Tougher Than the Rest

23.09.2020

Niemand kann es so recht glauben was sich in den letzten drei Wochen beim bekanntesten und bedeutendsten Straßenradrennen der Welt zugetragen hat. Ein knapp Zweiundzwanzigjähriger, Tadej Pogačar, ging als Sieger hervor, gewann neben der Gesamtwertung noch drei Etappen, die Berg- sowie die Nachwuchswertung.

Ein "Wunderknabe" aus Slowenien, dem Land, wo in den letzten zehn Jahren die Hälfte aller World Tour Teilnehmer zumindest einmal wegen Dopings gesperrt war. Die mehr als einhundertjährige Geschichte der Tour de France wird nämlich von einer fast ebenso lange andauernden Dopinghistorie begleitet, fährt, sozusagen, seit jeher einmütig neben der Tour der "Leiden" einher.

Wie ein junges Rennpferd sei er geprescht, ist in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen, ein "Himmelsstürmer", dem das "menschgewordene Metronom" (Primož Roglič) zum Opfer gefallen sei. Zwei ehemalige Skispringer als Hauptdarsteller einer Dramaturgie, die man besser nicht schreiben könnte; anders formuliert: der Vierte der Tour de France 2018, Dritter beim Giro d´Italia 2019 und Sieger der Vuelta a España im selben Jahr war am Ende einem neunzehnjährigen Nachwuchsrennfahrer unterlegen.

Die Entscheidung über den Toursieg fiel bei der 20. Etappe, einem Einzelzeitfahren von Lure nach Planche des Belles Filles. Dort lieferte der von der Gazzetta dello Sport "piccolo principe" getaufte Pogačar ein Kunststück der besonderen Art: "Nicht nur den Peyresourde fuhr er schneller hoch als jeder andere vor ihm, beim Schlusszeitfahren schaffte er in einer wichtigen Kategorie einen außerordentlichen Wert: 6,5 Watt pro Kilogramm Körpergewicht trat er im Anstieg durchschnittlich. Das ist ein Bereich, in den gemeinhin bisher nur Armstrong und Kollegen in ihren Superdoper-Jahren kletterten" war in der SZ zu lesen. "Ein Zeitfahren wie aus einem Radsportmärchen" beschrieb "Die Zeit" den Ritt des "kleinen Prinzen" auf die von Legenden umwobene "Bühne der schönen Mädchen" hinauf, dem Ziel der Etappe.

Wer das alles gesehen, darüber gelesen hat, der könnte tatsächlich an ein "sportliches Wunder" glauben; könnte - wenn nicht, wie bei allen sonstigen außergewöhnlichen sportlichen Leistungen, Zweifel den Glanz bereits jetzt ermatten ließen. Zu sehr ist u.a. auch das sportliche Umfeld des "kleinen Prinzen" von "Dopinggeschichten" durchsetzt.

Diese konjunktivische Art der Betrachtung, das in den Raum stellen einer möglichen Alternative und damit das Relativieren der erbrachten Leistung hat einen guten Grund: Zu häufig hat sich in der Vergangenheit im Nachhinein herausgestellt, dass "Glanztaten" in Form sportlicher Höchstleistungen nur durch unlautere Hilfsmittel zustande gekommen sind.

Die Liste derjenigen, denen man diesbezüglich habhaft wurde ist viel zu lang als dass man den sportlichen Wert des von Pogačar zustande Gebrachten nicht anzweifeln dürfte. Schon immer haben Sportler den Versuch unternommen, ihre Leistung durch die Zuhilfenahme verbotener Substanzen und Methoden zu steigern; im Einzelfall, systematisch, teamübergreifend oder in ganzen Sportverbänden spielt dabei keine Rolle; auch von bestimmten Sportarten ist dieses abstruse Verhalten nicht abhängig; Fußball, Skirenn- oder Radsport, Biathlon, Langlauf, Leichtathletik, Triathlon, Schwimmen, Tennis usw.; quer durch die gesamte Welt des Sports war und ist Doping omnipräsent. Nachdenklich kann einen auch stimmen, dass die Wahrscheinlichkeit, "Dopingsünder" tatsächlich ausfindig zu machen, äußerst gering ist. Manche der "Nutznießer/innen" sind der Zeit voraus, manche entziehen sich zwar äußerst ungeschickt, in dem sie auf Scherben treten oder falsch abbiegen, dennoch bzw. dadurch einer Kontrolle entgehen. Es ist, an dieser Stelle, müßig und einerlei, dass verbotene Leistungssteigerung nicht nur im Spitzen- sondern auch im Breitensport alltäglich geworden ist.

Betrachten wir daher das Außergewöhnliche an der Leistung des heurigen Siegers der Tour de France mit Anerkennung, Respekt und Hochachtung; aber ebenso mit Vorbehalt: Dem siebenfachen Triumphator Lance Armstrong wurden alle Titel viel später, Alberto Contador der Sieg aus dem Jahre 2010 ebenso aberkannt; bei Bjarne Riis (Sieger 1996) war das wegen eingetretener Verjährung nicht mehr möglich.

Daher sollte auch der jugendlich-strahlende Held Pogačar wissen, dass die Grenzlinie, auf der er sich bewegt, sehr dunkel und schmal ist; davon hat schon Bruce Springsteen in "Tougher Than the Rest" gesungen ...

Chr. Brugger

23.09.2020