Geschlossen und entschlossen
"Geschlossen und entschlossen - beides wichtige Begriffspaare damit man auch zu einem Ziel kommt, nämlich der russischen Föderation klarzumachen, dass der Bruch des Völkerrechts auch klare Konsequenzen mit sich bringt" meint jemand, der den Anspruch erhebt, Österreichs Bundeskanzler zu sein - wiewohl er sich bislang keinem einzigen demokratischem Wahlverfahren stellen musste, solcherart als Zu- oder Abfallprodukt einer gescheiterten türkis schwarzen Staatseinfärbungsdoktrin bezeichnet werden kann.
Was bedeutet nun die von Herrn Nehammer geforderte "Ge- und Entschlossenheit" - insbesondere auch der Sicht eines ukrainischen Bürgers im kriegsverfangenen Kiew? Was soll sich jemand denken, wenn er in einer U-Bahn-Station in der ukrainischen Hauptstadt sitzt, dort übernachtet und darauf hofft, ihm würde Hilfe zuteil?
Nun lässt sich die mehrheitliche Meinung der ukrainischen Zivilbevölkerung dahingehend zusammenfassen, dass man vom "Westen", insbesondere von der Europäischen Union (EU) im Stich gelassen wird.
Was ist der unmittelbare Beitrag der EU, um die Lage für die ukrainische Bevölkerung zu verbessern, zu erleichtern, ihre Situation erträglicher zu machen?
Die Wahrheit ist: Im Wesentlichen lässt sich der Beitrag darauf reduzieren, dass Leute wie Nehammer, mit militärisch angehauchtem Unterton, von Vorbereitungsmaßnahmen faseln, sich einer "Kriegs-, Panik- oder Angstrhetorik" bedienen, um letzten Endes die Bevölkerung auch hierzulande zu verunsichern und von "messerscharf akkordierten Sanktionen" reden, die Putin und seinen Oligarchen das Leben schwer machen würden.
Das also soll, neben 5.000 Schutzhelmen der deutschen Bundeswehr, der Beitrag der EU sein, um das Leid der ukrainischen Bevölkerung zu lindern?
Es ist, zumindest bis heute, relativ klar, dass sich die EU, vor allem aber die NATO, militärisch in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine nicht unmittelbar einmischen werden; an den Grenzen hin zu Russland, von Estland südwärts, wird die Verteidigungslinie verstärkt - dem Verhalten der Türkei ist man jedoch hilflos ausgeliefert, zumal eine Blockade der Meerenge zwischen Marmarameer und schwarzem Meer bereits eine Kriegshandlung darstellen könnte, wenn Erdoğan russischen Schiffen z.B. die Durchfahrt durch den Bosporus verwehrt.
Die mittelbare Hilfe (Lieferung von Abwehrwaffen in Form von FIM-92 Stinger Raketen etc.) läuft erst langsam und damit viel zu spät an; die Niederlande liefern 200 Stück der US-amerikanischen Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen, die BRD deren 500; wo aber bleibt eine weitergehende Unterstützung.
Während zivile, von staatlichen Einflüssen losgelöste und unabhängige, Hilfsaktionen längst Fahrt aufgenommen haben, europaweit gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert wird, kommen die verantwortlichen Politiker wieder einmal nicht in die Gänge, missbrauchen ihre Funktionen für kriegerisch apostrophierte Schreckensszenarien, träumen immer noch von diplomatischen Lösungen und stammeln sich von einem Fauxpas zum nächsten.
Es ist schier unerträglich, mit welcher Präpotenz eine von der Leyen oder ein Borrell darüber sprechen, womit Putin und seine Oligarchen zu rechnen hätten; sie entlarven sich damit selbst als das, was sie eben sind: Synonyme für realitätsverlustig gewordene, saturiert-dekadente Vogelscheuchen und Zieraffen, denen nichts anderes in den Sinn kommt, als etwas zu verteidigen, was es in Wirklichkeit nicht gibt: Ein geeintes, starkes Europa.
In diese, medial begleitete, Bankrotterklärung stimmen alle ein, die dieser Märe Glauben schenken, notgedrungen die Treue halten, die zweite, dritte und vierte Reihe des selbsternannten Möchtegern-Krisenmanagements, wozu sich auch unser "Kriegsrat" in der Bundeshauptstadt zählen darf.
Das neutrale Österreich trommelt alles zusammen, was es an geballter Kompetenz im Bereich des militärisch-Kriegerischen aufzubieten hat: Eine Verteidigungsministerin, die von Strategie und Militär in etwa so viel Ahnung hat, wie ein Kleinkind von der Atomphysik, einen gerupften eitlen Pfau für außenpolitische Nebengeräusche und Rülpser, einen Dollfuß-wütigen Innenminister, der alles kontrolliert und zur Anzeige bringt, was sich ihm in den Weg stellt, den neuerdings unter DSN firmierenden Staatssicherheitsapparat, der in der Vergangenheit seine Unfähigkeit eindrücklich unter Beweis stellen konnte und letztlich auch noch einen ausgemusterten Militaristen, der den ganzen Scherbenhaufen in Kasernenhofmanier herumkommandiert.
Es ist folglich kein großes Wunder, dass private Initiativen mehr auf die Reihe bringen als das "offizielle" Österreich: Für die Versorgung von Flüchtlingen wird vorausschauend gesorgt, Unterkünfte und Essen für den Fall der Fälle organisiert, finanzielle Mittel gesammelt und Trost zugesprochen - all das, was man sich von denen erwarten könnte, die nur damit beschäftigt sind, sich im Licht der Öffentlichkeit aufzuspielen, sich selbst, ohne jede Grundlage, staatstragend darzustellen, von einem Beraterstab zum nächsten irren und kein Fettnäpfchen auslassen, um darin hinein zu trampeln, übernehmen wieder einmal jene, die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, von denen niemand spricht und die man nicht kennt.
