Misstrauen gegenüber der Politik
Dass Skepsis gegenüber der Politik an sich, im Verhältnis zu Spitzenpolitikern speziell, mehr als berechtigt und angebracht ist, nach und nach auch öffentlich zum Ausdruck gebracht wird, hat sich in den letzten Monaten bewahrheitet. Man muss die Repräsentanten des Volkes, zumindest den türkis-schwarzen Teil der Bundesregierung, nicht Lügen zeihen, sie lediglich beim Wort nehmen, um festzustellen, mit wem wir es tatsächlich zu tun haben, wie vertrauenswürdig sie sind.

Quelle: https://www.dw.com/de/proteste-in-wien-gegen-corona-maßnahmen/a-56251795
Dazu kurz die Chronologie: Am 02.12.2021 hat sich ein ehemaliger Bundeskanzler der Republik Österreich aus der Politik verabschiedet. Auf die Begründung einzugehen hieße, ihn mit weiteren Unwahrheiten konfrontieren zu müssen.
Die Reaktionen auf den Rücktritt, mag er nun unausweichlich oder ein "nobler Zug" gewesen sein, waren recht unterschiedlich. Während der eine Teil dem Ex-Kanzler keine Träne nachweint, froh und befreit wirkt, rechtfertigt der andere den Rückzug, wird der Anschein erweckt, man hätte Wertvolles verloren.
Man kann das sehen, wie man will, es ändert an der Tatsache nichts mehr. Kurz ist weg. Ob vorübergehend oder dauerhaft, ließ Kurz offen, was wieder Spekulationen Vorschub leistet - gewollt oder ungewollt, bleibt dahingestellt.
Im Gefolge von Kurz sind die Minister Blümel und Faßmann zurückgetreten, Schallenberg hat als Kanzler sein Amt zur Verfügung gestellt, das nunmehr von Nehammer übernommen werden soll. Außenminister Linhart wurde zwar mit keinem Wort erwähnt, dürfte aber wiederum von Ex-Außenminister und Ex-Kanzler Schallenberg "beerbt" werden, wohingegen Polaschek von Faßmann, Karner vom bisherigen Innenminister Nehammer und Brunner von Blümel übernehmen. Das wäre es dann, wenn ich nichts übersehen habe; ach ja, wir bekommen eine neue Staatssekretärin im Kanzleramt, die Plakolm heißen und parteiintern als "neue Kurz" gehandelt werden soll.
Nun dürfte jedem, dem die innenpolitischen Entwicklungen in der Ära Kurz II nicht völlig verborgen geblieben sind, aufgefallen sein, warum Kurz seines Amtes verlustig geworden ist, er zuerst einen Seitensprung wagte um sich ein paar Wochen später gänzlich aus der Politik zu verabschieden. Er ist an seiner eigenen Hybris gescheitert, über seine eigene Dummheit gestolpert, hat sich in einem Netz aus allenfalls sogar strafrechtlich relevanten Spinnereien verheddert, aus dem es schon aus moralisch-charkterlichen Gründen kein Entkommen mehr gab.
Daran können auch die zu Hilfe eilenden "Kurz-Biographen" nichts ändern, allen voran Andreas Kohl, der Kurz nicht als gescheitert sieht, sondern als Opfer einer bösen Intrige: "Kurz wurde abgeschossen", meint Kohl, den Todesstoß hätte ihm der momentane Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen versetzt, die Weggefährten in einer "Koalition sui generis", wie Kohl das nennt. Dazu müsse jeder erkennen, welch Ausnahmetalent Kurz gewesen sei, seine Spuren im Land seien sichtbar, sein Auftritt beim Rücktritt wäre gar "Noblesse" gewesen. Kohl resümiert das Ganze in etwa so: "Das Ziel war klar: Kurz muss weg - Ziel erreicht".
Das, was Kohl mitzuteilen hatte (nachzuhören in der ORF-TV-thek), mag man als dumm oder klug ansehen - auf das Aussehen des Gesamtbildes hat es keinen Einfluss, insbesondere nicht auf das vorhandene Misstrauen in der Bevölkerung.
Könnte man Spitzenpolitikern oder -funktionären tatsächlich trauen, würde morgen zwar (wieder einmal) eine neue Bundesregierung angelobt werden, zweifelsfrei aber nicht in der zu erwartenden Konfiguration.
In jedem Fall dürften in der Bundesregierung, gerechtfertigtes Vertrauen vorausgesetzt, folgende Personen nicht mehr aufscheinen:
Köstinger, Raab, Edtstadler, Brunner, Nehammer, Schallenberg, Kocher, Schramböck und Tanner.
Sie alle haben im Oktober, soweit ich mich erinnern kann war es der 08.10.2021, Folgendes medienwirksam verlauten lassen und unterschriftlich in alle Himmelsrichtungen hinausgepostet:
"Aus tiefster demokratischer Überzeugung stellen wir als Bundesministerinnen und Bundesminister der Republik Österreich hiermit klar: Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben".
Nun lasse ich wieder Herrn Kohl zu Wort kommen: Im vorerwähnten Interview hat Kohl u.a. Folgendes geäußert: "Papiere sind ernst zu nehmen - Umstände können sich ändern". Umstände können sich durchaus ändern, das unterschriebene Papier aber nicht; insofern hätten selbst geänderte Umstände keinen Einfluss auf den Gehalt der verschriftlichten Erklärung.
Das, was Kohl meinte, ergibt weder sprachlich noch denklogisch einen Sinn; Kohl scheint damit auf die Rechtsfigur vom Wegfall der Geschäftsgrundlage anspielen zu wollen, der Machiavelli eine politische Dimension eröffnet hat und die z.B. bei einem Jörg Haider immer wieder Verwendung finden durfte.

