„Öffnungsszenario“ am 19.05.2021

19.05.2021

"Schnitzel, Spritzer und auch Kuchen, vielleicht sogar den Urlaub buchen". Die Erwartungshaltung von Gastronomie, Hotellerie, vor allem auch kulturellen Einrichtungen, ist groß; ebenso die Vorfreude der Menschen in unserem Land. Man könne ab dem heutigen Tag (19.05.2021) wieder, das erste Mal seit langem, von einer Annäherung an frühere Zustände denken.

An der Donau werden seit 05.00 Uhr morgens weißer Spritzer konsumiert; Wiener Schnitzel warten bereits auf ihre Panier, das Butterschmalz in den Pfannen harrt seiner Erhitzung; Kaffeemaschinen laufen, kann man der aktuellen Berichterstattung entnehmen, bereits auf Hochtouren, der Kuchen in den Vitrinen ist zu allem, vor allem zum Verzehr bereit. Kurz, Köstinger & Häupl bringen sich medienwirksam in Stellung, schlürfen Kaffee, geben Interviews - soweit scheint alles paletti zu sein.

Man sollte nur angesichts der (berechtigten) Euphorie nicht ganz vergessen, wie es dazu kommen konnte, dass man, landauf landab, den 19.05.2021 zum "Tag der Auferstehung" hochstilisiert.

Liest man dazu beispielsweise das Interview des Kanzlers in der "Kronen Zeitung" vom Sonntag vergangener Woche, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Kurz ginge davon aus, dass "mein Team und ich" die Pandemie besiegt hätten. Er versteht daher auch nicht, dass die Opposition nur ein Ziel verfolge: "Kurz muss weg", arbeitete er doch "rund um die Uhr" für Österreich, dann muss man sich zwangsläufig daran erinnern, wodurch man überhaupt das "Selbstverständliche", das "früher als normal Angesehene" feiern und hochleben lassen muss.

Soweit ich mich erinnern kann, waren es die "rechtlichen Grundlagen" in Form von Gesetzen und Verordnungen auf Basis von Ministerialentwürfen, die uns in diese Lage gebracht haben. Nähme Kurz es mit der Wahrheit ernst, müsste er folglich zumindest erwähnen, dass "er und sein Team" es waren, die uns (die Bevölkerung) in diese faktische Situation hineinmanövriert haben. Für die momentane, als durchaus positiv zu beurteilende, COVID-19 Situation in Österreich sind nicht "Kurz und sein Team" verantwortlich, vielmehr ausschließlich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die sich in den letzten 14 Monaten, eingedenk ihrer Selbstverantwortung, diszipliniert und vorbildlich verhalten haben.

Jeder kann - im Nachhinein - behaupten, alle Maßnahmen der Bundesregierung seien erforderlich oder nicht erforderlich gewesen, heilsbringend oder hilflos überzogen, richtig oder falsch - allein, es hat keinen Sinn, sich darüber noch Gedanken zu machen. Es erübrigt sich auch eine Diskussion darüber, dass zahlreiche Rechtsgrundlagen mit dem Makel der Verfassungs- und/oder Rechtswidrigkeit behaftet waren oder immer noch sind.

Liest man allerdings die Verordnung des des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die Verordnung über erste Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-1p-Pandemie erlassen wird (COVID-19-Öffnungsverordnung - COVID-19-ÖV) und die COVID-19-Öffnungsverordnung geändert wird (1. Novelle zur COVID-19-Öffnungsverordnung) durch, muss man allerdings feststellen, dass die heimische Bundesregierung (Im Unterschied zu den Bewohnern dieses Landes) aus den Fehlern der letzten Monate absolut nichts gelernt hat oder zu lernen bereit war. Man war, das ist keine besondere Überraschung, wieder einmal nicht in der Lage, eine rechtskonforme Verordnung zu verfassen.

