Jedem das Seine

27.01.2023

Manchmal, in letzter Zeit immer öfter, beschäftigen mich vor allem frühmorgens recht eigenartige Gedanken; vielleicht, ich kann es nicht genau verorten, hängt es damit zusammen, dass, gleichsam wie durch Zauberhand, minütlich neue Nachrichten auf meinem Computer eintrudeln, deren "Vielfalt" meine "Denkzentrale" weder verarbeiten und erst recht nicht synchronisieren kann; insofern bin ich heilfroh, mich mit Arbeit "über Wasser" halten zu können; ansonsten drohte mir, ausweglos und ohne etwas dagegen unternehmen zu können, eine Begegnung mit dem Wahnsinn.

Quelle: https://www.neueakropolis.at/philo-ecke/philosophie-wissen/platon.php

Ein, vermutlich der einzige Ausweg, bestünde darin, das Leben eines Eremiten zu führen; abgeschieden, nein, isoliert von Umwelt, Informationen und allen sonstigen Unpässlichkeiten, die mein Leben stückweise so unerträglich absurd erscheinen und in Widerspruch zu dem erscheinen lassen, was Platon zum Ausdruck brachte als er meinte, "dass ein solcher am meisten sich selbst genügte für ein Leben, wie es sein soll, und in löblichem Gegensatz zur der Mitwelt am wenigsten eines anderen bedarf".

Der Gedanke daran, mich mit nichts und niemandem beschäftigen zu müssen, wodurch ich mich laufend belästigt bzw. darin bestätigt fühle, dass eben nicht ich, sondern vielmehr "alles" andere absurd sein müsse, ist mittlerweile viel mehr als eine bloße Überlegung, eine verlockende Idee, der ich mich hingeben könnte.

Noch aber ist es leider nicht so weit; diese Einsicht ist umso bitterer, als für mich dadurch das zur Gewissheit wird, was ich vermeiden sollte: Mich weiter mit "Dingen" zu beschäftigen, worauf ich weder Einfluss habe noch haben möchte; keinen Einfluss zu haben bedeutet einzusehen, nichts ausrichten zu können; keinen Einfluss haben zu wollen bedeutet hingegen, es hinnehmen zu müssen - beiderlei lässt aber nicht unbedingt erwarten, es wäre Besserung in Sicht.

Der Leser wird sich spätestens an dieser Stelle die Frage stellen, warum der Titel dieses Beitrages just "Jedem das Seine" lautet, eine Wortfolge also, deren Bedeutungsgehalt im Laufe von rund 2 ½ Jahrtausenden zwar gravierende Veränderungen erfahren musste, an dessen (ursprünglich-historischer) Aktualität es aber, so oder so, nichts zu deuteln gibt.

Quelle: https://blog.zeit.de/schueler/2015/12/29/platon-und-sokrates-gesprache-ueber-philosophie/?wt_ref=https%3A%2F%2Fwww.google.at%2F&wt_t=1674799399961

Platon war der Ansicht, dass jeder Einzelne nur das "treiben dürfe (...), wozu er, von Natur aus, besonders veranlagt sei (...), das Seinige tun und sich nicht in alles Mögliche einmischen Gerechtigkeit ist" und "niemand sich fremdes Gut aneigne, andererseits des eigenen beraubt werde" - "Gerechtigkeit sei, dass jeder das Eigene und Seinige hat und tut" - jedem das Seine eben ...

Wäre dieses "platonische Ideal" erfüllt, gäbe es nichts zu bemängeln; da es, die Nachrichtenflut bringt das Naheliegende unverhohlen an den Tag, aber anders ist, es sich eben anders verhält, wird viel, beinahe alles, bemängelt, kritisiert und in Frage gestellt. Den größten Anteil der Kritik bzw. des in Frage gestellt Werdens, dürfen jedenfalls, nicht nur hierzulande, die Politiker für sich in Anspruch nehmen.

Sie, die Politiker, sind - ebenso rasant wie selbstverschuldet - zum Inbegriff allen Versagens geworden; das hat dazu geführt, dass das Volk jedwedes Ver- und Zutrauen in Politik und Politiker verloren hat, den Handelnden all das abspricht, wozu diese, ginge es nach Platon, veranlagt sein sollten.

An dieser Gegebenheit lässt sich illustrieren, woran es dem Staat vor am meisten mangelt. Diejenigen, die für nahezu alle Lebensbereiche zuständig sind, verstehen ihr Handwerk nicht; von einer besonderen Veranlagung ist weit und breit nichts erkennbar; im platonischen Verständnis mischen sie sich daher in Angelegenheiten ein, von denen sie nichts verstehen; der griechische Philosoph bezeichnete das jedenfalls als Ungerechtigkeit.

Welche Folgen personifizierte Ungerechtigkeit zeitigen kann, wird u.a. auch daran erkennbar, was verantwortungsloses, politisches Handeln an Schaden verursacht, was mutwillig und sogar gegen schlechtestes Unwissen alles zerstörbar wird, wovon man bislang annehmen konnte, es wäre selbst gegen jedwede Form der Ignoranz gefeit: Ein ansatzweise funktionierendes Staatswesen.

Ich muss hier weder Namen nennen noch "Funktionen" bezeichnen, damit der Leser weiß, wer sich angesprochen fühlen darf; es hätte auch keinen Sinn, Kurz, Schallenberg & Nehammer & Co weiterhin namentlich zu erwähnen; sie sind, vereinfacht ausgedrückt, der Inbegriff der Ungerechtigkeit im Sinne Platons: Sie mischen sich in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen; und das ist auch der Grund dafür, warum jede und jeder mit eben demselben Anspruch über das "Funktionieren eines Staates" orakeln und folglich auch alles bemängeln kann, was die Ungerechten "berufsbedingt" tun - eben das, was sie nicht können bzw. wofür es ihnen an der nötigen Veranlagung fehlt.

Quelle: https://www.neueakropolis.de/philo-ecke/philosophie-wissen/platon.php

Erst dadurch wird letztlich das Undenkbare realistisch und erst dadurch hält kein ungerechtes Argument einem allenfalls noch ungerechteren stand; vielleicht ist es idealisierend oder retroromantisch, am Ende dieses Beitrages noch einmal Platon zu zitieren; eines sollten aber selbst diejenigen zu vernehmen im Stande sein, die im Namen der Ungerechtigkeit belohnt, indem sie für das, was sie anrichten, auch noch bezahlt werden:

"So wäre denn also unser Traum vollständig in Erfüllung gegangen, ich meine die Vermutung, welche wir aussprachen, dass gleich bei Beginn unseres Aufbaues der Stadt wir durch eines Gottes Gunst auf den Anfang und sozusagen Grundriss der Gerechtigkeit hingeleitet zu sein scheinen. (...) Ja, das war allerdings, mein Glaukon - und darum erwies es sich auch so förderlich - eine Art Bild der Gerechtigkeit, dass der zum Schuster Geborene recht tue, nur zu schustern und nichts anderes zu treiben, und der zum Zimmermann Geborene nur zu zimmern und so weiter (...)".

Chr. Brugger

27/01/2023