Was der „Westen“ lernen könnte

18.08.2021

Vermeintlich, andere Realitäten ignorierend, geht man im Westen unseres Planten davon aus, dass allein die hiesigen Ansichten, Haltungen, der Glaube an ein demokratisches Grundbedürfnis, säkularisierte Lebensumstände, die allumfassende Etablierung möglichst weitläufiger Grund- und Freiheitsrechte das allein Heilsbringende sei. Humanismus und Aufklärung haben dafür, neben anderen "Umständen", ganze Arbeit geleistet.

Was sich für "uns" gut anfühlt, richtig erscheint, folglich vom überwiegenden Anteil der Menschen in Europa, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland anerkannt wird, hat in den meisten anderen Gebieten der Erde weder allgemeine Gültig- oder Verbindlichkeit, weniger Bedeutung und vor allem keine basisdemokratische Akzeptanz.

Abgesehen von der (unsäglichen wie erfolglosen) russischen Invasion in Afghanistan, die mit der der nachfolgenden Besatzungsmächten nicht vergleichbar ist und ganz andere geopolitische, gesellschaftliche und sonstige Gründe hat, haben die hegemonialen Tendenzen der USA im Gefolge der Ereignisse vom 11.09.2001 dazu geführt, dass die Situation in Afghanistan derzeit so ist, wie sie ist. NATO, UNO und vor allem die EU haben dabei nichts unversucht gelassen, das subversiv-absurde Ansinnen diverser US-Regierungen vorbehaltlos zu unterstützen.

Spätestens nach dem Abzug aller russischen Truppen aus Afghanistan hätte man konstatieren müssen, dass man dieses Land weder militärisch noch gesellschaftspolitisch unterwerfen und mit westlichem Gedankengut, in der zuvor beschrieben Art, gleichsam infiltrieren, dem Land solcherart eine neue Struktur verordnen und mit amerikanisch-europäischem Gedankengut verändern kann. "Man" wusste es, wie fast immer, besser und hat damit über einen Zeitraum von ca. zwanzig Jahren alles falsch gemacht, was falsch zu machen war.

Es hätte nicht der nunmehrigen, neuerlichen, Machtübernahme durch die Taliban bedurft, um erkennen zu können, dass mit dieser Afghanistanpolitik, im wahrsten Sinn des Wortes, kein Staat zu machen ist.

Jetzt, nachträglich und im Angesicht der angerichteten, kollateralen Schäden, gibt man sich irgendwie geläutert, das eigene Versagen zu und räumt ein, in allen Belangen gescheitert zu sein.

(Quelle: https://www.nzz.ch - Stringer / EPA)

Nun (erst) beginnt man im "Westen" darüber nachzudenken, wie der Zivilbevölkerung im Land am Hindukusch geholfen werden könnte. Die ersten, wahrnehmbaren, Gedankensplitter geben Anlass dazu festzustellen, dass die USA und Europa absolut nichts aus ihren gravierenden Fehlleistungen gelernt haben bzw. die falschen Schlüsse aus der von ihnen verursachten Pleite ziehen. Sie treten mit einer menschenverachtenden bzw. Menschenleben verachtenden Präpotenz vor Kameras und Mikrofone, als wären sie die Gewinner der jahrzehntelang andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen. Wenn man wollte, könnte man das aufgeblasene Gehabe von Biden & Co gegenüber den nunmehrigen Machthabern in Afghanistan mit einer Umkehr der Verhandlungspositionen im Umfeld der österreichischen Staatsvertragsverhandlungen in Verbindung bringen - der (Kriegs-) Verlierer diktiert, entgegen dem Prinzip "the winner takes it all", die Vertragsbedingungen. Anders kann man die Diktionen, beispielsweise diejenige der EU-Außenminister, nicht interpretieren: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigt großspurig Gespräche mit den neuen Machthabern in Kabul an, um insbesondere eine Migrationskatastrophe, die von Experten übrigens gar nicht gesehen oder erwartet wird, und die Rückkehr ausländischer Terrorgruppen nach Afghanistan zu verhindern. "Die Taliban hätten schließlich den Krieg gewonnen, deshalb werde man mit ihnen reden müssen".

