Sebastian, was willst du eigentlich?
Kaum ist mein letzter Brief an dich fertiggestellt, liegt bereist die nächste Herausforderung "am Tisch" - deine Erklärung zur aktuellen Lage vom 28.08.2020. Wer immer diese Ansprache für dich verfasst hat, mein Lieber, viel kann der- oder diejenige von der Gemütslage deiner Mitbürger/innen nicht verstehen bzw. mitbekommen haben; oder (dieser Verdacht liegt nahe) nicht wissen wollen.
Die Bevölkerung leidet ja nicht, im Kollektiv, am COVID-19-Virus oder einzig und allein an dessen Folgeerscheinungen (Einbruch der Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Homeoffice, halbjährige "Schulferien" samt damit einhergehenden Konsequenzen etc.), sondern mittlerweile bereits (wieder) an einem ganz anderen Virus, das hinlänglich bekannt und erforscht ist, gleichsam nackt am Seziertisch des österreichischen Instituts für Politologie an der Universität für Pathologie mit der Zustellanschrift Ballhausplatz 2, 1010 Wien, liegt; auch dagegen gibt es (scheinbar) bis heute kein wirksames, besser gesagt kein demokratisches, Gegenmittel: Politik-, Politiker- und Parteienverdrossenheit in kameradschaftlicher Personalunion, pseudoidyllischer Dreisamkeit. Eine, vornehm ausgedrückt, Ménage-à-trois, salopp formuliert nur ein schmutziges Dreiecksverhältnis - und du, Sebastian, mittlerweile mittendrinn und mehr als (mir lieb ist) nur manchmal dabei.
So geschliffen du reden kannst, so adrett du aussehen magst, so medienwirksam man dich auch darzustellen vermag, mein Lieber: Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass du dich, aalglatt oder nicht, mehr und mehr in den Händen derer befindest, die mit deinem stets auf Hochglanz polierten "Gehabe" nichts (mehr) anzufangen wissen. Denke, sofern es dir die Zeit erlaubt, im übertragenen Sinn an Cäsar und dessen politisches Ende.
Dein Auftreten (gesellig beim Heurigenwirt oder staatstragend mit den Fahnen Österreichs & Europas im Kanzleramt ist dabei einerlei) wirkt gekünstelt, bei weitem überzogen und lässt dich so (als junger Mensch) ziemlich "alt" aussehen; anders formuliert: nicht nur die Fassade bröckelt, selbst die Gemäuer am Ballhausplatz bekommen Risse, fingerdick, für jedermann leicht ersichtlich, durch das Dach dringt bereits Regen ein ... es wird bald ungemütlich werden.
Selbst die beste Politur wird deine dich umgebende Aura nicht mehr zu Glanz verhelfen; fahl und blass wirst du aussehen, man wird dich belächeln, bemitleiden, irgendwann spottend verachten (genau in dieser Reihenfolge der politischen Kontinuität am Weg in die Bedeutungslosigkeit).
Diesen "Abstieg" wirst du aber nicht dem (ohnedies fehlenden) politisch-emotionalen Wettkampf um Ansehen, Macht oder Zuneigung verdanken, vielmehr denen, die es so gut mit dir meinen, deinem einflüsternden Hofstaat, den lediglich auf Eigennutz bedachten Jasagern, denen, die ihre Positionen, Ämter und Funktionen nur dir bzw. deiner naiven Gutmütigkeit verdanken, nicht ihrem Können, ihren Fähigkeiten, ganz einfach sich selbst.
Natürlich ragst du derzeit noch unter all denen ein wenig hervor; das hast du aber nur der Tatsache zu verdanken, dass (nicht nur sprichwörtlich) unter den Blinden logischerweise ein Einäugiger stets als König gilt. Sollte dir das genügen, musst du nichts verändern. Lass alles so, wie es ist. Dann ist das Ende deiner "Regentschaft" zwar besiegelt, dafür aber schon jetzt gut absehbar. Noch ist Zeit (genug), dem hinlänglich bekannten Schicksal Polyphems aus der griechischen Mythologie, der in der Odyssee als Einäugiger völlig erblindet ist, zu entkommen. Such dir daher lieber einen Freund, der dich, wie der Riese Argos die Geliebte des Zeus, rund um die Uhr bewacht; hunderte Augen ("Argusaugen") sehen ganz sicher besser als keines (um das zu erkennen, braucht es nicht einmal medizinische Grundkenntnisse - dafür musst du nur weiter deine Äuglein fest verschließen).
