Im Westen nichts Neues

30.08.2021

Angesichts "westlicher" Politik in der "Causa Afghanistan" muss man sich die Frage stellen, ob vor dem Hintergrund des politischen und diplomatischen Debakels im Land am Hindukusch damit gerechnet werden kann, dass sich am Verhalten des "Westens", am Zugang zur schwierigen Lage vor Ort, in absehbarer Zeit etwas ändern wird oder eben nicht.

Nun verstehe ich unter "dem Westen", das sei vorausgeschickt, ausschließlich diejenigen Staaten, Institutionen und Gremien, die bislang in einem Anflug von Größenwahn vermeint haben, in fremden Ländern für "Ordnung" bzw. "Werte" sorgen zu können, indem man den (absolut untauglichen) Versuch unternommen hat, mit kriegerischen Mitteln fragwürdige "westliche" Standards in den jeweiligen Ländern gewaltsam zu implementieren.

Zu diesen, unter Größenwahn Leidenden, gehört neben den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) vor allem das "vereinte" Europa (EU), das Militärbündnis NATO, letztlich aber auch, zu einem guten Teil, das Völkerrechtssubjekt "Organisation der Vereinten Nationen" (UNO) als "Hüterin des Weltfriedens".

Die Historie der politischen Interventionen des "Westens" in zu Krisengebieten, Schurkenstaaten, Mitgliedern der "Achse des Bösen" und sonstigen "Inseln der Unseligen" - unter medialer Mithilfe - hochstilisierten Gegenden kann man letztlich nur mit "Pleiten, Unvermögen und Pannen" beschreiben; eine Erfolgsbilanz sieht jedenfalls anders aus. Der "Westen" kann sich, letztlich und zusammengefasst, nur ein kollektives Versagen auf die Fahnen heften und für sich reklamieren, über alle Erdteile hinweg eine blutige Spur hinterlassen zu haben; dies im Namen des sog. Weltfriedens und angesichts einer unsäglichen Demokratisierungsfarce samt Menschenrechtsgaukelei. Nüchtern betrachtet und ohne Übertreibung muss von einer Politik der verbrannten Erde gesprochen werden, Millionen tote Menschen hat man billigend in Kauf genommen, ebenso Kollateralschäden aller Art. Geändert hat sich dadurch absolut nichts.

Pablo Picasso, Massaker in Korea

Quelle: https:// blog.thomas-gatzemeier.de/wie-uns-ein-logarithmus-die-kunst-erklaert/

Aus der Geschichte könnte man, so man das wollte, für Veränderungen zugänglich wäre, durchaus etwas lernen. Davon ist der "Westen" jedoch weit entfernt.

Dabei wäre es, dem Grunde nach, sehr einfach. Bush, Clinton, Obama, Trump, Biden sowie die Merkels, Macrons, Stoltenbergs und von der Leyens dieses Planten müssen, gemeinsam mit ihren fürwitzigen Appendizes à la Netanjahu, Bennett, Johnson & Co, nur ein einziges Mal in Schillers Tragödie "Wallensteins Tod" nachlesen, um feststellen zu können, dass sie alle (einzeln und im Kollektiv) nur ewiggestrig sind, unverbesserlich-verkommen, hilflos feig und fürchterlich.

"Ein unsichtbarer Feind ist's, den ich fürchte,
Der in der Menschen Brust mir widersteht,
Durch feige Furcht allein mir fürchterlich.
Nicht, was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz
Gemeine ist's, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil's heute hat gegolten
!"

All die Genannten samt ihrem speichelleckenden Anhang (auch aus Österreich) sind bislang noch nicht auf die Idee gekommen, dass die von ihnen "verkörperten", zur Schau getragenen und propagierten Werte allenfalls in den von ihnen beeinflussbaren Gefilden eine Rolle spielen, für die Menschen in anderen Erdteilen, beispielsweise die meisten Bewohner des Kontinenten Afrika, den überwiegenden Teil der Bevölkerung im nahen, mittleren und noch so fernen Osten, hingegen nahezu bedeutungslos und kaum erstrebenswert sind.

