Was verbindet Politiker, Fußball und Reinhard Haller?
An den Iden des März dieses Jahres teilte Kanzler Kurz der Nation mit, Österreich stünde vor der größten Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg; ähnlich hat es die deutsche Bundeskanzlerin anlässlich einer Rede an die Nation am 18.03.2020 formuliert: "Deswegen lassen Sie mich sagen: Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst. Seit der deutschen Einheit, nein, seit dem zweiten Weltkrieg, gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames, solidarisches Handeln ankommt".
Während sich die politisch Verantwortlichen in Österreich und Deutschland, was die Korrelation zwischen Corona-Pandemie und kriegerischen Auseinandersetzungen betrifft, mit der auf Ähnlichkeit beruhenden Wortfigur des Vergleiches begnügen, klingt das andernorts schon etwas martialischer.
Einen Tag vor Merkel hat der französische Staatspräsident Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron seiner Bevölkerung, nach den Klängen des Kriegsliedes für die Rheinarmee ("Marseillese") via Fernsehansprache zur Kenntnis gebracht, dass sich La Grande Nation im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind befände.
Christophe Castaner, mit der Leitung des wichtigsten Kabinettressorts in der französischen Regierung, dem Innenministerium, betraut, folgte Macron nacheilend gehorsam: "Dieser Krieg muss alle französischen Bürger mobilisieren. In diesem Krieg trägt jeder Verantwortung." Zur Kontrolle der verhängten Ausgangssperre würden die Armee und ca. 100.000 Polizisten zum Einsatz kommen; die französische Luftwaffe sei für die Verlegung von Patienten aus überlasteten Universitätskliniken zuständig; im Elsass würde ein Feldkrankenhaus der Armee mit Intensivbetten errichtet. Ab dem 17.03.2020 hat Frankreich jedenfalls seine Streitkräfte auf den Einsatz vorbereitet, mobilgemacht; es war allerdings nicht ganz klar, ob der Anlass ein Angriffs- oder Verteidigungskrieg sein würde.
In Österreich gestaltete sich das Ganze etwas moderater; die zuständigen Ministerinnen Elisabeth Köstinger (Zivildienst) und Klaudia Tanner (Miliz) ließen die Bevölkerung am 17.03.2020 anlässlich einer Pressekonferenz wissen, dass es erstmalig zu einer Mobilmachung der Miliz (ca. 3.000 Mann von Jägerkompanien) sowie zu einer Reaktivierung von Zivildienern käme.
Nicht unerwartet begnügt sich der amerikanische Präsident weder mit einer Mobilmachung noch mit nur einem Krieg; er führt derzeit Krieg an mehreren Fronten.
Einen gegen den unbekannten Feind, der sich gewalttätig verbreite, das Coronavirus. "Es ist ein Krieg." Millionen Schülern richtet der Präsident medienwirksam aus, dass die USA Schlacht und Krieg gewinnen würden.
Die zweite Front hängt mit COVID-19 eng zusammen, der Propagandakrieg gegen China. Die USA behaupten, China hätte das Coronavirus aus einem Forschungslabor in Wuhan entkommen lassen, wofür es "enorme Beweise" gäbe. Die Beweislage aber ist löchrig; illegal abgehörte Telefongespräche unbekannter Chinesen, ein Papier der informellen Allianz der fünf UKUSA-Mitglieder USA, United Kingdom, Australien, Neuseeland und Kanada ("Five Eyes"), von dem nicht einmal die Echtheit bestätigt wird.
China seinerseits verstreut das Gerücht, US-Soldaten hätten das Coronavirus nach Wuhan importiert.
Die wechselseitigen Vorwürfe sind jedenfalls ohne Substrat, lenken nur von den eigentlichen Themen ab und rufen Erinnerungen an das Jahr zweitausenddrei hervor, das Jahr, in dem die USA mit Präsident George W. Bush behauptete, man hätte Beweise, dass sich Iraks Diktator Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen beschaffe. Die Einschätzungsfolgen dieser falschen Beweislage bzw. Annahme sind hinlänglich bekannt.
Mit einer dritte (Dauer-) Front hat Trump im nahen bzw. mittleren Osten zu tun; Syrien, Iran, die latente Sorge um das verbündete Israel, schiitische Milizen im Irak, die irakfreundlichen Hisbollah-Milizen im Libanon.