Du wirst dich jetzt fragen, warum ich derart hart mit dir ins "Gericht" gehe; das ist ganz einfach erklärt; deiner "Rede an die Nation" (Erklärung vom 28.08.2020) sind "Ungereimtheiten" zu entnehmen, die dir (und damit uns, dem Volk) bisher erspart geblieben sind. Wenn du aber mehr oder minder nur noch schwadronierst, zusammenhangloses "Zeug" von dir gibst und auf den Zug der peinlich anmutenden, heuchlerischen (durch nichts zu rechtfertigenden) Zukunftsprognosen aufspringst, um dabei nicht darauf verzichten zu können, im gleichen Atemzug auf die regierungseigenen Versäumnisse hinzuweisen, dann darf man sich (berechtigt) die Frage stellen: Bist du noch Herr über deine Sinne? oder: Was willst du eigentlich?
- "Wir werden auch weiter dafür kämpfen, dass internationale Digital-Giganten faire Steuern bezahlen" ist ein Bespiel von vielen. Ich sehe dein (Mauer-) Blümchen direkt vor mir, wie es sich darüber Gedanken macht ("Wie können wir (US-) amerikanische und chinesische Unternehmen so lange ärgern, bis sie uns freiwillig die Steuermilliarden überweisen?"). Blümchen, selbst Mauerblümchen, mögen hübsch anzusehen sein, vor allem wenn sie blühen; sie mögen, zumindest teilweise, eine gewisse Funktion haben, als Färbemittel oder Kräuter dienen; mehr können sie aber mit Sicherheit nicht. Gernot zwischen Donald und Jinping - das wird sicher amüsant und verspricht einen großen Erfolg für unser (wie ein Pferd) beschlagenes "Mauerblümchen".
- "Neben all der Notwendigkeit in Bildung und Digitalisierung zu investieren" ... diese Erkenntnis mit der COVID-19 Situation in Verbindung zu bringen ist schlichtweg dumm und falsch. Seit Jahrzehnten ist das Thema Bildung "das Thema" schlechthin. Man hat (billigend) in Kauf genommen, dass große Teile der österreichischen Bevölkerung verblöden (wenn du willst, kannst du ja meine Briefe bzw. Stellungnahmen zum Thema "Bundesminister Faßmann" lesen) - erst jetzt soll es eine Notwendigkeit für entsprechende Investitionen geben?
- Auch bei der Digitalisierung (nicht nur auf die Bildung bezogen) hat man Jahrzehnte geschlafen (so man mehr Digitalisierung überhaupt will). Im Breitbandnetzausbau ist man das Schlusslicht Europas (trägt stolz die rote Laterne); die digitale "Bevölkerungsversorgung" reicht über die Stadtgebiete kaum hinaus - von flächendeckend kann nicht die Rede sein. Was hilft der beste Computer / Laptop, wenn dafür ein Internetanschluss fehlt? Briefe sollte man lieber mit der Hand schreiben (weil man sie nicht via Email versenden kann).
- "(...) ist uns allen wieder einmal eins ganz stark bewusst geworden: nämlich wie sehr wir Menschen soziale Wesen sind." - Dessen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, muss man sich nicht erst bewusstwerden, das ist "Stand der Dinge", spätestens seit Charles Darwin wissenschaftlich belegt.
- "Abgesehen von einzelnen Ausnahmen in unserer Gesellschaft, die vielleicht Menschenansammlungen generell meiden und soziales Distancing als etwas Positives in der Coronazeit empfunden haben, weil sie das ohnehin schon immer gelebt haben." - Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen; Menschenansammlungen zu meiden ist etwas grundsätzlich Positives, durchaus Erstrebenswertes ("Meide die Masse"); nicht nur in der "Coronazeit" und weil "sie das" immer schon so gelebt haben. - Willst du damit diejenigen diskriminieren, an den Pranger stellen, die sich an die "maroden", bruchstückhaft gebliebenen, Vorgaben deiner Bundesregierung gehalten haben? Denen wirfst du jetzt (zumindest unterschwellig) vor, dass sie sich zurückziehen, nicht (mehr) am sozialen Leben teilnehmen (wollen). Damit konterkarierst du die von dir selbst vorgegebene COVID-19-Linie, die die Bezeichnung Linie nur dann verdient, verstünde man unter Linie nicht die kürzeste Verbindung zweier Punkte (Problem und Lösung), sondern ein ausuferndes, mäanderartiges Gebilde. Die COVID-19-Politik ist ja, wenig überraschend, nur mit reichlich Fantasie und noch mehr Wohlwollen zu verstehen bzw. nachzuvollziehen und rechtlich so absurd-konfus, dass sich selbst Gerichte und Verwaltungsbehörden davon distanzieren.
