Land der österreichischen Identität

13.02.2024

Ein absolut erstaunlicher "Wurf" ist Karl Nehammer mit der Forderung nach einer nationalen, österreichspezifischen Identität gelungen; wer, wenn nicht Nehammer, wäre prädestiniert, uns das Gefühl zu vermitteln, wir Österreicher müssten, so wir das noch nicht wären, spätestens 2030 lebende Wesen mit einer möglichst kongruenten Selbstübereinstimmung sein?

Ja wer, wenn nicht er?

Quelle: https://www.derbund.ch/historische-ereignisse-von-erschreckender-aktualitaet-349446546275

Naturgemäß kann ich schwer einschätzen, inwiefern Nehammer anlässlich seiner "Expertise" in die Tiefen dieses kulturellen, keinesfalls politischen, Phänomens eingedrungen ist und sich u.a. mit den philosophischen Grundlagen nationaler Identitäten beschäftigt hat; da ich (zu seinen Gunsten) nicht von vorne herein und apodiktisch annehmen will, er habe sich lediglich aus parteipolitischem Kalkül dazu hinreißen lassen, etwas recht Unnützes zu Papier zu bringen, gehe ich zumindest von einer substantiierten Analyse aus, die er seinem "profunden" Erguss vorangestellt hat.

Quelle: https://www.krone.at/3128333#fb-10555-97e15c79

Bemerkenswert auffällig ist, dass sich Karl Nehammer dabei eines politischen Kampfbegriffes nationalsozialistischer Provenienz bedient, dem bereits Angela Merkel & Friedrich Merz mit ihrer Forderung nach einer deutschen Version des suspekten Begriffs der "LEITKULTUR" "auf den Leim" gegangen sind; Walter Jens wollte ob all dessen bereits im Jahr 2000 diese unsinnige Ausdruckskreatur zum Unwort des Jahres nominieren – Kultur benötigt keinen Dirigismus, wie ihn jetzt der Euro 1,70-McDonalds-Burger einmahnt.

Selbst die These des selbernannten Erfinders der "Leitkultur", Bassam Tibi, wonach "konstruierte Identitäten" erforderlich bzw. unerlässlich wären, reduziert die "leitende Kultur" nicht auf einzelne Nationen, sondern zumindest auf das "vereinte" Europa; da willkürlich-künstliche Konstruktionen (wie die europäische Union) per se über gar keine gewachsene Identität verfügen, bedürfe es, so Tibi, eben eines "Einverständnisses über Gemeinsamkeiten", dem Synonym der von ihm propagierten "Leitkultur".

Zweck seiner "Leitkultur" sei es, "eine wildwüchsige Zuwanderung in eine an den Bedürfnissen des Landes orientierte Einwanderung zu verwandeln und diese Einwanderer im Rahmen einer europäischen Identität zu integrieren".

Auf diesen "Zug" ist also offenbar Karl Nehammer aufgesprungen, ohne jedoch zu realisieren, dass er damit in eine völlig falsche Richtung fährt; die Forderung nach einer "einheitlichen Kultur" war die zentrale Forderung der Nationalsozialisten auf dem Irrweg in die Niederungen ihrer absurden Weltreichfantasien; anders ist u.a. die Rede Adolf Hitlers auf der Kulturtagung des Parteitages der NSDAP vom 06.09.1939 in Nürnberg inhaltlich nicht zu deuten.

Wie auch immer: Selbst, wenn jemand der "Idee" einer Leitkultur etwas abgewinnen möchte, opferte er sie spätestens am Altar ihrer eigenen, national bezogenen Selbstverlieb- oder Beschränktheit; vor allem einer Partei, die laufend das Märchen von einem geeinten Europa erzählt, sollte eine "nationale Identität" fremd sein und folglich eine österreichische Leitkultur als vollkommen widersinnig erscheinen.

Quelle: https://www.worldhistory.org/uploads/images/18101.jpg?v=1701262563

Es hätte allerdings gar keiner intellektuellen Anstrengungen bedurft, sich wahrhaft große Denker zu erinnern, die bereits vor hunderten Jahren in der Lage waren, ein gedeihliches wie weitgehend konfliktfreies Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft so darzustellen, dass es heute keiner "Leitkulturen" bedürfte: Montesquieus "esprit général" oder Rousseaus "Quadratur des Kreises" genügten vollauf.

Nehammer hingegen erliegt, wie bereits vor mehr als einer Dekade Merkl & Merz, einem kruden, völkisch-nationalen Banausentum mit sozialromantischen Einsprengungen à la Herder, Hölderlin oder Novalis; von den Vordenkern auf der europäischen Bühne ist weder etwas zu lesen noch zu hören; Nehammer bevorzugt es, auf der Klaviatur manierierten heimatlichen Gedöns möglichst taktlos zu sein – das wiederum gelingt ihm vorzüglich.

Wer aber schon mit Montesquieu & Rousseau nichts anzufangen weiß und die beiden bestenfalls vom Hörensagen kennt, dem wird auch Hegels "Phänomenologie des Geistes" weder vertraut noch bekannt sein; just dort wäre aber zu finden, was Karl Nehammer schonungslos entlarvt und all jenen in die Karten spielt, die ihn so liebevoll "Schmähhammer" nennen: "Dies eine Wissen, dass im Absoluten alles gleich ist, der unterscheidenden und erfüllten oder Erfüllung suchenden und fordernden Erkenntnis entgegenzusetzen oder sein Absolutes für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis".

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000141850921/bundeskanzler-nehammer-sieht-erfolg-bei-migrationsfragen

Vor dem Hintergrund dieses gravierenden intellektuellen Ungleichgewichts kann sich Nehammer am heutigen Faschingsdienstag sein dümmlich naives "keine Veränderung unserer Fest- und Feiertagskultur, damit unsere Bräuche und Traditionen auch in Zukunft begangen werden können" getrost abschminken – er ist demaskiert.

Chr. Brugger

13/02/2024