Die EU verordnet sich, respektive für deren Mitgliedsstaaten, in Art. 2 ihres Vertrages einen eigenen "Wertekatalog": "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."

In den nachfolgenden Artikeln des Vertrages wird dieser Wertekatalog noch erheblich erweitert.

Von einem umfassenden Wertebegriff sind diese Formulierungen aber ebenso weit entfernt wie der Nord- vom Südpol; philosophische, psychologische, aber auch soziale oder sonstige Aspekte blieben völlig unberücksichtigt. Für das "Religiöse" gilt, vielleicht aus gutem Grund, dasselbe.

Während des Verlaufes der Zeit hat sich der Wertebegriff der EU längst selbst ad absurdum geführt; er ist zum Synonym für eine leere Worthülse verkommen, das als Fundament für ein gedeihliches Miteinander längst nicht mehr taugt, insofern nichts wert ist.

Wie kann man, angesichts des Verhaltens einiger Mitgliedsstaaten (z.B. Polen, Ungarn Österreich, Slowakei), noch ernsthaft vom Wert "Rechtsstaatlichkeit" sprechen?

Wie kann man sich im Lichte der COVID-19 Bekämpfungsstrategien diverser Länder (z.B. Italien, Deutschland, Spanien, Österreich, Frankreich) noch seriös über den Wert "Freiheit" unterhalten?

Wie soll man das Vorgehen Spaniens (bezogen auf die Region Katalonien) im Hinblick auf den Wert "Minderheitenrecht" bewerten?

Wie glaubhaft vertritt man das Recht "Menschenwürde", wenn man z.B. die Situation der Flüchtlinge auf Lesbos im Lager Moria nur schweigend zur Kenntnis nimmt?

Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen: Was ist die selbst verordnete Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander und zwischen den Generationen wert, der Kampf gegen soziale Ausgrenzung und Diskriminierung, der Reichtum kultureller und sprachlicher Vielfalt? Nichts, so hat es den Anschein.

Das einigende, verbindende Band, das den wahllos zusammengewürfelten Haufen europäischer Staaten noch zusammen hält findet sich (allerdings mit großen Lücken - im Text als durchgestrichen markiert) in Art. 3(3) des Vertrages:

"Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt."

Ganz kurios wird es, führt man sich Art. 3(2) des Vertrages zu Gemüte:

"Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem - in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität - der freie Personenverkehr gewährleistet ist."

Es gibt seit Jahren keinen "Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist", seit Jahrzehnten keine "geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen der Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität".

Vom wichtigsten europäischen Rechtsgrundsatz im Zivil- und Verwaltungsrecht, dem Prinzip der Vertragstreue, haben die selbst ernannten Europäer in Brüssel und anderswo offensichtlich noch nichts gehört: "Pacta sunt servanda" (dt.: Verträge sind einzuhalten); sonst würden sie wohl nicht laufend dagegen verstoßen.

Was man also selbst im Ansatz nicht zustande bringt, verlangt man von allen anderen, insbesondere denen, die sich diesem Verdikt gar nicht verschrieben haben. Dieses Ansinnen wird an Arroganz nur von den USA überboten, die allen anderen Nationen beispielsweise den Umgang mit Atomwaffen verbieten wollen, die Besitzer solcher Waffen ächten und das Herstellen atomarer Sprengköpfe mit Wirtschaftssanktionen bestrafen. Dabei sind die USA der einzige Staat auf dieser Welt, der jemals Atombomben zu Kriegszwecken zum Einsatz gebracht hat - mutwillig, ohne ernsthaftes Bedrohungsszenario, noch dazu auf fremdem Territorium.

Mit diesem "Werterucksack" ausgerüstet will also der Westen die Welt retten, den Weltfrieden sichern, Schurkenstaaten demokratisieren, den Terrorismus bekämpfen, die Islamisten reformieren sowie fragile Staatengebilde stabilisieren; darüber hinaus auch noch das Füllhorn des Wohlstandes im Kleid der ökosozialen Marktwirtschaft ausschütten, "als dass es den Menschen wohl gehe auf Erden".