Ich habe absolut Verständnis für parteipolitisch infiltrierte Machenschaften, ebensolche "Kleingeldwechselspielchen" in Form von Postenschacher, Besetzungen von öffentlich zu bekleidenden Ämtern mit türkis, grün, blau, schwarz, orange oder rot eingefärbten "Nieten". Wenn bei solchen "Kindergartensandspielveranstaltungen" jedoch sogar der Dämlichkeit Tür und Tor geöffnet wird, hält sich meine Begeisterung dafür in überschaubaren Grenzen, scheinen mahnende Worte angebracht (ich hoffe, du bist mir nicht böse).
Mir geht es keinesfalls, wie man meinen könnte, um das Wohl des Volkes, der österreichischen Bevölkerung, beispielsweise der hunderttausenden Kinder und Jugendlichen; für ihr Schicksal sind ausschließlich Letztere, zumindest überwiegend, selbst verantwortlich; es kann doch nicht sein, dass man sich um Schüler und Studenten Sorgen macht, die 24/7/365 (alle 4 Jahre ein zusätzlicher Tag gratis) nur damit beschäftigt sind ihren eigenen Vorlieben zu frönen (social Media, reichlich Alkohol und bisweilen wenigstens etwas grünes Gras). Arbeit und Bescheidenheit sind ihnen ebenso fremd wie Anstand und Moral; nichts ist ihnen heilig, die Meinung der "Alten" wird missbilligt (finanzieller Unterstützung gegenüber sind sie hingegen aber meist nicht abgeneigt), Respekt ist ein Fremdwort, Gemeinwohl unbekannt. Das ist, wenn man so will, die Generation, der du den Weg weisen solltest. Sie aber haben sich - vorauseilend gehorsam - schon längst deinem "social distancing rubbish" entzogen. Sie beschäftigen sich lieber mit ihren Mobilfunkgeräten, treffen sich nur mehr virtuell, kennen sich bestenfalls vom Skypen; Politik hingegen verabscheuen sie; k(K)urz, du hörst ihre Anliegen nicht. Es wäre allenfalls sinnvoll, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen (immerhin könnte es sich bei dieser Generation künftig um williges wie billiges "Stimmvieh" handeln; willig, weil sie keinen eigenen Willen, keine eigene Meinung, haben, billig, weil du ihnen nicht allzu viel versprechen musst). Du musst sie nur davor bewahren, weiterhin und konsequent "political distancing" zu betreiben (kurz: Politikignoranz); das aber sollte dir, unter normalen Bedingungen, mühelos möglich sein; "wahlzuckerlverteilend" musst du ihnen wohl nur Kinderbeihilfe bis zum vollendeten 35. Lebensjahr, Studiengebührenbefreiung bis zum Nimmerleinstag und einen kleinen Bonus für Schul- und Studienabbrecher bzw. Lehrabschlussverweigerer versprechen - dann hast du die "Next Generation" ganz sicher gut im Griff.
Auch für das (nicht unerhebliche, biologisch bedingt aber stetig zunehmende) Wählerpotenzial 65 plus darfst du dir etwas einfallen lassen; entweder änderst du das Wahlrecht (kein aktives Wahlrecht mehr für Österreicher/innen zumindest jenseits von siebzig) oder es wird teuer (was dir eigentlich egal sein kann).
Gratis Pflegekräfte aus dem ehemaligen Osten für beide Geschlechter, Pflegegeldpauschale für Leute ab 65 plus, eine staatliche Sterbegeldversicherung für alle ... mit solchen oder ähnlichen Maßnehmen hättest du dann, mehr oder weniger und zumindest für eine bestimmte Zeit, ein völlig ausreichendes "Stimmvieh" in deinem, ganz in türkis gehaltenen, "Saustall". Damit wärst du auch, das ist ein billiger Bonus, politisch absolut unabhängig, hättest gleichsam das (ohnedies überalterte) Wahlrecht Österreichs ausgehebelt - noch dazu mit rechtsstaatlich zulässigen Maßnahmen bzw. Methoden.
Das Beste (deiner Rede als Bundeskanzler an die gesamte Nation) kam aber zum Schluss:
- "Aber wir können zuversichtlich sein! Denn wir können uns sicher sein, dass diese Krise uns zwar zurückgeworfen hat, aber sie wird uns nicht aufhalten. Wir werden in absehbarer Zeit zur gewohnten Normalität zurückkehren können und wir werden gemeinsam sicherstellen, dass unser wunderschönes Österreich auch diese Herausforderung gut übersteht."
Man mag mir vorwerfen, ich schriebe zu pointiert, schösse manchmal über das Ziel hinaus, sei in meiner Wortwahl bisweilen zu mutig; was dir aber mit dem Schluss deiner Ansprache an das Volk gelungen ist, hätte selbst ich nie zuwege gebracht, mich niemals getraut: Eine gesamte Nation als vollkommen blöd zu verkaufen, lächerlich zu machen - und das mit einem Lächeln auf den Lippen; im Fußballjargon hieße das wohl: "Verhöhnung des Gegners"; du aber verhöhnst die Österreicherinnen und Österreicher.
