftige, kryptische Weissagungen in der Abart absurder Prognosen, sind der türkisen Elite ebenso vertraut.

Chr. Brugger

07/10/2021