Pattsituation?

10.10.2024

Für die momentane politische Situation in Österreich hat sogar unsere hoch gelobte wie schöne & elegante Verfassung keine adäquaten Mittel vorrätig; der Bundespräsident, Alexander Van der Bellen, der vor kurzem noch die Meinung vertreten hat, er benötige für die Bildung einer Regierung keinen Vorschlag, zumal es seine höchstpersönliche Entscheidung wäre, wen er ernennen würde, sieht sich – seiner eigenen Aussage zufolge – mit einer Pattsituation konfrontiert.

Quelle: https://tagebuch.at/2023/10/patt-auf-zeit/

Prinzipiell gilt "Patt als Endposition einer Schachpartie, bei der ein am Zug befindlicher Spieler keinen gültigen Zug machen kann und sein König nicht im Schach steht"; die Folge ist ein Remis.

Am Schachbrett der Demokratie gibt es aber kein Unentschieden, weshalb die dem Schach entlehnte "Pattsituation" nur analog und keinesfalls univok Verwendung finden kann; Van der Bellen hat sich daher, entgegen der in der zweiten Republik bislang üblichen Usance, dem Parteichef derjenigen Partei, die bei den Nationalratswahlen die meisten Stimmen erhalten hat, einen Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung zu erteilen, vorerst dafür entschieden, von Herbert Kickl, Karl Nehammer & Andreas Babler die gesprächsweise Auslotung allfälliger Möglichkeiten einer Zusammenarbeit vorzunehmen und ihm anschließend von diesen Bemühungen zu berichten.

Allein: Kickl will als Parteichef der FPÖ-Bundeskanzler werden, Nehammer & Babler haben ihrerseits eine Zusammenarbeit mit Kickl apodiktisch bzw. unwiderruflich ausgeschlossen; von einer "Pattsituation" kann folglich gar nicht gesprochen werden; es kann und wird keine FPÖ-ÖVP Koalition und ebenso wenig eine FPÖ-SPÖ Koalition geben.

Insofern hätte Van der Bellen sich Zeit bzw. "leere Kilometer" sparen und gleich Karl Nehammer mit der Bildung einer Regierung beauftragen können; auch das wäre neu, aber weniger verlogen; Van der Bellen selbst hat ja bereits unmissverständlich zu Ausdruck gebracht, er würde Herbert Kickl als Kanzler dieser Republik nicht angeloben.

Was uns in ca. 14 Tagen bevorsteht, ist absehbar: Nehammer & Babler werden ihrer Linie "treu" bleiben und dem Bundespräsidenten berichten, dass eine Zusammenarbeit mit Kickl nicht möglich sei.

Quelle: https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/18948744/fussi-uebte-kritik-an-spoe-und-praesentierte-fuenf-punkte-programm

Die Wahrscheinlichkeit, künftig von einer sog. "Zuckerl-Koalition" ("ZuKo") regiert zu werden, hat sich allerdings am gestrigen Nachmittag erheblich verringert.

Andreas Babler hat an der Spitze der Sozialdemokraten unerwarteten wie unliebsamen Besuch erhalten; Rudolf Fußi hat kundgetan, für die Funktion des Bundesparteiobmannes der SPÖ zu kandidieren; sollte es "Rudi" Fußi nämlich bis 31.12.2024 gelingen, zumindest 10% der SPÖ-Mitglieder aus zumindest vier Bundeländern von seiner Kandidatur zu überzeugen, muss es nach dem SPÖ-Organisationsstatut (§§ 22a, 24) zwingend zu einer Entscheidung durch alle Mitglieder kommen – rein zeitlich würde aber ein solche Entscheidung vermutlich erst im Frühjahr / Sommer 2025 vorliegen.

Angesichts dieser prekären Situation wird die SPÖ, vor allem aber Andreas Babler, zu erklären haben, was an einer ohnedies bereits fragmentierten Partei noch stabil sein soll, wenn die Funktionstauglichkeit Bablers massiv in Frage gestellt und der neue Bundesparteiobmann erst irgendwann 2025 gewählt wird; zwar ist das Kappen aller Verbindungen zur SPÖ durch die sozialistischen Jugend Vorarlbergs nur eine Randnotiz; diese Entscheidung wird aber zu einer Verbesserung des von Rudolf Fußi diagnostizierten "erbärmlichen Zustandes der SPÖ" kaum etwas beitragen, der zudem noch erbärmlicher sein soll als derjenige der Republik und insofern beinahe  schrottreif sein müsste.

Van der Bellen wird folglich bald mit dem nächsten Dilemma konfrontiert sein; eine instabile Regierung kann und wird bzw. will er, seinen eigenen Aussagen zufolge, nicht angeloben; die von ihm gem. Art. 71 B-VG einstweilig mit der Fortführung der Verwaltung betraute (alte) Regierung verfügt wiederum im Nationalrat (ob des erlittenen Wahldebakels) weder über einfache, geschweige denn über eine Verfassungsmehrheit.

Es bleibt daher abzuwarten, wie Van der Bellen sich entscheiden wird; die allenfalls elegante wie schöne Bundesverfassung wird ihm beim Lösen des Problems allerdings keine große Hilfe sein – denn dort ist weder etwas von einem Unentschieden zu lesen, noch vom Umgang mit einer Situation, wie sie sich seit gestern darstellt.

Chr. Brugger

10/10/2024