Thomas Bernhard, Heldenplatz

04.05.2020

Vierter November 1988 - Burgtheater; Tag und Ort einer der Begebenheit, die es vor und nachher in Österreich nicht gab; bis heute nicht.


Das neue k.k. Hofburgtheater am Ring wurde am 14.10.1888 mit Werken von Grillparzer und Schiller eröffnet. Zum 100-Jahr Jubiläum der Eröffnung hatte Claus Peymann als damaliger Burgtheaterdirektor die Idee, ein neues Werk uraufzuführen - mit Thomas Bernhard als Autor des entsprechenden Stückes.


Bernhard, vertraut man der Meinung von Marcel Reich-Ranicki, neben Wolfgang Koeppen und Günter Grass einer der drei besten deutschsprachigen Romanschreiber des Jahrhunderts, erschuf ein Werk, das sich bereits im Vorfeld der Uraufführung zum Skandal verwandelte.


Medien fiel über Bernhard her, Politiker echauffierten sich parteiübergreifend über den Inhalt vorab publizierter Teile des Dramas.


Bernhards Streitbarkeit erreichte bereits mit dem Staatspreis-Skandal im Jahr 1968 einen ersten Höhepunkt; Bernhard wurde ein erster Angriff auf die Republik unterstellt; "ein ahnungsloses Volk, ein schönes Land - es sind tote oder gewissenhaft gewissenlose Väter, Menschen mit der Einfachheit und der Niedertracht, mit der Armut ihrer Bedürfnisse. (...) Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind in dem Prozess der Natur der Größenwahn-Sinn der Zukunft. (...) Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts und wir verdienen nichts als das Chaos."


Es folgt der "Notlichtskandal" bei den Salzburger Festspielen 1972 anlässlich der Uraufführung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige". Regisseur Claus Peymann wollte das Stück in absoluter Finsternis enden lassen, auch das Notlicht im Saal sollte gelöscht werden. Dem konnte aufgrund feuerpolizeilicher Vorschriften nicht entsprochen werden - alle weiteren Vorstellungen wurden abgesagt. "Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus", so Bernhard.


1984 erschien Holzfällen. Eine Erregung. - eine weitere Erregung mit Ehrenbeleidigungsklage, Urteil, Beschlagnahme des Werkes.


... und dann versammelte sich ganz Österreich am "Heldenplatz" ...


100 Jahre neues Burgtheater, 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an das Hitler-Deutschland ... Bühne samt politischen Ingredienzien für ein letztes Schauspiel des todkranken Bernhard ... eine letzte Aufregung, eine letzte Provokation, ein letzter Triumph für einen der größten österreichischen Schriftsteller aller Zeiten, einem Genie, einem, der den Nobelpreis für Literatur zumindest ebenso verdient hätte wie Peter Handke.


Was aber war damals - aus heutiger Sicht betrachtet - das Skandalöse an den (indirekten) Aussagen Bernhards? Oder: Was würde man heute - retrospektiv - zu den damaligen Aussagen Bernhards (unter Berücksichtigung der Entwicklungen seit 1988) schreiben? - ein bescheidener Versuch im Sinne von Leibniz´ "Geltung und Genese" ...


Man muss noch ein paar Überlegungen voranstellen; die von manchen als Nestbeschmutzung diagnostizierten Textpassagen stammen allesamt nicht von einem icherzählenden Thomas Bernhard; er lässt andere seinen Text für sich sprechen, zu Wort kommen.


Selbst wenn man die Figur des Robert Schuster aus dem Stück mit der des Autors identifizieren wollte, änderte das am fehlenden Frontalangriff in direkter Form nichts. Der Professor ("mein Leben ist ja mehr oder weniger abgeschlossen") erinnert sich, "nach dem Begräbnis" seines Bruders vorerst an den Niedergang der Menschheit ("die Welt ist ja schon heute nurmehr noch eine zerstörte" (...) "in den letzten fünfzig Jahren haben die Regierenden alles zerstört"), um sich nachfolgend über die österreichischen Verhältnisse zu mokieren.


Anlässlich mehrerer Interviews hat sich Bernhard sehr umfangreich, auch zu seinem Schreiben, geäußert; daraus einige wörtliche Zitate:


"Ich schreib ja nicht für Depperte (...) damit lasse ich den Leuten einen Spielraum (...)".


