Geht das Recht tatsächlich vom Volk aus?

08.12.2021

Nähme man die vielgelobte heimische Bundesverfassung noch ernst, wären Neuwahlen die zwingend-logische Konsequenz des Politdesasters der letzten 1 ½ Jahre.

Quelle: https://www.facebook.com/bananenrepublikAT/

Man kann die momentane Schräglage der heimischen Innenpolitik betrachten, wie man will. Jedem ist es unbenommen, sich dazu zu äußern, seiner Meinung freien Lauf zu lassen, so, wie auch ich, "seinen Senf dazuzugeben" - zumindest so lange, bis man den Boden des Rechtsstaates verlässt.

Quelle: https://www.hdgoe.at/bundes-verfassungsgesetz

Meiner Meinung nach fehlte bereits der "Regierung Schallenberg" jedwede Legitimation; umso mehr gilt das für das momentan herumfuhrwerkende "Kabinett Nehammer".

Für mich spielt es daher keine Rolle (mehr), ob ein Hr. Nehammer Kanzler kann oder nicht, ob eine Fr. Köstinger sich anhaltend bemüßigt fühlt, sich für alles und jeden zuständig zu fühlen, gleichsam die "Mutti der Nation" geben zu müssen, dass man eine Staatssekretärin für Jugend mit einem Gehalt ausstattet, das dasjenige von Gleichaltrigen mit ähnlicher Ausbildung um das Zehnfache übersteigt. Es ist (mittlerweile) auch einerlei, ob es im Kabinett Nehammer Figuren wie Hr. Mückstein, Fr. Raab oder Fr. Schramböck gibt - das spielt in Wirklichkeit keine Rolle.

Entscheidend ist, wenigstens für mich, dass es dem Kabinett Nehammer an der rechtsstaatlichen Legitimation mangelt.

Gebetsmühlenartig wird immer wieder auf die Wahlerfolge des Hr. Kurz verwiesen, die zum Ergebnis der letzten Nationalratswahl geführt haben. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass Sebastian Kurz diese Wahlerfolge nicht in betrügerischer Manier erzielt hat, änderte das an meiner Einschätzung nichts.

Bei der Nationalratswahl 2019 hat, das ergibt sich insbesondere aus der Verlautbarung der Bundeswahlbehörde vom 16.10.2019, die "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" 37,46% der abgegebenen, gültigen Stimmen erhalten. Auf dieser "Scheinmehrheit" leiten Schallenberg & Nehammer ihre Legitimation zur Ausübung des Kanzleramtes ab.

Wenn das Recht tatsächlich vom Volk ausginge, hieße das, keinesfalls nur mathematisch betrachtet, Folgendes: Wahlberechtigt waren 2019 insgesamt 6.396.812 Menschen; von den abgegebenen, gültigen Stimmen (4.777.246) entfielen 1.789.417 auf die "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei". Der Zuspruch für diese Liste betrug daher, geht man von allen Wahlberechtigten aus, knapp 25% - etwas mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten.

Nun gibt es diese Liste "Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" seit dem Seitensprung und späterem Totalrückzug des Ex-Ex-Kanzlers Kurz nicht mehr.

Damit ist auch die Legitimation für Schallenberg & Nehammer ersatzlos weggefallen.

Man kann diesem Argument nur entgegenhalten, dass den Wahlsieg 2019 einzig und allein die "ÖVP" erzielt hätte, Schallenberg & Nehammer also berechtigt in den Genuss desselben kämen.

Sieht man sich allerdings den Wahlkampf der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" an, berücksichtigt, dass das Ergebnis dieses türkis-abstrus-dummdreisten Werbefeldzuges allenfalls "ergaunert" wurde, Schallenberg & Nehammer mit diesem Wahlerfolg nicht das Geringste zu tun hatten und das Volk im September 2019 - wie von Kurz selbst apostrophiert - ausschließlich darüber abzustimmen hatte, ob Kurz noch einmal Kanzler werden soll oder nicht, dann ist vollkommen klar, dass die Nachfolgekanzler Schallenberg & Nehammer niemals den Anspruch erheben können, sie seien in ihrer jeweiligen Funktionen legitimiert. Sie sind es einfach nicht!

Quelle: https://www.profil.at/oesterreich/im-zweifel-alexander-van-bellen-profil-wahlempfehlung-bp-wahl-7724091

Schallenberg und Nehammer verdanken ihre Kanzlerschaften nicht dem Volk, dem klaren Willen der Wähler, sondern vielmehr einem Bundespräsidenten, der zwar die großartige Elastizität der Bundesverfassung laufend in den Himmel lobt, wenn es darum geht, sie anzuwenden, eben dieselbe mit Füssen tritt.

Scheinbar kennt Hr. Van der Bellen nur die Art. 67, 70 und 78 der Verfassung; von Art. 1 dürfte das "Staatsoberhaupt" noch nichts gehört oder dessen Inhalt und klare Botschaft nicht verstanden haben.

