Noch einmal zur „Leit-Kultur“ der ÖVP
Wie tief muss man moralisch gesunken sein, um sich das Gedankengut der deutschen AfD zunutze zu machen bzw. für parteipolitische Zwecke zu verwenden?
Gesucht wird (offiziell) eine verbindliche, verbindende Leitkultur – die ÖVP hingegen grenzt mit ihrer dubiosen Kampagne ganz bewusst aus, spaltet, säht Missgunst und missbraucht den Begriff der Kultur für ihre eigenen, parteilichen Interessen – Nehammer, Stocker & Raab haben nicht das geringste Interesse daran, eine einheitliche Leitlinie für alle in Österreich lebenden Menschen zu skizzieren; es geht den Genannten bloß darum, alles, was nicht typisch österreichisch sein soll, zu diskreditieren, Asylsuchende, Flüchtlinge & Migranten auszugrenzen bzw. Integration zu verunmöglichen. Fr. Raab will offenbar damit kaschieren, dass sie als "Integrationsministrantin" auf allen Ebenen völlig versagt hat.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000213774/die-volkspartei-propagiert-nun-offiziell-tradition-statt-multikulti
Die Frage ist, ob Raab mit dieser, von der ÖVP lancierten, Farce nicht sogar ihr Amt für parteiliche Zwecke missbraucht; sie wäre an und für sich der Verfassung & den Bürgern dieses Landes verpflichtet und nicht einer im Absturz befindlichen politischen Partei.
Was für die deutsche AfD recht ist, kann für die Türkisen offenbar nicht billig genug sein; aus dem Grundsatzprogramm der "Alternative für Deutschland" etwas extrahieren zu wollen ist das eine; die Quelle schuldig zu bleiben erinnert an die wissenschaftliche Praxis einer Fr. Aschbacher, die im zitatlosen "Abkupfern" gar eine Meisterin ihres Faches gewesen sein soll.
Wie der AfD geht es der ÖVP um die gesetzliche Verordnung einer national verbindlichen Leitkultur, einer Einstellung zur Gesellschaft, die (bei der Einreise) an den Landesgrenzen beginnen soll und dort (bei der Ausreise) auch wieder enden darf.
So wie aus dem "Bargeld in der Verfassung", der "Normaldebatte", dem "Glaubt an Österreich" und allem anderen, was Nehammer & Co in den letzten Monaten "promotet" haben, nichts geworden ist, wird es auch bei der "Leitkultur" sein – nichts als heiße Luft.

Quelle: https://dietagespresse.com/das-ist-fuer-die-leit-kultur-mit-diesen-sujets-rettet-die-oevp-unser-oesterreich/
Der kruden Idee mangelt es nicht bloß am dogmatischen Fundament, vielmehr noch an deren praktischer Notwendigkeit – und, was wollen Nehammer, Raab & Stocker überhaupt in ein entsprechendes Gesetz schreiben, von dem sie laufend faseln? Jeder in Österreich aufhältige Mann muss eine Lederhose besitzen, Blasmusik mögen und Schuhplattler sein, während die Frauen jungfräulich heiraten, Schweinsbraten kochen und mindestens drei oder vier gesunde Kinder zur Welt bringen müssen? So stellen sich das der smarte Karli, die taffe Susi & der schlaue Stocki vor; einen anderen Schluss lässt die (mittlerweile wieder abgeblasene) türkis-schwarze Werbeaktion auch gar nicht zu – allein, das interessiert kein Schwein.
Zum "Leitkultur-Verständnis der AfD" gibt es in "Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte" ("Die Zeitschrift für Politik und Kultur") in der Ausgabe 11/2017(!) einen interessanten Beitrag, dessen Inhalt die "Alternative für Österreich" scheinbar nicht verstanden hat (https:// www.frankfurter-hefte.de/artikel/leitkultur-verstaendnis-der-afd-vs-verfassungspatriotismus-2507/):

Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000214202/oevp-general-stocker-bei-armin-wolf-von-leitkultur-zu-neidkultur-der-gehaelter
"Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und drittens dem römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt«. Es geht demnach um eine »deutsche«, nicht um eine universelle »Leitkultur«. Doch von den drei genannten Quellen ist keine exklusiv »deutsch«: Das Christentum ist weltweit verbreitet, die Aufklärung steht für eine kulturübergreifende Denkhaltung, und das römische Recht prägt alle modernen Rechtsstaatsvorstellungen. Dies bedeutet in der Gesamtschau: Die AfD kann selbst nicht das typisch »deutsche« ihrer Auffassung von »deutscher Leitkultur« benennen."
All das trifft auch auf den österreichischen Ableger der deutschen AfD zu – eben und wie immer: Viel Lärm um nichts … eine "Leit-Kultur" ist in etwa so hilfreich wie Zahnschmerzen
Chr. Brugger
03/04/2024