Scheinbar hat man im "Westen" zu lange im Brief des Paulus an die Epheser geschmökert; anders kann das abartige Verhalten kaum erklärt werden.

Momentan tauchen, im Gefolge des "Desasters von Afghanistan", im "Westen" täglich neue "Flüchtlings- und Asyl" Experten, selbst ernannte Retter der schutzlosen Afghanen auf, die sich um Hilfe vor Ort kümmern wollen. Einige Namen wurden bereits erwähnt; dazu gesellt sich, auf österreichsicher Seite, die Crème de la Crème der Außen-, EU- und Innenpolitik: Schallenberg, Edtstadler und Nehammer (kurz: SEN).

Quelle: https://zackzack.at/2020/04/28/geisterzug-ins-nirgendwo-naechste-edtstadler-blamage

Was sind nun die Lösungsansätze unserer Politelite? Abschiebezentren in den Nachbarstaaten von Afghanistan, Stabilisierung der Lage in Afghanistan, einheitliche europäische Vorgangsweise für die drohende Flucht- und Migrationswelle. Dazu wolle man die bestehende "Partnerschaft mit dem afghanischen Volk" fortsetzen; "eine Partnerschaft funktioniere nur mit einem zurechnungsfähigen Gegenüber" meint Schallenberg; "alle Kräfte innerhalb Afghanistans müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Die Grund- und Menschenrechte aller Afghanen, vor allem von Frauen und Kindern, müssen geschützt werden", so der Außenminister weiter.

Quelle: https:// dietagespresse.com/wilde-sehr-sichere-schoenheit-mit-reiseblogger-karl-nehammer-durch-afghanistan/

Das klingt alles wunderbar - nur machen SEN die Rechnung wieder einmal ohne den Wirt, unterliegen abermals einem "Wunschdenken" der ganz speziellen Art. So wird, wie erwähnt, gefordert, dass "alle Kräfte" (gemeint sein können wohl nur die neuen Machthaber) sich ihrer Verantwortung bewusst sein müssen.

Diese Forderung geht vollkommen ins Leere, da die EU, traut man, was ohnedies sehr gewagt erscheint, deren Kommissionspräsidentin "Uschi voll der Leiden", nicht willens und bereits ist, die Taliban als führende Kraft Afghanistans anzuerkennen. "Gespräche ja, aber keine Anerkennung" trällerte die Präsidentin - Mittel (eine Milliarde Euro in den nächsten sieben Jahren) für die Taliban werde es nur dann geben, wenn diese die Menschenrechte respektieren sollten .

Schallenberg verlangt darüber hinaus ein "zurechnungsfähiges" Gegenüber; jetzt gibt es zwar noch kein Gegenüber, dafür müsse eben dieses, also niemand, zurechnungsfähig sein. Meinte man es nicht gut mit Schallenberg, könnte jemand sogar der Idee verfallen, des Ministers eigene Zurechnungsfähigkeit anzuzweifeln.

Die entscheidende Frage ist aber eine vollkommen andere: Von welchen Menschenrechten ist die Rede? Soviel mir bekannt ist, wurde die letztgültige Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan außer Kraft gesetzt; sie ist daher auch nicht mehr wirksam und anwendbar. Selbst die bislang gültigen Grundrechte im Kapitel 2 (Art. 22ff) der Verfassung haben bislang niemanden interessiert - "totes Recht" sozusagen, auf das sich nie jemand berufen konnte.

Rein theoretisch sind bzw. waren die Grundrechte für Afghanen ansprechend bzw. wohlwollend formuliert.

Beispiele: Art. 22: "Jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans ist verboten. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten."

Art 24: "Freiheit ist ein natürliches Recht des Menschen. Dieses Recht hat keine Grenzen, es sei denn, es verletzt die Freiheit der anderen oder das Interesse der Allgemeinheit, die durch Gesetz geregelt werden. Freiheit und Menschenwürde sind unantastbar. Der Staat ist verpflichtet, Freiheit und Menschenwürde zu achten und zu schützen."

