Olympia – eine wahnwitzige Dystopie?

30.01.2022

Als in einer äußerst fragwürdigen "Abstimmung" am 31.07.2015 die Stadt Peking, was die Ausrichtung der olympischen Winterspiele 2022 betrifft, als Siegerin hervorging, war der Jubel nicht allzu groß - dasselbe galt für Proteste, Kritik an China, den dortigen Verhältnissen, speziell dem Zugang Chinas zu Minderheiten und Menschenrechten.

Je näher die Spiele nun kommen, desto harscher wird der vermeintliche Widerstand, die an tibetanische Gebetsmühlen erinnernden, immer wiederkehrenden Geräusche derer, die jetzt alles besser wissen: Menschenrechtsverletzungen gäbe es im Reich der Mitte, der kommunistischen Weltmacht, zu Hauf; der Umgang mit der uigurischen Minderheit in Xinjiang sei unerträglich - Verbrechen gegen die Menschlichkeit stünden ebenso auf der Tagesordnung wie Zwangssterilisationen, systematische Vergewaltigungen minderjähriger Mädchen und junger Frauen, Masseninhaftierungen; gar Umerziehungslager gäbe es dort, in denen die uigurische Denkweise ausgemerzt werden soll, ein Volk entwurzelt und Widerspenstiges vernichtet.

Jetzt, ein paar Tage vor dem Beginn der Spiele, kriechen gleichsam die Ratten aus ihren Löchern, die man in den letzten 6 ½ Jahren nie gesehen oder gehört hat - doch plötzlich scheinen es alle zu wissen: Neben einer systemischen Massenvernichtung von sexueller, gesellschaftlich-sozialer und körperlicher Integrität steht bei den Spielen längst nicht mehr das Sportliche im Vordergrund: Die Gier nach Geld, Macht und politisch-wirtschaftlichem Einfluss hat die olympische Idee längst zerfressen, dazu kommen notorisches Doping, dessen unkontrollierte Verharmlosung und die Tatsache, dass die Veranstalter samt nationalen, olympischen Komitees in Wirklichkeit um keinen Deut besser sind, als das perverse Pogrom Chinas - wenn auch auf eine andere, dennoch nicht minder perfide Art. Schweigend zu dulden ist ebenso eine Form des zustimmenden zur Kenntnis Nehmens, gleicht willfährigem Akzeptieren, devoter Ignoranz vor dem Offensichtlichen.

Es wäre weltfremd wie sinnlos anzunehmen, aktive Sportler würden sich dieser Kritik anschließen, die Spiele mit ihrer Abwesenheit beehren, diese aus eigenem Antrieb boykottieren.

Zum einen kann und darf das von niemandem erwartet werden - dafür sind vorrangig die pekuniären Interessen der Olympioniken viel zu wesentlich; andererseits gibt es momentan auch keine "Sportasse", deren Popularität und Strahlkraft ausreichten, die Massen zu bewegen, deren nicht bloß angedrohter Boykott etwas zu ändern vermöchte. Dieser Tatsache sind sich wohl auch die abstrusen Protagonisten, wie beispielsweise ein Thomas Bach, bewusst. An ihnen prallt jeder Kritik, von wem auch immer, ab - ihr Schutzschild, das aus schizophren wirkenden Verhaltensweisen und narzisstisch-hypomanischem Symptomkonformismus angefertigt sein dürfte, bewahrt sie bislang vor Gröberem und längst notwendiger Einsicht; das ändert aber nichts an der Tatsache, dass olympische Spiele zu fragwürdigen, rein kommerziell dominierten Sporttrödelmärkten verkommen sind, die von der merkwürdigen Aura alles Verkommenen umgeben werden. In einem Dunst aus Korruption, sport- und parteipolitischen Selbstverwirklichungsexzessen und schnöder Machtgier werden fragwürdige, dopinginfiltrierte Produkte feilgeboten, die man üblicherweise nicht einmal im Schlussverkauf erwerben wollte.

Was einst Ausdruck einer hehren Idee war, ist seit längerem nichts mehr wert, Ramsch & despektierlich zugleich. Die Fiktion von einer friedlich-globalen Sportveranstaltung fernab von Bestechlichkeit, politischer Einflussnahme und wirtschaftlichen Perspektiven, einer Utopie aus gegenseitiger Akzeptanz, Fairness, Verständnis und Solidarität hat sich längst in Luft aufgelöst. Dieses Narrativ ist zu einer Dystopie verkommen, einem abstrusen Gesellschaftsspiel mit gezinkten Karten.


Chr. Brugger

30.01.2022