Unwissenheit & Unredlichkeit?
Wenn ich mich recht entsinne, hat Karl Nehammer anlässlich seines heurigen "Sommergespräches" am 02.09.2024 u.a. behauptet, 85% des aktuellen Regierungsprogrammes (2020 – 2024) wären bereits umgesetzt.
Nun weiß ich naturgemäß nicht, wie Nehammer "gewichtet" oder rechnet; klar ist mE aber, dass der bei weitem größte Teil des auf 232 Seiten aufgeblasenen "Wünsch dir was Luftballons" unerledigt seiner Erledigung harrt.
Quelle: https://gutezitate.com/zitat/125833
Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, würde ich mich all jenem auseinandersetzen, was Kurz, Schellenberg & Nehammer nicht zustande gebracht haben; ein paar "Highlights" kann ich meinen Lesern aber dennoch nicht ersparen; die Auswahl orientiert sich dabei überwiegend an denjenigen Themen, die ob des Nichtstuns von Türkisgrün besonders brisant sind:
Verwaltung in die Zukunft führen: Kein einziger der genannten Punkte wurde umgesetzt; dasselbe gilt für ein modernes Förderwesen sowie die Sicherstellung nachhaltiger Vergaben im öffentlichen Bereich.
Kontroll- und Transparenzpaket Informationsfreiheit: Von einer Abschaffung des Amtsgeheimnisses bzw. der Amstverschwiegenheit kann keine Rede sein; Art. 20(3) u. (4) B-VG wurden bislang nicht aufgehoben; die Pflicht zur aktiven Informationsveröffentlichung gilt hingegen nur sehr eingeschränkt.
Wohnen: "Investitionsanreize für Sanierungen und Neubau (insbesondere auch durch Abschluss eines neuen Finanzausgleichs ab 2022)" – nicht erledigt, nichts getan; "Eigentumsbildung fördern" – nicht erledigt, nichts getan; "Baulandmobilisierung" – nicht erledigt, nichts getan; "Wohnungseigentum: Modern, sinnvoll und klar verständlich" – nicht erledigt, nichts getan; "Schaffung von leistbarem Wohnraum" – nicht erledigt, nichts getan; "Wohnbauförderung" – nicht erledigt, nichts getan; "Leerstand & Mindernutzung" – nichts erledigt, nichts getan
Vor allem in diesem Bereich stellt sich die Frage, wie ernst Nehammer und vor allem Dauerschwätzerin Plakholm ihre vollmundigen Ankündigungen zum Thema "leistbares Eigentum" nehmen – bei kaum einem anderen Thema ist das Totalversagen der ÖVP deutlicher erkennbar (wer sich selbst von der Untätigkeit der Regierung überzeugen will, muss nur die Seiten 32 – 34 des Regierungsprogrammes lesen).
Medien: "Österreichischen und europäischen Medienstandort stärken", Kooperation der dualen Medienlandschaft – Medienstandort Österreich stärken" – auch in diesem Bereich wurde nur viel geschrieben und kaum etwas sinnstiftend erledigt (Seiten 40, 41).
Finanzen & Budget: Die traurige wirtschaftliche Realität steht dem Inhalt des Regierungsprogrammes diametral entgegen; so ziemlich das Einzige, was man ganz gut zusammengebracht hat, ist die Umsatzsteuerreduzierung für Damenhygieneartikel sowie eine Ausweitung der Spendenabsetzbarkeit auf weitere gemeinnützige Organisationen; für die teilweise Abschaffung der "kalten Progression" feiert man sich zwar laufend selbst ab, übersieht aber bzw. verschweigt, dass zumindest nach Ansicht des Fiskalrates diese Maßnahme mittelfristig zu einer budgetären Katastrophe führen wird.
Quelle: https://gutezitate.com/zitat/157246</p>
Standort, Entbürokratisierung & Modernisierung: Wie weit Anspruch und Wirklichkeit voneinander entfernt sind, kann man sich beim Kapitel "Fachkräfteoffensive für Österreichs Unternehmen umsetzen" ansehen; es gibt weder eine "Fachkräfteoffensive" noch eine entsprechende Strategie; stattdessen sehen sich Unternehmen, ebenso wie Lehrlinge, immer noch mit absurden wie steinzeitlich anmutenden Lehrplänen, Leitfäden, Richtlinien etc. konfrontiert, deren Inhalte an Schwachsinn kaum zu überbieten sind; und für die dringend erforderliche Reform der Gewerbeordnung hat es scheinbar an Zeit & "Gehirnschmalz" gefehlt.