Art. 29: "Folter ist verboten. Niemand darf, auch nicht zur Wahrheitsfindung, eine Person foltern oder den Befehl dazu geben, selbst wenn sie strafrechtlich verfolgt, festgenommen, inhaftiert oder zu einer Strafe verurteilt worden ist. Die Verhängung einer Strafe, welche die Menschenwürde verletzt, ist verboten."

Art 34: "Die Meinungsfreiheit ist unverletzlich. Jeder Afghane hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie mit anderen Mitteln unter Berücksichtigung der in dieser Verfassung verankerten Bestimmungen zu äußern. Jeder Afghane hat das Recht, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Inhalte ohne vorherige Vorlage bei den staatlichen Stellen zu drucken und zu verbreiten. Bestimmungen über Verlagswesen, Rundfunk, Fernsehen, Presse und sonstige Massenmedien werden durch Gesetz geregelt."

Da es Grund- und Menschenrechte in Afghanistan de facto nicht gibt, woran soll sich dann die "nicht anerkannte" Regierung in Kabul halten, die es gar nicht gibt? Wen wollen Ursula von der Leyen & Co also für das Respektieren nicht vorhandener Rechte verantwortlich machen? Mit wem wollen sie überhaupt sprechen? Bis dato gibt es keinen "nominierten" Vertreter der Taliban, weder einen Präsidenten noch einen Außenminister oder etwas Vergleichbares. Der "alte" Präsident, vom Westen hofiert und anerkannt, hat fluchtartig (samt Familie und "Familiensilber") das Land in Richtung arabische Halbinsel verlassen - frei nach dem Motto: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.

Quelle: https:// www.wienerzeitung.at - Bild: © apa/Georg Hochmuth

Die zweite (diplomatische) Offensive konzentriert sich darauf, in den Nachbarstaaten sog. "Abschiebezentren" installieren zu wollen. Die Frage ist nur wo? Die EU-Sanktionen gegenüber dem Iran werden für allfällige Gespräche nicht wirklich förderlich sein. Unterhaltungen mit China erübrigen sich nicht nur geografisch bedingt: Eine Flucht über den Wakhjir-Pass ist nahezu ausgeschlossen. Will man nicht wieder mit dem "Wendehals" Pakistan, der den "Westen" bereits mehrfach und erfolgreich "über den Verhandlungstisch" gezogen hat, kooperieren, verbleiben die von Russland als "Satellitenstaaten" dirigierten autoritären "Republiken" Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Ohne russisches Wohlwollen passiert dort aber absolut nichts.

Die Gesprächs- bzw. Verhandlungsbasis ist für den "Westen" daher alles andere als gut. Warum sollen die genannten Regime abgeschobene Afghanen aus dem "Westen" aufnehmen? Wohl nur dann, wenn sie massive finanzielle Zuwendungen erwarten können; der Preis für eine allfällige Kooperation wird daher entsprechend hoch sein; dazu kommt, dass es keinerlei Gewähr für ein Funktionieren entsprechender Vereinbarungen gibt. Wenn schon dem einen Vertragspartner (EU) nichts an Vertragstreue liegt, kann man es von anderen noch weniger erwarten.

Oder man löst das "Problem" der Abschiebezentren ähnlich genial wie vor Jahren im Norden Afrikas. Man gibt vor, solche Zentren errichten und finanzieren zu wollen, vergisst aber auf Gespräche mit den dafür auserkorenen Ländern - mit dieser Strategie hatte man zwar keinen Erfolg, dafür hätte man bereits hinreichend Erfahrung darin, wie man etwas nicht machen sollte.

Am Ende wird es, wie im Falle aller kriegerischen Interventionen der vergangenen Jahrzehnte, an denen der "Westen" federführend beteiligt war, heißen: Alles ist gescheitert - milliardenteurer Lärm für nichts. Auch darin verfügt der "Westen" über eine entsprechende, jahrzehntelange, Expertise.

Chr. Brugger

30.08.2021