"(...) ich bin immer froh, wenn wer auf mich hinhaut, weil ich dann dreifach zurückhauen kann ... das macht einen ja stark ... sonst würde man ja an einem totalen Muskelschwund leiden, körperlich und geistig (...)".


"(...) wahrscheinlich ist Einiges auf mich zugekommen, das habe ich dann zurückgegeben, postwendend, per Nachnahme ... man soll immer nur per Nachnahme zurückgeben, da ist eine gewisse Sicherheit drinnen (...)"


"Jedes Wort ein Treffer, jedes Kapitel eine Weltanklage und alles zusammen eine totale Weltrevolution bis zur totalen Auslöschung."


Diese Äußerungen tragen allenfalls dazu bei, das Erregende, Aufregung mit sich bringende, zu erhellen, besser verstehen zu können, anders zu betrachten, als dies von vielen 1988 getan wurde; überlegt haben diejenigen damals jedenfalls nicht sehr intensiv ehe sie damit begannen, auf Bernhard hinzuhauen.


Die Antwort kam jedenfalls postwendend und per Nachnahme - mit Sicherheit!


"mein Gott diese Leute aber bei uns wird ja auch alles nur parteipolitisch besetzt die Leute können gar nicht beschränkt genug sein, um auf die höchsten Posten zu kommen überall sitzen diese Idioten"


"Österreich selbst ist nichts als eine Bühne auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist eine in sich selber verhaßte Statisterie von sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien (...) Sechseinhalb Millionen Statisten die von ein paar verbrecherischen Hauptdarstellern die in der Hofburg und am Ballhausplatz sitzen an jedem Tag vor den Kopf und am Ende doch wieder nur in den Abgrund gestoßen werden"


Das ist, mehr oder weniger, der Grundtenor derjenigen Passagen, in denen Bernhard, per Nachnahme, aus sicherer Position, die "Zustände" in Österreich von verschiedenen Personen beschreiben lässt. Nicht mehr, nicht weniger. Dazu gab es (gleichsam als Nachschlag) noch ein paar Seitenhiebe gegen die Sozialisten als verbrecherische, katholische Nationalsozialisten sowie die katholische Kirche, die der Allgemeinheit das Gehirn ersetzt.


Schriebe jemand Ähnliches heute wäre die Reaktion vermutlich nur insofern anders, als es einen kurzen, heftigen, Shitstorm in sozialen Netzwerken gäbe; der eine oder andere Politiker würde sich (wieder) echauffieren, Kickl allenfalls dem Verfasser des Textes das Nationalbewusstsein absprechen, Rendi-Wagner in jedem Fall eine Taskforce mit Experten fordern, Faßmann würde wieder einmal mehr verstehen als andere, normale, Politiker ... und Kanzler Kurz lapidar sagen: "Wir sind alle gefordert, dass die Verrohung des literarischen Diskurses in Österreich gestoppt wird".


Sonst würde - damals wie heute - nicht viel mehr passieren; eine kurze, nationale Erregung, die nicht 6,5 Millionen an Debilität Leidende, sondern knapp neun Millionen Verblödete für ein paar Tage der selbstverschuldeten Lethargie entkommen ließe.


Insofern kann ich Hermann Beil bzw. seinem Beitrag im Kurier vom 04.11.2018 (Thomas Trenkler, "30 Jahre "Heldenplatz": Ein Skandal als Parabel über Manipulation, Kurier, 04.11.2018) nur vollumfänglich beipflichten, wenn er dort meint, dass nach 30 Jahren längst ein neuer "Heldenplatz" nötig sei. "Auch als ein erneuter Lackmustest für Österreichs Demokratie und Kunstfreiheit. Wer schreibt das Stück? Wer schreibt einen neuen "Heldenplatz", der direkt und ungeschminkt die Wahrheit ausspricht und uns zwingt, Farbe zu bekennen?"


Es wäre in jedem Fall einen Versuch wert, man könnte es sozusagen darauf ankommen lassen, noch oder wieder einmal auf die Spitze treiben.


Im Sinne von Reich-Ranicki sei Literatur ohnedies dazu da, das Leiden der Menschen ersichtlich zu machen, für die Literatur gäbe es keine Tabus, Schriftsteller dürften alles darstellen.


Ingeborg Bachmann aber würde sagen: "Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar" - auch wenn man sie manchmal nicht allzu gerne hört.


Chr. Brugger


03.05.2020