Was erlauben Nehammer?

24.10.2024

Altersbedingt kann ich durchaus behaupten, in diesem Land, auch wenn es nur um schnöde Parteipolitik geht, bereits relativ viel gesehen und erlebt zu haben; was sich allerdings in den letzten Tagen in Österreich abspielt, sucht seinesgleichen vergebens; es hat nicht bloß den Anschein, als würde eine (zumindest aus ihrem Selbstverständnis heraus recht elitäre und den Anspruch auf das Festlegen allgemeingültiger demokratischer Grundsätze erhebende) Clique den absolut untauglichen Versuch unternehmen, sich mit widerwärtigsten Methoden die Macht in diesem Land unter den Nagel reißen zu wollen.

Quelle: https://www.vienna.at/kanzler-match-niederlage-fur-nehammers-ovp-auswahl/8888467

Das Patentrezept der selbsternannten Hüter allen demokratischen Grundverständnisses ist, ihrem Intellekt entsprechend, ebenso billig wie einfach durchschaubar: Wenn das eigene Unvermögen nicht mehr ausreicht, unseren Machterhaltungstrieb ausreichend zu befriedigen, müssen wir eben zu härteren Bandagen greifen.

Wie jede "wohldurchdachte" Machterhaltungsstruktur hat auch die pathologisch anmutende Strategie der zuvor erwähnten Clique, die wiederum nichts anderes ist als ein übriggebliebenes Versatzstück aus einem Sammelsurium dekadenter Abgehoben- und Verschrobenheit, eine nicht minder, zum System passende, bizarre Vorgeschichte.

Aber der Reihe nach:

Es ist zweifelsfrei davon auszugehen, dass es sich bei der freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) nach wie vor um eine Partei i.S.d. Bestimmungen des Parteiengesetzes handelt, die allen rechtsstaatlichen Erfordernissen entspricht um als solche am gesamten parteipolitischen Parkett auftreten zu können. Um zu wissen, dass es sich bei der FPÖ um eine demokratisch legitimierte Partei handelt, bedarf es auch keiner sinnbefreiten Zurufe schwarzer "Kohlköpfe" zum Thema "Verfassungsbogen" – § 1 des Parteiengesetzes ist kein auslegungsbedürftiger "Gummiparagraph" sondern zweifelsfrei eine Verfassungsbestimmung, deren allfällige Interpretationsbedürftigkeit im Sinne der sog. "Versteinerungstheorie" ohnedies im wahrsten Sinn des Wortes in "Stein gemeißelt" wäre.

Quelle: https://www.sn.at/panorama/international/franz-vranitzky-sozialist-im-nadelstreif-5675974

Vom mittlerweile 87-jährigen Franz Vranitzky kann man etwas halten oder auch nicht – Tatsache ist aber, dass seine "Doktrin" (keine Koalition der SPÖ mit der FPÖ auf Bundesebene) seit 1986 die Republik insofern politisch lähmt und in "Geiselhaft" nimmt, als die SPÖ ihrem größten politischen Gegner zu einem demokratiepolitisch perversen "Regierungsmonopol" verholfen hat; Schüssel, Kurz, Schallenberg & Nehammer könnte man daher auch allesamt nur als Produkte einer krude anmutenden Animosität bezeichnen.

Nun, spätestens seit der Nationalratswahl 2024, haben sich in Österreich die politischen Machtverhältnisse verschoben; seit 1986 haben SPÖ und ÖVP gemeinsam von ihren damaligen 84,4% immerhin 36,89% verloren und ihre Nationalratsmandate von 157 auf 92 reduziert – eine Erfolgsgeschichte der ganz besonderen Art.

Neue Verhältnisse bedingen neue Überlegungen: Während die SPÖ seit Vranitzky an dessen Doktrin festhält, hat sich Karl Nehammer etwas ganz Besonderes überlegt: Unabhängig davon, wie Wahlen ausgehen, schließt er bereits im Vorhinein eine Zusammenarbeit mit dem Parteivorsitzenden der FPÖ aus; dasselbe gilt für die Grünen, solange Eleonore Gewessler ("der Kickl der Grünen") dort etwas zu sagen hat.