Ob dieses hoheitliche Handeln auf Unvermögen oder Ignoranz zurückzuführen ist, spielt angesichts der nächsten verfassungswidrigen Verordnung ebenso keine Rolle mehr. Man muss in Österreich, ob man will oder nicht, ganz einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung nicht fähig ist, verfassungskonforme Rechtsakte zu Papier zu bringen. Dieses, an Analphabetismus grenzende, Verhalten ist, am Beispiel der sog. "Erhebung von Kontaktdaten", ziemlich einfach entlarven:

Die ab heute maßgebliche Rechtsgrundlage dazu findet man in § 17 der genannten Verordnung:

Erhebung von Kontaktdaten

§ 17.

(1) Der Betreiber einer Betriebsstätte gemäß den §§ 6 und 7, einer nicht öffentlichen Sportstätte gemäß § 8, einer nicht öffentlichen Freizeiteinrichtung gemäß § 9 und der für eine Zusammenkunft Verantwortliche gemäß den §§ 13 bis 16 sind verpflichtet, von Personen, die sich voraussichtlich länger als 15 Minuten am betreffenden Ort aufhalten, zum Zweck der Kontaktpersonennachverfolgung den

1.

Vor- und Familiennamen und

2.

die Telefonnummer und wenn vorhanden die E-Mail-Adresse

zu erheben. Im Falle von Besuchergruppen, die ausschließlich aus im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen bestehen, ist die Bekanntgabe der Daten von nur einer dieser Besuchergruppe angehörigen volljährigen Person ausreichend.

(2) Der nach Abs. 1 Verpflichtete hat die zuvor genannten Daten mit Datum und Uhrzeit des Betretens der jeweiligen Betriebsstätte oder des bestimmten Ortes zu versehen.

(3) Der nach Abs. 1 Verpflichtete hat der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 5 Abs. 3 EpiG auf Verlangen die Daten zur Verfügung zu stellen.

(4) Der nach Abs. 1 Verpflichtete darf die Daten ausschließlich zum Zweck der Kontaktpersonennachverfolgung verarbeiten und der Bezirksverwaltungsbehörde im Umfang ihres Verlangens übermitteln; eine Verarbeitung der Daten zu anderen Zwecken ist unzulässig.

(5) Der nach Abs. 1 Verpflichtete hat im Rahmen der Verarbeitung und Übermittlung dieser Daten geeignete Datensicherheitsmaßnahmen zu treffen und insbesondere sicherzustellen, dass die Daten nicht durch Dritte einsehbar sind.

(6) Der nach Abs. 1 Verpflichtete hat die Daten für die Dauer von 28 Tagen vom Zeitpunkt ihrer Erhebung aufzubewahren und danach unverzüglich zu löschen.

(7) Können Kontaktdaten aus berechtigten Gründen der Anonymität in der Form des Abs. 1 nicht erhoben werden, sind geeignete Alternativmaßnahmen zu setzen.

(8) Abs. 1 gilt nicht für

1.

Betriebsstätten und bestimmte Orte, an denen es zu einem Aufenthalt überwiegend im Freien kommt und auf Grund dieser Verordnung gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten ist;

2.

Zusammenkünfte gemäß § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und 2;

3.

Zusammenkünfte im privaten Wohnbereich.


§ 17 der "Öffnungsverordnung" basiert auf § 5c Epidemiegesetz 1950; die rechtliche Begründung für die Verordnung kann man auf der Homepage des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nachlesen. Zur "Erhebung von Kontaktdaten" findet man dort Folgendes vor:

