Flüchtlingspolitik auf österreichische Art

17.01.2022

Im Unterschied zum Gedächtnis einiger heimischen Spitzenparteipolitiker reicht das meine völlig aus, mich an die Aussagen von Nehammer & Schallenberg zum Thema "Flüchtlingsströme" aus Afghanistan Mitte August des vergangenen Jahres zu erinnern.

Was heute niemanden mehr zu interessieren scheint, war vor rund 5 Monaten eines der innenpolitischen Hauptthemen.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000128954260/absurdes-theater-um-oesterreichs-afghanistanpolitik

Nehammer wie Schallenberg wollten vorerst den Taliban das Fürchten lernen, um alsbald feststellen zu müssen, dass ihr Gelaber im fernen Kabul keine Menschenseele, erst recht nicht die neuen Herrscher von Afghanistan interessiert. Die "Nehbergs" und "Schallhammers" waren und sind dort in etwa so interessant wie ein harmloser Fahrradunfall auf einer chinesischen Landstraße im Grenzbereich hin zur Mongolei.

Was haben unsere beiden Ministranten nicht alles versprochen bzw. dahergeredet: Die Taliban müssten sofort ihr rücksichtsloses Vorgehen stoppen, die zu erwartenden Flüchtlingsströme müsse man vor Ort kanalisieren, Konferenzen wollte man anbieten und Hilfe, die afghanischen Nachbarstaaten Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan finanziell und logistisch unterstützen.

Hans Rauscher vom Standard hat das damals treffend mit den Worten "Absurdes Theater um Österreichs Afghanistan-Politik" umschrieben. Wäre man nicht so zurückhaltend diplomatisch wie Rauscher, man hätte damals - wie heute - auch anders titeln können: "An welchem Bauerschwank basteln unsere beiden Sicherheitsdenkzwerge gerade?"

Nun handelt es sich bei unseren beiden Denkzwergen, so wie Rauscher das richtig schreibt, um erwachsene Menschen - das ändert aber bis heute nichts an ihrem geistigen Horizont, der über eine Sandkastenidylle nicht hinauszureichen scheint.

Sieht man sich die Situation in und um Afghanistan heute an, dann versteht man, nicht nur wegen der zeitlichen Distanz zur Uraufführung des absurden Theaters, besser, wie dämlich die Aussagen, Prognosen und Überlegungen unserer Security-Twins tatsächlich waren: Einen Flüchtlingstsunami Richtung Europa gab und gibt es nicht - schon deshalb, weil die auserkorenen Aufnahmeländer Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan keine flüchtenden Afghanen aufnehmen, die Grenzen dorthin dich und gut verschlossen sind.

All jene, die aus Afghanistan flüchten wollen, suchen in Pakistan und dem Iran ihr Glück, das sie dort aber nicht finden können.

Quelle: https://www.derstandard.de/story/2000130543709/caritas-zahl-der-afghanischen-fluechtlinge-steigt-in-pakistan-stark-an

Nehmen Afghanen Reißaus über die knapp 2.500km lange Durand-Linie, so treffen sie dort nicht nur überwiegend auf unwegsames wie unbewohnbares Gelände, sondern auch auf tausende Al-Quaida Anhänger, die dort Schutz suchen und auf ihre nächsten Einsatzbefehle warten, zumal sie sich in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa ziemlich ungestört aufhalten können und im Kernland der Paschtunen mehr oder minder alle Freiheiten haben. Dazu kommt, dass Pakistan eines der wenigen Länder ist, dass die Taliban nicht nur fördert, sondern deren Macht zumindest stillschweigend anerkennt; nicht umsonst sind in den 1990er Jahren in pakistanischen Koranschulen die Taliban erst entstanden und ausgebildet worden.