Quelle:https://www.reddit.com/r/Austria/comments/ndiiyd/wolfgang_hanger_und_andreas_sobotka/
Dieses fragwürdige politische Konstrukt ist im konkreten Fall aber keine taugliche Argumentationsbasis, weil sich die Voraussetzungen zu keinem Zeitpunkt geändert haben. Dazu ist die schriftliche Stellungnahme von Edtstadler & Co viel zu eindeutig: Wenn kurz nicht mehr Kanzler ist, sitzen auch wir nicht länger in der Bundesregierung; einzige, denklogische Konsequenz: Wenn Kurz weg ist, sind auch wir weg. Nun ist Kurz weg und sie sind es nicht. Der einzige Umstand, der sich geändert hat ist, dass Kurz weg ist - allein, die angekündigte Konsequenz aus dem Eintritt der Bedingung ist ausgeblieben. Das würde ich als Demaskierung derjenigen bezeichnen, die beim Roulette all ihr Erspartes auf eine türkise Null gesetzt und damit verloren haben, hingegen nicht bereit sind, den damit einhergehenden Verlust zu vorbehaltlos zu akzeptieren. Genau so gut könnte man das als charakterschwach, verwerflich oder einfach dämlich bezeichnen.

https://www.nachrichten.at/politik/innenpolitik/das-netz-lacht-ueber-schreienden-nationalratspraesidenten-sobotka;art385,3144752
Dümmer und vertrauensvernichtender kann man sich aber eigentlich gar nicht verhalten; nur weil dieses "Posting" mittlerweile von diversen Facebook-Seiten gelöscht wurde, bedeutet das nicht, dass das Geschriebene nicht mehr vorhanden wäre und sei es auch nur in der Erinnerung.

Quelle: https://www.reddit.com/r/Austria/comments/ncfd5p/witzfigur_hanger/
Dass es sich dabei um keine Lüge handelt oder handeln muss, sondern eher um ein Druckmittel in Richtung Koalitionspartner, ändert nichts an der Tatsache, dass man hoch gepokert und alles auf einmal verloren hat. Kanzler Kurz, das restlich vorhandene Vertrauen der Bevölkerung und die ohnedies sehr bescheidene persönliche Reputation. Alles weg - nur sie selbst eben nicht.

Dasselbe wie für Ex-Innenminister und Neo-Kanzler Nehammer, Ex-Kanzler und Neo-Ex-Außenminister Schallenberg & Co gilt auch für die sonstige "Crème de la Crème" der ÖVP, deren Parlamentsclub: Sobotka, Wöginger, Hanger, Hörl & Co - auch sie dürfte es im bzw. als Parlamentsclub schon längst nicht mehr geben.

Quelle: https://meinklub.at/august-woeginger/
Quintessenz dieser Schwachsinnaktion: Am Ende ist einem das Hemd, oder, um Kurz zu bemühen, der Arsch immer näher als die viel zu große Slim-Fit-Hose; mag diese türkis, mit einem schwarzen Strich bestickt und noch so kurz sein.
Chr. Brugger
05.12.2021