Ge- und entschlossen ist man immer nur dann, wenn es um das Zurschaustellen der eigenen Dummheit und Naivität geht, wenn die Verbreitung von Angst für nötig erachtet wird, es vor Mikrofonen und TV-Kameras darauf ankommt, in einem möglichst schrägen Licht erscheinen zu können, um solcherart das zu tun, was ohnedies längst bekannt und offenkundig ist: Wortreich wie inhaltsleer Zeugnis darüber abzulegen, wozu personifizierte Unfähigkeit u.a. bei Krisen in der Lage ist.
Das Traurigste an der ganzen Situation ist - im europäischen Rahmen betrachtet, losgelöst vom Denken europäischer Provinzpolitiker - dass die EU wieder einmal an ihren eigenen Schwächen scheitert. Einer Entscheidungsfindung, die von widerstreitenden Regionalinteressen dominiert wird; der Unkultur des "auf die lange Bank Schiebens"; der Prognose über Wirkungen obwohl die Maßnahmen dafür noch gar nicht beschlossen wurden; das duckmäuserische Verhalten, wenn spontanes, zumindest zeitnahes Handeln nötig wäre und das Versteckspiel hinter einer NATO-Silhouette, die ohne die USA nichts wert ist.
Womit will man jemandem drohen, dem kriegerische Handlungen und Gewalt nicht fremd sind, der Grund- und Freiheitsrechte immer dann missachtet, wenn es um die eigene Bevölkerung geht? Sollt Putin damit beeindruckt werden, dass die USA Waffen und Soldaten nach Europa exportieren, damit das Baltikum, Polen oder die Slowakei besser gerüstet erscheinen? Welche strategischen Überlegungen gibt es z.B. für einen Angriff Russlands auf Moldawien, im schlimmsten Fall auf Polen, gar Finnland? Wozu sind, außer dass man mit Waffenlieferungen die marode Rüstungsindustrie aufzumöbeln versucht, die wirtschaftlich im Sinkflug befindlichen USA bereit? Wie kann sich die EU gegen einen Angriff Russlands zur Wehr setzen - sind wir dazu überhaupt in der Lage?
Solche Fragen stellt man sich vermutlich gar nicht, wird doch europaweit die Ansicht vertreten, man können diese Krise, den Krieg in und um die Ukraine, nur mit diplomatischen Bemühungen bzw. über den Verhandlungsweg lösen; was ist, wenn man auch diesbezüglich einem Irrtum unterliegt?
Nichts von alledem können von der Leyen, Macron oder Scholz beantworten - sie harren der Dinge, warten ab, hoffen, es möge nicht noch Schrecklicheres basieren; dazu bräuchten die Europäer und Europäerinnen aber keine hochdotierten Politfunktionäre, dass können Straßenkinder in Rumänien oder Obdachlose in Athen zumindest gleich gut wie Tulpenverkäufer in Rotterdam oder Kellnerinnen auf Mallorca. Bitter ist nur, dass die zuletzt Genannten mit Sicherheit über mehr Hausverstand und Realitätssinn verfügen als diejenigen, denen wir alle unsere eigene Sicherheit anvertrauen sollen; die haben nämlich über Jahre und Jahrzehnte unser Vertrauen missbraucht und enttäuscht, haben sich daran gewöhnt, keine Verantwortung zu übernehmen und immer dann, wenn wieder etwas falsch gelaufen ist, nur nach Ausreden zu suchen. Prinzipiell wären die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine Anlass genug, die derzeit handelnden Politiker mit einem nassen Fetzen zu verjagen und dafür zur Rechenschaft zu ziehen, was sie uns angetan haben.
Leider wird das in Russland und der Ukraine eher der Fall sein als bei uns in der EU - hier wird es nicht lange dauern, dass von der Leyen samt epigonalen Appendizes zur Tagesordnung übergehen und so tun, als sei nichts gewesen. Dieses Dilemma schürt allerdings die Hoffnung, dass Europa dann von Russland aus demokratisiert wird, jene Werte übernehmen kann, die den freien Russen nach der Zeit Putins tatsächlich etwas wert sind: Freiheit und Selbstbestimmung und wenn es sein muss die Entscheidung darüber, von wem man tatsächlich regiert werden will. Dann werden auch in Europa die Tage von der Leyens, Macrons oder Nehammers gezählt sein. Insofern müssen wir, verbunden mit der zuvor zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, darauf vertrauen, dass uns dafür - so blöd das klingt - genau Putin samt seinen Oligarchen den Weg bereitet, auch wenn das der ukrainischen Bevölkerung viel Leid zufügen und tausenden Menschen das Leben kosten wird. Dafür wird uns, allen voran Ukrainer und Russen, die damit verbundene bereinigende Wirkung entschädigen; wir werden feststellen, dass wir uns selbst besser verstehen und regieren können als jene, die laufend nur vorgeben, es gut mit uns zu meinen.
Ge- und Entschlossenheit müssen wir folglich von uns fordern - in Solidarität und klarer Verbundenheit mit jenen, die momentan unter diktatorischen Selbstverwirklichungsavancen leiden müssen. Nur das zählt, weil wir unseren politischen Entscheidungsträgern nicht länger vertrauen, ihnen nicht mehr auf den Leim gehen dürfen. Solidarität mit jenen, die sie benötigen; Widerstand gegen diejenigen, die unsere Gutmütigkeit und unser damit verbundenes Vertrauen nur missbrauchen. Ge- und entschlossen gegen jene, die uns andauernd nur schaden und sich selbst - auf unsere Kosten - nur bereichern oder beweihräuchern.
Chr. Brugger
27/02/2022