Wenn man also bei Wahlen nichts gewinnt, sondern immer nur verliert, erreicht man Macht mit Ausgrenzung – so klingt, in Anlehnung an Franz Vranitzky, also die Nehammer-Doktrin; nicht minder blöd wie jene der SPÖ und auch unter demokratischen Gesichtspunkten um keinen Deut besser.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Nehammer andere Parteien (FPÖ & Grüne) dazu nötigt, ihr Führungspersonal auszuwechseln, damit sie für ihn als Verhandlungspartner überhaupt in Frage kommen; blöd ist nur, dass man Nehammers persönliche Erfolgsgeschichte als Parteivorsitzender der ÖVP mühelos auf einem Blatt Papier der Größe DIN A10 unterbrächte, dem kleinsten Format, das das Deutsche Institut für Normung (DIN) zu bieten hat.

Der Parteivorsitzende Nehammer ist der mit Abstand erfolgloseste Chef der ÖVP; selbst Spindelegger & Pröll waren, was an ein Wunder grenzt, nicht erfolgloser als Nehammer.

Nehammer war es auch, der es bei der NR-Wahl 2024 zustande gebracht hat, nicht nur historisch das schlechteste Ergebnis der ÖVP zu erzielen, sondern auch noch mit einem weiteren "Rekord" (minus 11,19%) hinter der FPÖ am Boden der Realität aufzuschlagen.

Quelle: https://www.krone.at/3567375#fb-10555-zmmBFHIaeS

Und just dieser Herr Nehammer wurde nun vom Bundespräsidenten damit "beauftragt", sich an der Bildung einer Regierung zu versuchen; in diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, wie Alexander Van der Bellen der Idee verfallen kann, sich bemüßigt fühlen zu müssen, jemandem einen solchen Auftrag überhaupt zu erteilen?

Im gesamten heimischen Rechtsbestand (inkl. Bundesverfassung) ist weder von einem solchen Recht noch einem damit korrespondierenden Auftrag etwas zu lesen; missbraucht der Bundespräsident gar wissentlich sein Amt oder ist er einfach jemandem etwas schuldig oder zu etwas verpflichtet?

Was erlauben also Van der Bellen?

Einen solchen "Auftrag" zu erteilen ist im besten Fall eine übliche, allenfalls auch bewährte  "Usance"; wer aber die eine "Usance" für sich in Anspruch nimmt, andere, nicht minder übliche bzw. bewährte "Usancen" hingegen mit Füßen tritt, ist demokratiepolitisch zumindest fragwürdig.

Ist die eigenwillige "Beauftragung" Nehammers daher bloß Ausfluss Alexander Van der Bellens persönlicher Befindlichkeiten bzw. entspringt sie seinem eigenen Verständnis darüber, was hierzulande demokratisch ist oder eben nicht? Was das Volk will, ist sowohl Van der Bellen als auch Nehammer einerlei; die Botschaft an die rund 1,4 Millionen Wähler der FPÖ könnte deutlicher nicht sein: Überlegt euch, wen ihr beim nächsten Mal wählt; es steht aber fest, dass eure Stimmen solange nichts wert sein werden, bis die FPÖ tatsächlich (durch euch) die absolute Mehrheit erreicht hat.

Jeder echte Demokrat sollte sich daher an dieser Stelle einfach folgende Frage stellen: Warum befriedigt Alexander Van der Bellen, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gäbe, die mit beiden Händen greifbare Machtgelüste eines der erfolglosesten Politiker der zweiten Republik?

Quelle: https://www.abendzeitung-muenchen.de/sport/fcbayern/fc-bayern-muenchen-20-jahre-nach-der-wutrede-von-giovanni-trapattoni-art-435456

Wenn Nehammer noch über einen Funken Anstand oder ein Mindestmaß an Redlichkeit verfügt, muss er auf die bereits vereinbarten Gespräche mit der SPÖ verzichten und Van der Bellen mitteilen, dass er dessen Auftrag weder erfüllen kann noch will; das Spiel ist aus, Hr. Nehammer, sie haben nur den Abpfiff überhört.

Fußballaffinen Lesern wird vielleicht aufgefallen sein, dass sie den Titel dieses Artikels der legendären Wutrede Giovanni Trapattonis vom 10.03.1998 verdanken; Trapattonis "Strunz" wäre bei uns vermutlich jemand anderer – "schwach wie eine Flasche leer" ist aber doch ganz treffend; ich habe fertig ...

Chr. Brugger

24/10/2024