Über die Schönheit

14.06.2024

Was wurde über "Schönheit" in den letzten Jahrhunderten nicht alles geschrieben; verallgemeinerungsfähig ist dieses attributiv konnotierte Nomen dennoch nicht – subjektives Empfinden befindet darüber, objektive Maßstäbe gibt es nicht.

Quelle: https://www.listal.com/viewimage/11582941

Besonders bizarr wird es allerdings, wenn diese Wertung nicht, wie sonst üblich, mit Kunstwerken, Menschen oder dinglichen Erscheinungen in Verbindung gebracht wird, sondern mit einem Gesetzestext – dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG).

Nun frage ich mich, was am B-VG schön, wunderschön oder gar elegant sein soll; Verfassungen haben es so an sich, nur den organisatorischen Aufbau eines Staatsgebildes abzubilden, die Machtauf- bzw. -verteilung zu regeln und die Staatsform festzulegen; eine Verfassung mag zweckmäßig oder notwendig sein, mehr aber auch nicht.

Ehe man sich eines nebulosen Werturteils bedient, sollte die Frage im Vordergrund stehen, ob sich nicht die Realität vom ursprünglichen Text der Verfassung bereits so weit entfernt hat ("Verfassungswirklichkeit"), dass Handlungsbedarf bestünde oder zumindest ein neuer bzw. neutral-realistischer Befund fällig wäre.

Quelle: https://www.singulart.com/de/blog/2018/08/14/die-sternennacht-von-vincent-van-gogh/

Wenn man sich etwas genauer ansieht, wie es um die "Grundpfeiler" des heimischen Staatsgebildes bestellt ist, könnte man zur Ansicht gelangen, Verfassungsanspruch und dazu korrespondierende Wirklichkeit hätten erheblich weniger miteinander zu tun, als es laufend vorgegaukelt wird.

Es war mE schon vor mehr als 100 Jahren keine "Königsidee", die operative Staatsmacht ausschließlich politischen Parteien zu überantworten; in der Retrospektive bzw. vor dem Hintergrund der derzeitigen parteipolitischen Akteure leidet die Verfassung daher zweifelsfrei an einem sogenannten "Wurzelmangel"; wenn man so will ist Hans Kelsen daher insofern einem fatalen Irrtum erlegen: Er hat sowohl die Seriosität als auch die Redlichkeit politischer Akteure heillos-fatal über-, prognostisch aber deren Bereitschaft zum Missbrauch seines gut gemeinten Ansatzes völlig unterschätzt.

Es mag zwar, wohlgemerkt rein formal, das Recht vom Volk ausgehen; die faktische Staatsmacht befindet sich aber mittlerweile routinemäßig in den Händen solcher, die sie unverblümt wie unverschämt dafür benutzen, sowohl den eigenen als auch den Vorteil ihrer Parteigenossen zu maximieren – all das im Namen und auf Kosten des Volkes.

Quelle: https://www.imperiodefamosas.com/Fotos/Emilie_Payet/Emilie_Payet_035.jpg

Was soll daran "wunderschön" sein?

Wie ein Spinnennetz überwuchert der Einfluss politischer Parteien alle wesentlichen Bereiche des öffentlichen Lebens; die gesamte Verwaltung von Bund, Ländern und Gemeinden befindet sich im ausschließlichen Einflussbereich der "Politik"; dasselbe gilt für den öffentlichen Rundfunk, sämtliche Bildungseinrichtungen (Universitäten, Hochschulen, Schulen) oder auch die Sozialpartnerschaft; von der Raumpflegerin bis zum Spitzenbeamten, vom Schulleiter bis zum Rektor – überall haben politische Parteien ihre Finder im Spiel.

Auch vor der "unabhängigen" Justiz macht der parteiliche Einfluss keinen Halt; die wichtigsten wie maßgeblichen Positionen in allen Gerichten und Strafverfolgungsbehörden werden exklusiv von Parteien besetzt.

Von all diesen Positionen und Funktionen sind defacto diejenigen Bürger ausgeschlossen, die sich zu keiner politischen Partei bekennen – und das unabhängig bzw. losgelöst von ihrer jeweiligen Qualifikation.

Was daran "elegant" sein soll, verstehe ich nicht …

Was dieses "verfassungskonforme" System an Schaden anrichtet und für jeden einzelnen, parteilosen Staatsbürger bedeutet, kann man sich in Teilen der Justiz, speziell aber in der Verwaltung täglich "live" ansehen; es hat nicht bloß den Anschein, als würden in den höchsten Funktionen just die Allerungeeignetsten das Sagen haben; die negative Selektion wirkt insofern nicht, wie üblich, nach unten, sondern bis in lichte Höhen; die Unfähigsten spült es hinauf, wohingegen die besten "Köpfe" mangels Parteizugehörigkeit ausgeschlossen bleiben.