Dass es sich dabei (lediglich) um Phrasen handelt, ist in Ordnung. Mehr kann man von Politikern der heutigen Generation ohnedies nicht verlangen (man hat sich daran gewöhnt). Woher du allerdings deine Zuversicht nimmst, ist unmöglich nachvollziehbar; du hättest lieber "Ich kann zuversichtlich sein" sagen sollen.
"Die Krise hat uns sicher zurückgeworfen" - hinter was hat "uns" die Krise sicher zurückgeworfen? Durch die Krise hat die Politik praktisch "Narrenfreiheit" erhalten; an das Regierungsprogramm muss man sich nicht mehr halten, das Budget ist auf Jahre hinaus obsolet; die hohen Arbeitslosenzahlen sind coronabedingt; das mehr als dürftige Bildungsniveau deiner Mitbürger/innen (ein Teil davon ist, wohlgemerkt, auch die österreichische Bundesregierung) ist der Krise geschuldet, den Einbruch der Wirtschaft haben wir ausschließlich den derzeitigen Umständen zu verdanken, die Verschiebung von Reformen der Epidemie usw..
Die Epidemie ist, sozusagen das Allheilmittel für politisches Fehlverhalten, politikbedingte Fehlentscheidungen sowie Missstände aller Art, wenn man so will der Impfstoff für die desaströse Lage der Nation. Mir ist schon klar, dass du mit deiner Mannschaft zuversichtlich sein kannst. Das gilt aber nicht für diejenigen, an die du deine Worte gerichtet hast - die haben nämlich Angst um ihre Existenzen, ihre Arbeit, das Fortkommen ihrer Kinder, ihr Einkommen, ihr Zuhause, ihre Mitarbeiter, manche sogar um ihr Leben ...
"Wir werden in absehbarer Zeit zur gewohnten Normalität zurückkehren können" - das ist, nüchtern und realistisch betrachtet, eine absolut dämlich-hämische, noch dazu polemisch-blasphemische Aussage. Wie willst du das wissen? Was verstehst du unter "absehbarer Zeit"? Ein paar Wochen, ein paar Jahre, Jahrzehnte? Es wird keine gewohnte Zeit mehr geben! Zu deiner postulierten "Normalität" wird auch die Zeit der Pandemie dazu gehören, also kann es schon begrifflich keine "gewohnte Normalität" mehr geben. Es kann nur eine Zeit davor und eine Zeit danach geben, eine Vergangenheit und eine Zukunft. Zur Vergangenheit gehört dann kollektiv aber auch das Fehlverhalten der Politiker/innen dieses Landes (die hoffentlich mit der Zukunft nichts mehr zu tun haben werden).
Das einzig Erfreuliche, das einzige Positive, dass was "uns" (den Einwohnern dieses wunderschönen Landes) Zuversicht gibt ist, dass du nicht mehr lange darauf warten musst, bis sich (auch in Österreich) das Volk gegen dich und deine "Mitstreiter" aufzulehnen beginnt, am Ballhausplatz oder sonst wo vorstellig wird, um dir und den deinen ihre Meinung zu sagen. Spätestens dann wirst du verstehen, dass deine Ansichten für das Volk nicht repräsentativ sind und du nie mehr im selbstherrlichen und -gerechten "wir" und "uns" zu ihnen sprechen solltest.
Ein, für heute, letzter (wirklich gutgemeinter) Rat noch: Wenn du dich das nächste Mal an die Bevölkerung wenden solltest, verwende deine eigenen Worte (Vorteil: dümmer können sie ohnedies nicht sein). Wäre ich in deiner Lage, hätte ich die Schlusspassage deiner Ansprache an die Nation so formuliert:
"Mir ist durchaus bewusst, wie schwierig die Lage für alle Österreicher/innen derzeit ist. Ich und meine Bundesregierung werden aber alles unternehmen und ich werde mich persönlich dafür verwenden, dass wir die derzeitige Situation bestmöglich überstehen, weitere Fehlentscheidungen vermeiden und ich notwendigenfalls auch bereit bin, Mitglieder meiner Bundesregierung von den ihnen übertragenen Aufgaben zu befreien; zu ihrem und zu Eurem Wohl.
Ich kann nicht sagen, wie lange diese, durchaus ernste wie herausfordernde, Zeit noch andauern wird; ich kann Ihnen aber versprechen, dass ich persönlich alles unternehmen werde, diese Zeit, gemeinsam mit jedem Einzelnen von Ihnen, bestmöglich zu überstehen. Mehr kann und darf ich Ihnen nicht versprechen. Alles andere wäre ganz einfach eine Lüge."
Chr. Brugger
30.08.2020