Leseschwäche oder wissentlich gegen den Rechtsstaat?
Dass in Österreich ca. 25% der Bevölkerung nicht sinnerfassend lesen kann, ist PISA-studienevident. Dass sich dieses Krankheitsbild (Klassifikation ICD-10, F81.0 in der WHO-Version 2019) durch alle Bevölkerungsschichten zieht ist dabei ebenso bekannt, wie die Tatsache, dass sich dieses "Manko" nicht auf Österreich beschränkt, vielmehr - pandemiegleich - auf allen Kontinenten verbreitet ist.
Bei der sog. Dyslexie ist sohin, in kurzen Worten, trotz normalem Seh- und Hörvermögen die Fähigkeit eingeschränkt, Wörter oder Texte zu lesen und zugleich auch zu verstehen.
Dieses "Phänomen" tritt vor allem in der Adoleszenz zu Tage bzw. wird dort erkennbar. Man stellt fest, respektive es wird festgestellt, dass man das, was man liest bzw. zu lesen glaubt, nicht versteht. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man beispielsweise das Feuilleton in "Die Zeit" "überfliegt" (von lesen kann ja im Krankheitsfall keine Rede mehr sein) und danach ernüchtert feststellt, dass man nicht weiß, was man so alles "gesehen" hat (Bilder ausgenommen). Irgendwie klingt das gruselig, absurd. Für mich stünde fest, dass ich etwas in jedem Fall nicht tun würde: Jemanden darum zu bitten mir zu erklären, was ich aufgrund meines Defizits eben nicht wahrnehmen oder verstehen kann. Das damit einhergehende Leid würde ich billigend, wiewohl widerwillig, in Kauf nehmen.
Ähnlich dürfte es einem amtierenden Minister der heimischen Republik ergangen sein, als er Anfang März dieses Jahres Post vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) erhalten hat. Jetzt war der VfGH, das muss man konstatieren, so unfair, nicht per SMS oder via WhatsApp beim Adressaten vorstellig zu werden; das zweite, schwere und rotwürdige Foul des VfGH bestand darin, sich offensichtlich bzw. nachlesebar (AZ: UA 1/2021-13) bemüßigt zu fühlen, die, zusammengefasst recht einfache, Botschaft an den Minister auf insgesamt 46(!) DinA4-Seiten anwachsen zu lassen:
"Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E. G., A. M. und G. B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T. S., E. H.-S., M. K., B. P. und M. L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen."
Man darf, ich im Speziellen, dem Minister nichts Böses, schon gar nicht absichtliches Fehlverhalten bzw. Rechtsverweigerung zu unterstellen; vielleicht leidet auch unser für die Finanzen zuständiger Staatsdiener Gernot B. an der, eingangs erwähnten, Dyslexie.
Dieser Annahme widerspricht allerdings, dass der Finanzminister ein Studium absolviert hat, was vermuten lässt, dass er nicht einen Anteil am 25%-igen Prozentsatz für sich verbuchen darf; oder, er hat während seines Studiums ein sog. "lucidum intervallum" der besonderen Art genossen, war also in diesem Zeitraum (2002-2009) im Vollbesitz seiner (geistigen) Kräfte. Dafür, dass Blümel dieses Momentum im fraglichen Zeitraum zur Verfügung stand, spricht auch, dass er in dieser Zeit auch eine "bahnbrechende" wissentliche Arbeit ("Der Personenbegriff in der Christlichen Soziallehre und -philosophie unter der besonderen Berücksichtigung von Vogelsang, Lugmayer und Messner") abgeliefert hat, bei deren näherer "Begutachtung" durchaus ein eigenes, möglicherweise weiteres, unrühmliches Kapitel aufschlagen könnte.
Geht man allerdings davon aus, dass Gernot Blümel sehr wohl sinnerfassend lesen kann, dann ist die beharrliche, über 2 Monate(!) andauernde, Missachtung der Aufforderung durch den VfGH "Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet" eine grenzenlose Frechheit, einzigartig in der zweiten Republik und darüber hinaus ein (weiterer) Angriff gegen den Rechtsstaat.
Wenn nunmehr im Nachhinein versucht wird, mit fadenscheinigen Argumenten (Sorgepflicht gegenüber Mitarbeitern etc.) die Missachtung einer höchstgerichtlichen Entscheidung in einem rechtfertigenden Licht erscheinen zu lassen, erhellt diese unsinnige Vorgangsweise noch viel mehr die blümel´sche Einstellung zum Rechtsstaat. Er stellt mit dieser Argumentationslinie noch eindeutiger klar, dass er über keinerlei Respekt gegenüber dem Rechtsstaat, den Bezug habenden Untersuchungsausschuss, den Grundfesten innerstaatlicher Gerichtsbarkeit verfügt.
Es hat den Anschein, dass Blümel vermeint, in einem, bereits Monate andauernden, Anflug von Größenwahn tun und lassen zu können, wie es ihm beliebt.
Es wird, davon gehe ich aus, nicht lange dauern und es wird die nächsten Rücktrittsforderungen "hageln", die nächsten Misstrauensanträge, die nächsten Forderungen nach einer Ministeranklage ... es wird sich also, zum wiederholten Mal, die Frage stellen, ob man Blümel halten kann oder nicht; entschieden wird diese Frage erneut durch "Die Grünen". Diese Mal sind die Vorzeichen bzw. Bedingungen für das Verhalten des Koalitionspartners allerdings etwas anders "gestellt": Bundespräsident Alexander Van der Bellen war im Sinne des Art. 146(2) B-VG bereits mit der Exekution von Blümel beauftragt und beschäftigt; dieses Faktum hat, da bin ich mir sicher, nicht nur in der Öffentlichkeit tiefe Spuren hinterlassen. Man darf davon ausgehen, dass eben dieselben beim künftigen Verhalten der "Grünen" im Nationalrat noch deutlich zu spüren sein werden. Alles andere böte reichlich Nährboden für den nächsten, diesfalls grünen, Skandal.
Chr. Brugger
07.05.2021