"XV. Erhebung von Kontaktdaten

Klargestellt wird, dass eine Kontaktdatenerhebung dann zu erfolgen hat, wenn sich die betroffenen Personen voraussichtlich länger als 15 Minuten am betreffenden Ort aufhalten. So wird dies beispielsweise bei Fahrgeschäften (§ 9) in der Regel nicht der Fall sein. In Abs. 7 wird nunmehr eine Ausnahme von der Kontaktdatenerhebung normiert, sofern ein Anonym bleiben einen berechtigten Grund darstellt. So ist dies insbesondere bei anonymen Beratungen der Fall. Dabei sind geeignete Alternativmaßnahmen zu setzen (beispielsweise durch Decknamen, Codes oä). Abs. 8 Z 1 normiert, dass die Verpflichtung zur Erhebung von Kontaktdaten gemäß § 17 Abs. 1 nicht gilt, wenn es sich um Betriebsstätten und bestimmte Orte handelt, an denen es zu einem Aufenthalt überwiegend im Freien kommt und auf Grund dieser Verordnung gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten ist. So kann in der Regel bei Tiergärten, Zoos, Freibädern udgl. von der Kontaktdatenerhebung abgesehen werden, nicht aber bei Gastronomiebetrieben oder bei Sportstätten im Freien (Unterschreitung des zwei Meter Abstandes vorgesehen). Vor dem Hintergrund der Weitläufigkeit dieser Einrichtungen und die in der Regel kaum stattfindende Interaktion mit anderen Personen, kann hier von einer verpflichtenden Kontaktdatenerhebung abgesehen werden. Klargestellt wird, dass für die in Tiergärten, Zoos, Freibädern etc. geführten Gastronomiebetriebe eine Kontaktdatenerhebung (bei einem länger als 15 Minuten andauernden Aufenthalt) zu erfolgen hat. Abs. 8 Z 2 und 3 nimmt Zusammenkünfte nach § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und 2 und Zusammenkünfte im privaten Wohnbereich aus, da hier die jeweiligen Kontaktpersonen im Regelfall persönlich bekannt sind und eine zusätzliche Kontaktdatenerhebung in der Folge nicht erforderlich ist."

Unterzieht man die "Erhebung von Kontaktdaten" bzw. die ministerielle Begründung einer Kontrolle der von Datenschutzbehörde und Verfassungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen, wird schnell klar, dass die Regelung der "Erhebung von Kontaktdaten" (wiederum) nicht rechtskonform ausgestaltet ist.

Einerseits liegt eine Verletzung von Art. 5 der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) vor, andererseits liegt durch die Einführung einer verpflichtenden Kontaktdatenerhebung eine Betretungsbeschränkung u.a. für gastronomische Betriebe vor, die - wie vom Verfassungsgerichtshof gefordert - nicht ausreichend begründet wurde. Es fehlt dieser Betretungsbeschränkung sowohl an der (gesetzlich vorgeschriebenen) Abwägungsentscheidung, als auch einem Hinweis darauf, auf Basis welcher Informationen bzw. maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung, im Rahmen des gesetzlichen Ermessungsspielraumes, tatsächlich getroffen wurde.

Was man unter dem vom sachlich zuständigen Bundesministerium in seiner Begründung verwendeten Begriff "Fahrgeschäften (§ 9)" verstehen soll ist nicht erkenn- und nachvollziehbar. Ebenso ist vollkommen unverständlich, warum man die Wortfolge "Kontaktdaten, insbesondere, sofern vorhanden, Telefonnummer und E-Mail-Adresse" aus § 5c Epidemiegesetz 1950 nicht wortident in die Öffnungsverordnung übernommen hat; dort lautet die Formulierung in § 17(1) Z2: "die Telefonnummer und wenn vorhanden die E-Mail-Adresse".

Das führt zu einer, sachlich nicht zu rechtfertigenden, Ungleichbehandlung von Menschen, die über ein Telefon bzw. eine Telefonnummer verfügen und solchen, bei denen (es handelt sich um ca. 270.000 Einwohner) das eben nicht der Fall ist.

Dazu kommt noch, dass all diejenigen, die "berechtigt" oder "begründet" nicht bekannt oder nicht genannt sein, sohin namenlos oder anonym bleiben wollen, der Kontaktdatenerhebung nicht unterliegen (§ 17(7) der Öffnungsverordnung). Diese Ausnahmeregelung wird vom Bundesministerium in der Begründung weder erläutert noch, anhand von Fallbeispielen, erklärt. Grundsätzlich könnte also jeder, unter Verwendung eines "Codes" oder "Decknamens" "registriert" werden. Wie und unter Berücksichtigung welcher Kriterien soll ein Gastronom oder ein zum COVID-19-Beauftragten bestellter Mitarbeiter das "Anonymitätsbegehren" eines Gastes kontrollieren bzw. diesem gerecht werden?

Chr. Brugger

19.05.2021