Koalitionspoker
Wenn ich mir die diversen Diskussionen und Aussagen über die möglichen Koalitionen vergegenwärtige, die angesichts des Wahlergebnisses denkbar sind, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass alle unisono der Ansicht sind, Karl Nehammer hätte die beste Ausgangsposition.
Diese Ansicht teile ich keinesfalls.
Erstens ist vollkommen klar, dass sich Nehammer "seine" Koalition nicht aussuchen kann; er ist darauf angewiesen, dass ihm entweder Herbert Kickl anbietet, Vizekanzler zu werden oder Andreas Babler auf den Großteil seiner Forderungen verzichtet, die er vor der Wahl zu Bedingungen einer Regierungsbeteiligung erhoben hat; allein, das wird nicht passieren.
Quelle: https://kurier.at/politik/inland/nationalratswahl-2024-oevp-spoe-karl-nehammer-veroehnung-andreas-babler/402933568
Insofern hat Nehammer zweifelsfrei die schlechtesten Karten; wenn er sich der FPÖ verweigert, wird die ÖVP alle nachfolgenden Wahlen bis hin zur nächsten Nationalratswahl mit "Bomben & Granaten" verlieren.
Der von Nehammer bereits verursachte Kahlschlag im türkisen Wählerwald wird dann fortwährend und genau so lange andauern, bis die ÖVP feststellen wird, dass sie in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist.
Biedert sich Nehammer hingegen – und danach sieht es derzeit aus – der SPÖ an, wird er sehr bald feststellen, mit wem er es am Verhandlungstisch tatsächlich zu tun hat; durch die unmissverständliche Ansage, mit Herbert Kickl keine Regierung bilden zu wollen, hat sich Nehammer selbst ins Aus manövriert bzw. von der SPÖ abhängig gemacht, ihr gleichsam ausgeliefert.
Insofern hat Andreas Babler vermutlich sogar die besten Karten; er hat zwar ebenfalls eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen; just deswegen hat er gegenüber der ÖVP aber den großen Vorteil, fordern zu können, was er will; alles, was die ÖVP mit "Biegen & Brechen" verhindern will, ist der Gang in die Opposition; Nehammer & Co sind viel zu gierig und machtbesessen, um auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten.
Nehammer wird deshalb zu allem bereit sein und alles akzeptieren, um Kanzler bleiben zu können; das ist das Trumpfass des Wahlverlierers Babler; er will zwar, muss aber nicht; Nehammer hingegen will und muss.
Quelle: https://dietagespresse.com/fuer-koalition-mit-oevp-kickl-aendert-namen-auf-kackl/
Selbst Karl Nehammer wird es ob dessen vermutlich bald dämmern, dass seine Verhandlungsposition die bei weitem schlechteste ist; für ihn wäre es erheblich leichter, mit der FPÖ zu koalieren – da Nehammer zudem längst bewiesen hat und feststeht, dass er einfach weder fachlich noch intellektuell in der Lage ist, eine Bundesregierung anzuführen, müsste er eigentlich froh & glücklich sein, als Vizekanzler "dienen" zu dürfen; ob er zu einer solchen Selbstreflexion tatsächlich fähig ist, wird man alsbald vernehmen können.
Übrigens: Die Funktion des Bundespräsidenten wird hilflos überschätzt; ob und wem er einen sog. Regierungsbildungsauftrag erteilt ist einerlei; sobald eine parlamentarische Mehrheit nachweislich vorhanden ist, wird Van der Bellen gezwungen sein, die Angelobung vorzunehmen - ob ihm das gefällt oder nicht ist bedeutungslos; er kann und wird nicht dafür verantwortlich zeichnen wollen, dass wir wegen ihm ein weiteres Mal wählen müssen.
Chr. Brugger
01/10/2024