Pandemie hin oder her: Unser Bundespräsident hat etwas getan, was man mit Worten nur schwer beschreiben kann: Er ignoriert eines der Grundprinzipien des Staates Österreich, setzt sich in einem Anflug krude anmutender Selbstüberschätzung und -erhöhung über uns alle hinweg: Wir sind, zumindest am Papier, noch immer eine Republik und kein Basar im nahen oder fernen Osten, auf dem die Positionen oder Funktionen von Bundeskanzlern, Bundesministern und Staatssekretären nach dem Prinzip "wer hat noch nicht, wer darf auch einmal oder noch einmal bzw. immer noch und wenn ja, wie lange" gleichsam ausgewürfelt oder okkasionalistisch feilgeboten werden.

Man mag Schallenberg, Nehammer, Köstinger, Mückstein & Co vorwerfen, sie seien dekadent, trottelhaft oder einfach nur naiv; das ist jedem Einzelnen unbenommen; apodiktisch widersprechen würde ich einem solchen, zugegeben laienhaften, Befund allerdings nicht. Dies auch deshalb nicht, weil Schallenberg & Co bis zur "Vereinbarung vom Achensee" (= Lockdown für alle) damit argumentiert bzw. herumhantiert haben, dass der Inhalt dieser Regelung ausschließlich vor dem Hintergrund der Zahlen belegter Spitals- und Intensivbetten betrachtet werden müsse.

Jetzt, wo es um die Einhaltung dieser Vereinbarung geht, hat man, nicht nur rhetorisch, in einer weiteren, scheinbar nicht minder obskuren, Nacht- und Nebelaktion, einen Paradigmenwechsel vorgenommen: Neuerdings rechtfertigen Nehammer & Co die Einhaltung der Vereinbarung vom Achensee (= Öffnung aller "Sektoren" für alle G2-Kandidaten ab 13.12.2021) ausschließlich mit den fallenden Inzidenzen bzw. sinkenden Zahlen Neuinfizierter. Heute, wo die Belegung und Spitals- und Intensivbetten aber markant höher ist als am 19.11.2021, beendet man die Mähre des als "ausgeklügelt und wohldurchdacht" gelobhudelten Stufenplanes der Bundesregierung, wechselt sozusagen mit einem Treppenwitz die Vorzeichen politischer Agitation und brüskiert damit ein weiteres Mal uns, die Bevölkerung.

Wort bzw. sich an die Vereinbarung vom 19.11.2021 zu halten, ist das eine; das Volk, den vermeintlichen Souverän des Staates, für dumm zu verkaufen ist hingegen etwas Verwerfliches, zeugt von einer Kurz-ähnlichen Arroganz, ist frivol wie auseinanderdividierend zugleich.

Nehammer fordert dazu laufend, eingehüllt in ein staatstragend anmuten sollendes Kleinkindwintermäntelchen, ein, wir (alle dem Staatsvolk Zurechenbaren) müssten uns "Schulterschluss-ähnlich" solidarisch verhalten, die Entscheidungen einer Bundesregierung (und sei sie auch noch so schwachsinnig) mittragen, unsere Sprache ändern bzw. uns moderater äußern.

In diesem Zusammenhang würde ich daher Hr. Nehammer raten, insbesondere den Beitrag "Sedlaczek am Mittwoch" in der Wiener Zeitung vom 07.04.2020 ("Nationaler Schulterschluss", "unsichtbarer Feind"?) zu lesen; wenn das sinnerfassend möglich ist, wird unser Ex-Innenminister - eingedenk seiner sonstigen Ausdrucksweise in diversen Interviews und seinen übrigen Wortspenden - feststellen, dass er es ist, der sich anhaltend einer Sprache bedient, die jedem Wohlwollen entbehrt, von einer Diktion imprägniert ist, die zwiespältig anmutet, dadurch Spaltung fördert und von einem Tonfall indoktriniert scheint, der, gelinde formuliert, als abgehoben-militant charakterisiert werden könnte.

Das sind aber ganz bestimmt nicht diejenigen Ingredienzien, die wir uns von einem Ex-Innenminister erwarten. In der Wortwahl steht der Ex-Innenminister also dem Ex- und wieder Außenminister kaum in etwas nach. Dessen (unzulässige) unsägliche Amtszeit dauerte keine 2 Monate, die seines Nachfolgers hoffentlich nicht länger.

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/schach-wm-2021-jan-nepomnjaschtschi-gegen-magnus-carlsen-17650583.html

Wollte man im Zusammenhang mit der skurril anmutenden Lage der Nation, dem zur Realität gewordenen Regierungsringelspiel, einen sportlichen Vergleich anstellen, so eignete sich die dafür die 9. Partie der derzeitig stattfindenden Schachweltmeisterschaft in Dubai, im Speziellen die Situation des russischen Herausforderers Jan Alexandrowitsch Nepomnjaschtschi nach seinem 27. Zug: c5 - c6. Nehammer darf sich, ohne schlechtes Gewissen, getrost so fühlen wie der Läufer des Russen danach auf b7.


Chr. Brugger

08.12.2021