Quelle: https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-innenminister-beraten-dienstag-ueber-fluechtlinge-aus-afghanistan/

Flüchtet man hingegen in den Iran, sind die Aussichten auch nicht wesentlich besser: Dort steht keinesfalls das Wohl der Flüchtlinge im Vordergrund, vielmehr geostrategische Überlegungen: Frei nach dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund" kooperiert die Machtzentrale in Teheran seit Jahren mit den Taliban, um ein Einfluss der USA in dieser Region auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Welches Interesse soll also der Iran also daran haben, dass afghanische Flüchtlinge überhaupt auf die Idee kommen, dort heimisch zu werden.

Der Weg vom Iran aus nach Europa führt im Normalfall über die Türkei - doch dort sind die Grenzen seit Monaten dicht. Will man nicht über Syrien reisen, müsste man den Umweg über die türkische Provinz Van nehmen - kurdisches Gebiet. Auf Willkommensgeschenke wird man dort vergebens warten, handelt es sich doch um eine der ärmsten Gegenden des Landes, überwiegend unbewohntes, gebirgiges Terrain. dafür aber um eine ideale Zufluchtsstätte für IS-Kämpfer und PKK-Aktivisten.

Quelle: https://www.spiegel.de/ausland/iran-gefluechtete-mutter-aus-afghanistan-stirbt-in-schneesturm-a-ca9e47b6-7375-4e5a-8a62-1159d242e9ee

Europa und damit naturgemäß auch Österreich hat hingegen ein einziges Interesse: Möglichst wenige Afghanen sollen den Weg in die europäische Union suchen oder gar finden. Momentan hält man sich auch mit Hilfszahlungen mehr als dezent zurück - noch ist man nicht in der Lage, Geld in die Hand nehmen zu müssen, um sich vor Zuflucht Suchenden schützen zu müssen; tritt dieser Fall ein (und der wird eintreten), dann hat man jedenfalls einen Plan, den Rauscher ebenfalls bereits Mitte August 2021 beschrieben hat: "Machen wir es wie Merkel und Erdoğan - Das ist übrigens das Modell des Merkel/Erdoğan-Abkommens, mit dem 2016 wirklich "die Balkanroute geschlossen" wurde. Die EU (Deutschland) zahlt, und die Türken halten die Flüchtlinge großteils auf. Türkis übernimmt jetzt dieses Modell."

Quelle: https://www.unhcr.org/dach/at/71763-geschlossene-grenzen-gefahrden-menschen-in-afghanistan.html

Chapeau Burschen, Chapeau - wahrlich eine große Leistung, die man speziell zwei Schwachköpfen wie euch nicht zugetraut hätte.

Dass solch asoziales Verhalten zehntausenden Kindern und Frauen das Leben kostet, ist unseren beiden Verstandesgnomen offenbar egal, denn sonst hätte sich der eine oder gar der andere in den letzten Monaten zu diesem nach wie vor latent vorhandenen Problem zumindest irgendwann einmal geäußert.

Quelle: https://www.bild.de/video/clip/politik-ausland/brutales-vorgehen-gegen-demonstranten-taliban-schlagen-frauen-mitten-in-kabul-77608244.bild.html

Was ebenfalls völlig untergeht, sind anhaltende Berichte aus Afghanistan, wonach nahezu alle Frauen aus dem afghanischen öffentlichen Leben verdrängt werden - auch dazu vernimmt man hierzulande weder eine Reaktion, noch eine sinnvolle Stellungnahme; die Frauen in Afghanistan scheinen der heimischen Regierung, insbesondere dem Außenminister, nur ein beharrliches Schweigen wert zu sein - auch das ist signifikant für die absurde Parteipolitik türkis-schwarzer Provenienz. Was Kurz begonnen hat, setzten Schallenberg und Nehammer lückenlos und unreflektiert fort.  Was für Kurz gegolten hat, trifft auch auf die beiden Winzlinge zu: Das Denken sollte man besser den Pferden überlassen, die haben ja bekanntlich auch größere Köpfe.


Chr. Brugger

17.01.2022