Standort, Entbürokratisierung & Modernisierung: Man muss hier lobend erwähnen, dass Nehammer & Co in der Lage sind, die Überschrift fehlerfrei schreiben zu können; wenn es aber um die Bedeutung von Wörtern geht, scheint es doch etwas zu hapern; unter "Entbürokratisierung" verstehen ÖVP & Grüne scheinbar das anhaltende Schikanieren all jener Unternehmer, die ihre Betriebe wirtschaftlich erfolgreich führen und / oder expandieren wollen; anders ist es nicht zu erklären, dass vor jeder geplanten Umbaumaßnahme eine Heerschar an Behördenvertretern samt Amtssachverständigen aufmarschiert, um sich wichtig zu machen und gegen alles zu sein, was deren persönlichen Animositäten widerstrebt; dazu kommt, dass Genehmigungsverfahren der einfachsten Art Monate, wenn nicht Jahre dauern und kaum noch jemand bereit ist, unbürokratisch bzw. rasch zu entscheiden.
Wenn hingegen namhafte Unternehmer beispielsweise in Kärnten Windräder errichten wollen, müssen sie hunderttausende Euro für Projektunterlagen in die Hand nehmen, um nach 10(!) Jahren zu erfahren, dass diese Form der Energiegewinnung in "Nordslowenien" nicht erwünscht ist; im Unterschied dazu kann man sich in der Land- und Forstwirtschaft des Eindrucks nicht erwehren, jede Fichte oder Lärche benötigte einen eigenen Forstweg.
Bei den Vergabeverfahren im öffentlichen Bereich regiert vor allem in ländlichen Gegenden nicht das "Bestbieterprinzip", sondern die "richtige" Parteifarbe; der Klassiker dabei ist, dass just immer schwarze Politiker in den Gemeindevertretungen es sind, die Aufträge (wie von Zauberhand) auch als privatwirtschaftliche Unternehmer erhalten.
Vielleicht kann Nehammer erklären, inwiefern es ihm bislang gelungen ist, "verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse verstärkt (zu) nutzen, um Verwaltungsabläufe effizienter zu gestalten und Bürokratie zu reduzieren" (S. 65).
Innovation durch Risikokapital ermöglichen: Auch bei dieser "Zusage" – viel Lärm um nichts; hohle Phrasen ohne jedwede Bereitschaft, irgendwie in die Gänge kommen zu wollen; was ist eigentlich aus dem Pilotprogramm "aws Garantie promesse" geworden (S. 69)?
Quelle: https://gutezitate.com/zitat/275699
Die Liste aller unerledigten bzw. gebrochenen Versprechen wäre beliebig fortsetzbar; aber ganz ehrlich: Mir ist es an diesem Punkt schlichtweg zu blöd, mich weiter mit der Unfähigkeit bzw. Untätigkeit von Türkisgrün auseinanderzusetzen; jeder, der in der Lage ist, sinnerfassend zu lesen, kann sich das Regierungsprogramm im Internet herunterladen (https:// www.dievolkspartei.at/Download/Regierungsprogramm_2020.pdf), durchlesen und dann entscheiden, ob Nehammer mit seiner 85%-Ansage gelogen hat oder eben nicht; wenn er recht hätte, müsste ich mich entschuldigen, andernfalls müsste man seine Redlichkeit bezweifeln und ihn zumindest einer schamlosen Lüge bezichtigen.
Eines ist aber vollkommen klar: Für den momentanen Zustand des Landes trägt Nehammer gemeinsam mit seinem Verwaltungskollegium die volle Verantwortung – und darüber, wie dieser Zustand zu beurteilen ist, gibt es keine zwei Meinungen.
"Ich bin überzeugt davon, dass die Politik kein unredliches Geschäft ist. Und insofern sie es doch ist, wurde sie von Politikern dazu gemacht" schrieb Václav Havel – dem ist nichts hinzuzufügen.
Chr. Brugger
12/10/2024