Trump, der sich in einer, ihm grundsätzlich fremden, aber durchaus über- und durchschaubaren, Selbstreflexion gewissermaßen als "Präsident in Kriegszeiten" betrachtet, unterscheidet sich damit, wenn es um Kriegsführung geht, nicht von seinen Vorgängern im Amt. Die Amtszeiten der letzten zwanzig US-amerikanischen Präsidenten haben ein gemeinsames Stigma: Alle Präsidenten der vergangenen 120 Jahre (vor Trump) führten Kriege. Dabei tanzt Trump auf dem internationalen Parkett jedenfalls ein einziges Mal nicht aus der Reihe.
Es stellt sich aber vor dem Hintergrund der skizzierten Situation die Frage, was das Coronavirus mit einem Krieg zu tun haben soll. Bei Kriegen geht es, das war bisher meine Sichtweise, um einen mehr oder weniger organisierten Einsatz von Waffen und Gewalt um letztlich etwas zu erreichen. Folgt man der gängigen, breite Zustimmung findenden, Definition des Grafen von Clausewitz im posthum veröffentlichen Buch "Vom Kriege", dann liest sich das so: "Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.". Diese Festlegung wird im ersten Teil, erstes Kapitel, Abschnitt vierundzwanzig, noch präzisiert:
"24. Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Was dem Kriege nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel. Daß die Richtungen und Absichten der Politik mit diesen Mitteln nicht in Widerspruch treten, das kann die Kriegskunst im allgemeinen und der Feldherr in jedem einzelnen Falle fordern, und dieser Anspruch ist wahrlich nicht gering; aber wie stark er auch in einzelnen Fällen auf die politischen Absichten zurückwirkt, so muß dies doch immer nur als eine Modifikation derselben gedacht werden, denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden."
Damit ist aber vollkommen klar, dass es gar keinen Krieg gegen das Coronavirus geben kann; aus mehreren Gründen, über die Rudolf Georg Adam (Cicero - Magazin für politische Kultur, 03.05.2020) sehr treffend schreibt: "Nichts schweißt stärker zusammen als die Abwehr eines gemeinsamen Feindes. Aber falsche Begriffe verführen zu falschen Taten, falsche Ansichten bewirken falsche Absichten; wer die Realität verkennt, kann nicht richtig handeln. Ein Virus lässt sich nicht zur Kapitulation zwingen. Kriege werden zwischen Staaten geführt. Die Infektion ist eine Bedrohung, die alle Staaten gleichermaßen trifft. Coronaviren waren und bleiben Teil unserer Umwelt, Teil der Natur. Einen Krieg gegen die Natur kann die Menschheit nur verlieren, weil sie Teil dieser Natur bleibt, und ihre Menschlichkeit verlöre sie gleich mit dazu. Die einzige Gegenwehr liegt in Impfung und wirksamer Therapie. Im Krieg läuft die industrielle Produktion auf Hochtouren - derzeit steht die Wirtschaft still. Der Krieg zerstört Infrastruktur, tötet Menschen um eines strategischen Ziels willen. Kein Krieg ohne Kriegsziel. Ein Virus hat weder Ziele noch Absichten. Ein Infekt hinterlässt keine materiellen Spuren und tötet zufällig. Der Krieg mobilisiert die Massen - heute sind sie gehalten, zu Hause zu bleiben: Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner darf hin! Die Kriegsmetaphorik verschleiert die Lage und verzerrt die Wahrnehmung."
Dass Donald Trump sich einer spröden, dummdreisten, Kriegsrhetorik bedient, ist keine große Überraschung; bei Macron mutet es schon eher befremdlich an. Dass sich aber auch vermeintlich kluge Leute bzw. solche, von denen man annehmen könnte, dass sie intellektuell dazu in der Lage sind, den Unterschied zwischen einem Krieg und einer Virusinfektion zu erkennen, dieser effektheischenden Rhetorik bedienen, ist mehr als merkwürdig. So hat beispielsweise der habilitierte Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychiatrie, Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller, anlässlich eines Interviews im ORF (Ö3) am 13.05.2020 die Meinung vertreten, für Ihn sei "Fußball nichts anderes als kultivierter Krieg".
Was den Grad der Krudelität der Aussage betrifft, überholt Haller, was nahezu undenkbar schien, mit seinem hinkenden Vergleich sogar einen Donald Trump. Krieg hat mit Fußball ungefähr genauso wenig zu tun wie das Coronavirus. Von einem "kultivierten Krieg" zu sprechen, ist nicht nur angesichts der Definition von Clausewitz ein Humbug. Das wäre beinahe so, als würde man von einem domestizierten Tsunami an der Leine oder einem Tornado in der (verschlossenen) Büchse der Pandora sprechen.
Chr. Brugger
14.05.2020