Majestätsbeleidigung?
Was haben Hossein Vafaei und Roberto Bautista Agut gemein? Nichts, möchte man auf den ersten Blick hin meinen; bei näherer Betrachtung wird aber sehr schnell klar, dass beide zumindest in Sportarten tätig sind, bei denen es um "Rundes" geht; der eine beschäftigt sich mit 22, unterschiedlich gefärbten, Kugeln aus Phenolharz, der andere mit Bällen aus Naturgummi samt diese umgebender Filzschicht in gelber Farbe.
Quelle: https://www.tennisnet.com/news/snooker-legende-ronnie-osullivan-im-duell-mit-djokovic
Beide sind auch, in ihren jeweils ausgeübten Sportarten, die derzeitige Nummere 18 der Weltrangliste; Vafei beim Snooker, Bautista Agut im Tennis.
Gemeinsam ist den beiden Sportlern auch, dass sie "in der Szene" mehr oder minder bekannt sind und als "mittelprächtig" gelten, wohingegen sie von der Spitze der jeweiligen "Weltelite" in etwa so weit entfernt sind, wie vergleichsweise der 1. FC Union Berlin, ein Fußballverein aus Köpenick, der seine Heimspiele traditionell im Stadion "An der Alten Försterei" austrägt, vom Gewinn der UEFA Champions League.
Während man vom Spanier Bautista Agut abseits des Tennissports kaum etwas hört oder vernimmt, ist sein "Weltranglistenkollege" Vafei zu Beginn der Snooker-Weltmeisterschaft 2022 dadurch auffällig geworden, als er in einem Interview auf metro.co.uk vermeinte, den Weltbesten seiner Zunft zum Rücktritt aufzufordern.
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/snooker-star-ronnie-o-sullivan-ueber-die-wm-in-sheffield-16148827/volle-konzentration-ronnie-16148823.html
Damit vergleichbar wäre es nur, wenn Bautista Agut dem Serben Novak Đoković via Medien ausrichten ließe, er solle doch seinen Tennisschläger an den Nagel hängen, sich anderem widmen und künftig von Tennisplätzen fernhalten, auf denen namhafte Turniere gespielt werden.
Nun ist Đoković, neben Rafael Nadal und Roger Federer, zweifelsfrei einer der aktuell besten, bekanntesten und erfolgreichsten Tennisspieler der Welt; was allerdings die Ausnahmestellung des "Klassenbesten" im Snooker betrifft, ist selbst ein Novak Đoković mit dem Ausnahmestatus des ungekrönten Snooker-Königs nicht vergleichbar, gleicht insofern die Aufforderung des Iraners Vafei einer Majestätsbeleidigung.
Zu einem Zeitpunkt, als Vafei noch gar nicht auf der Welt war, hatte der damals erst 17-jährige Ronald Antonio "Ronnie" O´Sullivan bereits die UK Championship 1993 sowie die British Open 1994 gewonnen; während es der "Majestätsbeleidiger" bislang auf "schlappe" 61 Century Breaks gebracht hat, rangiert O´Sullivan auch in dieser Rangliste nicht nur an oberster Stelle, sondern ist weltweit der Einzige, der weit jenseits der magischen 1000-er Marke liegt.
Zudem ist "The Rocket" der bei weitem erfolgreichste aktive Snooker-Spieler, die Leuchtfigur einer ganzen Sportart, sechsmaliger Weltmeister und hat je siebenmal das "Masters", sowie die "UK Championship" gewonnen; auch bei den sog. "Maximum Breaks" liegt O´Sullivan unangefochten vorne, ist in der Lage ein "Maximum" in 5 Minuten und 8 Sekunden zu spielen, während Vafei einen solcher außergewöhnlicher Frame bislang versagt geblieben ist.
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/sport/zum-sechsten-mal-snooker-weltmeister-warum-2020-fuer-ronnie-osullivan-ein-gutes-jahr-war/26747386.html
Den Rücktritt einer Ikone, lebenden Legende zu fordern ist dummdreist, nicht nachvollziehbar, zeugt von schier grenzenloser Respektlosigkeit vor einem, der diese Präzisionssportart in den letzten drei Jahrzehnten nicht nur in das Rampenlicht der globalen Öffentlichkeit gebracht, sondern auf ein bislang nicht bekanntes Niveau angehoben hat; er ist weltweit auch der einzige Profi, der in der Lage ist, ein "Century" sowohl mit der rechten als auch der linken Hand zu spielen.
Mit seiner Aufforderung an O´Sullivan, als Weltranglistenerster zurückzutreten, hat Vafei durchaus Aufmerksamkeit erlangt - mit seinem Snookerspiel, zumindest bislang, allerdings nicht; der Iraner sollte die Zeit für sinnentfremdete Interviews besser zum Trainieren nutzen, zur Verbesserung seiner Performance bzw. Weltranglistenposition.
Chr. Brugger
20/04/2022