Dass das "schön" ist oder gar geplant gewesen sein soll, bezweifle ich …

Quelle: https://www.meisterdrucke.com/kunstdrucke/Tiziano-Vecelli/708994/Allegorie-der-Klugheit%2C-c1565-1570..html

Dank unserer "wunderschön-egelganten" Verfassung genießen bei uns in Österreich bloß jene ca. 800.000(!) Mitglieder politischer Parteien das Privileg, die Staatsmacht unter sich aufteilen zu können – dem Rest, also dem "einfachen Wahlvolk", bleibt der Weg an die Hebel der Macht zeitlebens verwehrt; das Schicksal Österreichs liegt sohin in den Händen von Parteigängern, die ihrerseits wiederum jeweils dem Statut ihrer Gesinnungsgenossenschaft unterliegen; aufsummiert bedeutet das, dass die absolute "Volksverfassungsmehrheit" mangels Parteizughörigkeit hierzulande politisch nichts zu sagen und keinen wie immer gearteten Einfluss darauf hat, wie sie verwaltet oder justiziell behandelt wird.

Nüchtern betrachtet ist die Herrschaft des Volkes, sohin die Demokratie, auch in Österreich ein welkes Feigenblatt, das bloß die Machtgelüste all jener Entarteten verhüllen soll, die in ihren jeweiligen parteilichen Funktionen machtmissbrauchend über das eigene Volk herfallen und heuschreckengleich zur Landplage mutiert sind.

Im Lichte dieser grellen Tatsachen ist die Wortfolge "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus" nicht einmal die mehr jene Druckerschwärzte wert, mit der sie vor mehr als 100 Jahren geschrieben wurde.

Das Recht geht nahezu ausschließlich von parteigesteuerten Ministerien aus; durch den absolutistisch-notorischen Klubzwang sind National- wie Bundesrat zu einer willfährigen Claqueur-Versammlungen verkommen, unterbelichteten Dunkelkammern also, in denen sich speichelleckende Marionetten herumtrollen.

Wer dieses Szenario mit "wunderschön" und "elegant" umschreibt, kann nicht Herr/Frau seiner/ihrer Sinne sein!

Nüchtern betrachtet leben auch wir Österreicher mittlerweile in einer Diktatur, die sich von einer Diktatur im ursprünglichen Sinn nur noch dadurch unterscheidet, dass an den Hebeln der Macht tendenziell die Dümmsten und nicht die Gewalttätigsten sitzen.

Quelle: https://i0.wp.com/www.mateamargo.org.uy/wp-content/uploads/2019/03/blindfolded-2025474_1280.png?fit=1202%2C1280&ssl=1

Das "hehre" Prinzip der Gewaltenteilung hat sich vor dem Hintergrund der Verfassungswirklichkeit längst in Luft aufgelöst; diejenigen, die Gesetze zu vollziehen haben, schaffen sich eben dieselben gleich selbst; die Justiz wurde & wird gnadenlos parteilich unterwandert; Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, kann sich bedanken – sie ist nur noch auf einem Auge blind.

"Echte" Demokraten werden nun sagen, zumindest das Recht ginge wahlbedingt vom Volk aus – selbst diese Ansicht kann ich nicht teilen; erstens haben wir insofern keine Wahlmöglichkeit, als wir nicht wählen können, wen & was wir wollen; zweitens verweigert nahezu die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Stimmabgabe; sie lehnen aus guten Gründen alle Wahlmöglichkeiten ab – wer schweigt, stimmt nicht, wie irrigerweise angenommen wird, zu (sonst hätte er ja seine Stimme abgegeben).

Selbst wenn man aus "Protest" wählt, kann man sich nur für eine wahlwerbende Partei, die ebenfalls abgelehnt wird, entscheiden; "Protest" ist daher selbst im besten Fall nicht mehr als der Zwang zum vermeintlich kleinsten Übel, der untaugliche Versuch einer quasidemokratischen Nötigung also.

Manch jubilierender Autor des Lesebuchs "100 Jahre Verfassung" sollte daher darüber nachdenken, wie ernst er es tatsächlich gemeint hat, zur Stimmgewalt der Verfassungshuldiger ein Scherflein beigetragen zu haben – und wenn ich dort die salbungsvollen Wörter "Die wunderschöne Verfassung als Macht und Kontrolle" lesen darf, kommt mir nicht bloß sprachlich das "Kotzen" – obwohl: Filzmaier war ja auch der "Leerherr" Nehammers … das erhellt zumindest einiges, macht aber den "Verfassungsquatsch" um nichts besser.

Chr. Brugger

14/06/2024