Verfassungsdienst seit Monaten „außer Dienst“?

20.01.2021

Wenn man sich die Fülle der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes in den vergangenen Monaten zum Thema COVID-19 ansieht bzw. durchliest, verdichtet sich mehr und mehr der Anschein, als wäre der Verfassungsdienst der Republik seit längerem nicht mehr im "Dienst", befände sich in einem "Dornröschenschlaf".

Im Bereich seines Aufgabenbereiches sollte der Verfassungsdienst u.a. als "Rechtsgutachter des Bundes" tätig sein.

Unter https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/verfassung.html kann man dazu lesen:

"Rechtsgutachter des Bundes

Der Verfassungsdienst übt umfangreiche Gutachtertätigkeiten aus. So werden sämtliche Gesetzes- und Verordnungsentwürfe aus anderen Bundesministerien auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht, einschließlich der Grundrechte, begutachtet.

Gleichzeitig beurteilt der Verfassungsdienst auch legistische Fragestellungen wie Rechtssprache, Rechtstechnik und formelle Gestaltung zur Wahrung der Einheitlichkeit der Gesetzgebung. Ebenso werden Landesgesetzentwürfe beziehungsweise Gesetzesbeschlüsse der Landtage geprüft.

Außerdem können von allen öffentlichen Dienststellen Gutachten beim Verfassungsdienst zu Verfassungsfragen und sonst zum Wirkungsbereich des Verfassungsdienstes zählenden Rechtsfragen eingeholt werden."

Nun hat der Verfassungsgerichtshof, mit angemessen kurzer Latenzzeit, zahlreiche Gesetze und Verordnungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie als verfassungswidrig aufgehoben.

Evidentes Problem dabei ist immer wieder, dass die vom VfGH zu überprüfenden Rechtsakte (Gesetze und Verordnungen) im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Höchstgericht bereits wieder außer Kraft sind; die Rechtswidrigkeit wird zwar festgestellt - die (erfolgreich) angefochtenen Regelungsinhalte sind aber gar nicht mehr anzuwenden, sondern meistens bereits durch neue ersetzt (die allenfalls wieder rechtswidrig sind).

Diese, naturgemäß erst nachträglich mögliche, Prüfung durch den VfGH ändert dennoch nichts am grundlegenden Problem, dass man ganz offensichtlich im Rechtsstaat Österreich nicht mehr in der Lage oder willens ist, verfassungskonforme Gesetze und Verordnungen zu "produzieren".

Dafür gibt es mE nur zwei plausible Gründe:

  • Es fehlt die fachliche Kompetenz in den einzelnen Ministerien, speziell aber im Verfassungsdienst. Legistik und Rechtstechnik sind scheinbar unbekannte Termini, verfassungsrechtlich geschützte Rechte sind nicht bekannt bzw. werden der Einfachheit halber ignoriert.
  • Die verfassungswidrigen Rechtsakte werden, im Sinne von längst getroffenen politischen Entscheidungen, ganz bewusst "produziert", um sie zu einem späteren Zeitpunkt entsprechend zu ändern.
  • Der Verfassungsdienst hat als "Rechtsgutachter" seine Tätigkeit faktisch eingestellt bzw. nimmt sie weder ausreichend wahr noch ernst.

Welche Ursachen es für die Fülle an rechtswidrigen gesetzgeberischen Akten in den letzten Monaten auch geben mag: Faktum ist, dass man von der Bevölkerung verlangt, sich an rechts- und/oder verfassungswidrige Normen zu halten, die bereits auf den "ersten Blick" hin als solche erkennbar sind. Obwohl immer wieder nicht nur namhafte Verfassungsjuristen vor solchen legistischen "Entgleisungen" warnen, ändert sich an der Vorgangsweise nichts. Man hält daran fest, ungeniert Gesetze und Verordnungen "aus dem Hut" zu zaubern, die augenfällig einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht Stand halten.

Am Ende eines solchen "Prozesses" (wenn rechts- und verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen zur Gewohnheit geworden sind) muss man sich mE zumindest die Frage stellen dürfen: Wer ist dafür verantwortlich?

Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten. Der Verfassungsdienst ist als eigene Sektion im Bundeskanzleramt angesiedelt. Aus dem Organigramm des Bundeskanzleramtes ist ersichtlich, dass die Sektionen IV (EU, Internationales und Grundsatzfragen) und V (Verfassungsdienst) in das Ressort der Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler fallen.

Damit ist klar: Für die bestehenden Zustände im beschriebenen Bereich ist vorrangig Ministerin Edtstadler, in letzter Konsequenz aber selbstverständlich auch Bundeskanzler Kurz verantwortlich. An ihnen wird es liegen, die vorhandenen Missstände zeitnah zu beenden. Das ist, sollte der (politische) Wille dazu vorhanden sein, nicht sonderlich schwierig.

Chr. Brugger

20.01.2021