"Zu einem Dialog sei die EU laut einer gemeinsamen Erklärung aber nur dann bereit, wenn es zu einer friedlichen Machtübergabe komme und die Islamisten die Grundrechte aller Menschen in Afghanistan respektierten, vor allem die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten.", heißt es.

Mit schlechteren Karten, die man sich, einmal mehr, selbst bzw. hauseigener, rotzfrecher Präpotenz, zuzuschreiben hat, könnte man, selbst wenn man es unbedingt wollte, gar nicht in einen, noch dazu einseitig gewünschten, Dialog einzutreten versuchen. Grundbedingungen, noch dazu in einem mehr als sensiblen Bereich (zumindest im Land der Verhandlungspartner) muten als Eintrittskarte für einen armseligen Bittsteller, (Kriegs-) Verlierer mit "leeren Händen" und einem großen Sack, gefüllt mit Anliegen, am Rücken, doch eher befremdlich und merkwürdig an. Der Chefdiplomat aller Europäer wird froh sein können, wenn er afghanischen Boden, auf den Knien rutschend und prall gefüllten Geldkoffern im Gepäck, überhaupt betreten darf. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall und ebenso vor der Demut. Letztere werden Borrell & Co aber sicherlich noch (kennen) lernen.

(Quelle: https://www.nzz.ch - Stringer / EPA)

Kurz und Schallenberg würden dieses "Problem" diplomatisch, auf ihre bewährte Art, lösen. Sie würden die Taliban-Regierungsriege nach Österreich einladen und zum Zeichen der Solidarität mit allen Afghanen am Objekt mit der Geschäftsanschrift Ballhausplatz 2, 1010 Wien, die Flagge der präsidentiellen Republik Afghanistan hissen.

Schallenberg und Nehammer könnten diesen Staatsbesuch zum Anlass nehmen, alle abzuschiebenden Afghanen dem hohen Besuch aus dem Osten, sozusagen als morgendliche Gabe, als "Handgepäck", auf die Heimreise mitzuschicken. Damit wäre auch das leidige Thema "Abschiebung von Afghanen" vom Tisch; N./S. müssten sich nicht länger für ihr starr-stupides wie rechtswidriges Verhalten öffentlich verunglimpfen und schelten lassen - alles wäre bestens, alle zufrieden und Österreich wieder einmal Vorreiter auf heiklem Terrain.

Noch ein Tipp für Kurz & Co: Ich würde den Taliban-Anführern ein Geschenk der besonderen Art zukommen lassen. Einen edlen Lipizzaner aus der hauseigenen Pferdemanufaktur "Hofreitschule". Der Grund dafür ist leicht erklärbar. Buzkashi ist der Lieblingssport der Afghanen und als Preis für den Sieger bei diesem Wettbewerb wird des Öfteren ein Pferd ausgelobt. Ein Lipizzaner mehr oder weniger fällt in Österreich nicht großartig auf; für die Taliban wäre es hingegen ein sehr stolzer, willkommener Preis; Gastfreundschaft verbindet, wie man weiß; darüber hinaus haben auch schon andere Lipizzaner das Land in Richtung Osten und Westen verlassen; erinnert sei u.a. an "Maestoso Blanca" und, zuletzt, Neapolitano Theodorosta".

(Quelle: https://derstandard.at - Foto: APA/Fohringer)

Was für Präsidenten und Prinzen recht und billig ist, kann für einen Taliban nicht wertvoll genug sein. Kritiker von Gastgeschenken würden in diesem ganz besonderen Anlassfall ganz sicher verstehen, wie diplomatisch sinnvoll ein solches Präsent doch wäre.

 

Chr. Brugger

18.08.2021