Fehlende Einsicht & würdelose Anbiederung
Bei vielen Politikern dieses Landes muss man jederzeit mit allem rechnen; mittlerweile auch damit, dass es im erlauchten Kreis der Bundesregierung sogar solche gibt, die 1 und 1 nicht zusammenrechnen können.
Am 14. dieses Monats titelte die an Auflagen stärkste Boulevardzeitung Berlins, die B.Z., in ihrer Online-Ausgabe: "Mega Impfstoff-Deal mit Biontech! 50 Mio. Extra-Dosen für die EU". Die "frohe Botschaft" wurde von Ursula von der Leyen, der Kommissionspräsidentin, persönlich übermittelt. Auf den ersten Blick eine uneingeschränkt erfreuliche Nachricht; nicht zuletzt deshalb, d der AstraZeneca-Impfstoff einen massiven Reputationsverlust hinzunehmen hatte, in manchen Europäischen Ländern mittlerweile sogar verboten und die Belieferung durch Johnson & Johnson aufgrund von gravierenden Nebenwirkungen, zumindest vorübergehend, eingestellt wurde.
Es mutet aber irgendwie befremdlich, komisch an, dass gerade jetzt (der AstraZeneca-Impfstoff ist umstritten, Johnson & Johnson kann nicht mehr liefern) 50 Millionen Dosen von BioNtech/Pfizer früher als geplant verfügbar sein sollen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Europäische Union verhandelt mit BioNtech/Pfizer über insgesamt 1,8 Milliarden Dosen; vertraut man den Aussagen der Kommissionspräsidentin, dann werden die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson künftig kaum mehr eine Rolle spielen; die EU ist offenbar bereit, das Risiko einzugehen, ab sofort nur noch auf mRNA-Impfstoffe zu setzen.
Auch dürfte die Gesprächsbasis mit BioNtech/Pfizer nicht konfliktbehaftet, vielmehr ausgezeichnet sein. "Als jüngst Österreich und einige osteuropäische Länder über eine ungerechte Verteilung von Impfstoff klagten, war Biontech/Pfizer plötzlich in der Lage, 10 Millionen Dosen früher als vereinbart zu liefern. Diese Dosen nutzte die Kommission, um die klagenden Länder ruhigzustellen", erfährt man auf Welt Online.
Zur Erinnerung: Bundeskanzler Kurz hat am 12.03.2021 einen Brief an die Kommissionspräsidentin sowie den Ratspräsidenten, Charles Michels, übermittelt, in dem er auf die, seiner Ansicht nach, ungerechte und vereinbarungswidrige Verteilung von Impfstoffen innerhalb der EU aufmerksam machen wollte; dieser Brief von Kurz wurde in Brüssel (gelinde formuliert) milde belächelt- und mit Unverständnis beantwortet. Österreich habe es vielmehr verabsäumt, von einzelnen Mitgliedsstaaten der EU nicht beanspruchte Impfdosen anzukaufen bzw. sich darum entsprechend zu bemühen. Insofern hat sich der Kanzler mit seinem unbedachten "Vorstoß" in Brüssel bestenfalls eine blutige Nase abgeholt - mehr Impfdosen gab es für Österreich jedenfalls nicht; die Impfstoffverteilung ist, das wurde auch vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz bestätigt, korrekt erfolgt - das Kurz´sche Stör- ein unsinniges Strohfeuer. Das Bundeskanzleramt dementiert beharrlich, dass Kurz mit einem "Veto" bei weiteren Impfstoffbestellungen gedroht hätte, sollte Österreich nicht mehr Impfstoff erhalten. Das sieht man anderenorts jedoch etwas anders.
Die FAZ beispielsweise schrieb dazu am 31.03.2021: "Alles ein großes Missverständnis also? Diplomaten anderer Staaten stellten die Lage etwas anders dar. Dort hieß es weiter, Bundeskanzler Sebastian Kurz habe den vor drei Wochen von ihm angezettelten Konflikt schon am Tag nach dem Videogipfel der Staats- und -Regierungschefs gezielt weiter eskalieren lassen. Der österreichische Vertreter habe am Freitag, dem Tag nach dem Gipfel, sehr wohl mit einer Blockade von neuen Bestellungen gedroht, um mehr Dosen für sein Land zugeteilt zu bekommen als eigentlich vorgesehen. Dabei sei es um weitere 100 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer gegangen, die die EU-Kommission bis Mitte April bestellen konnte, für die sie aber bis dahin nur eine Option ausgeübt hatte. In der Zwischenzeit sei allerdings auch den Österreichern klargeworden, dass sie diese Bestellung rechtlich nicht blockieren könnten, weshalb sie jetzt mit aller Kraft zurückgerudert seien, sagten Diplomaten.
Der vorsorglich befragte Juristische Dienst des Ministerrats hatte zu Protokoll gegeben, kein Staat könne eine Impfstoffbestellung durch die Kommission per Veto verhindern. "Kurz hat sich unter den EU-Partnern unbeliebt gemacht - und seine Drohung ist leer", sagte ein EU-Vertreter. Kurz hatte schon auf dem Videogipfel am vergangenen Donnerstag gefordert, dass sein Land sowie diverse Staaten, die unterdurchschnittlich viel von Biontech/Pfizer bestellt hatten, mehr als den bisher vorgesehenen Anteil von den zehn Millionen Dosen erhalten. Er hatte das damit begründet, dass diese Länder bisher weniger Impfstoff als andere bekommen hätten."
... wie auch immer: Jemand muss hier etwas falsch verstanden, allenfalls bereits wieder vergessen haben, sich nicht mehr erinnern können ... oder es ist jemandem gar peinlich ...
Nun kann man seit ein paar Tagen auf der Homepage des Bundeskanzleramtes Folgendes lesen: "Österreich erhält eine Million zusätzliche Impfdosen von BioNTech/Pfizer. Die EU-Kommissionspräsidentin hat mich darüber informiert, dass ihre intensiven Verhandlungen erfolgreich waren. Das bedeutet, dass wir im zweiten Quartal 500.000 Menschen zusätzlich impfen können", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Pressestatement im Bundeskanzleramt.
Er bedankte sich bei Ursula Von der Leyen auch dafür, dass die Impfdosen "pro rata population", also nach Bevölkerungsschlüssel innerhalb der Europäischen Union verteilt werden. Das sei eine zentrale Forderung der zuletzt auf europäischer Ebene geführten Verhandlungen gewesen."
Daraus sollte, zumindest für diejenigen, die sinnerfassend zu lesen in der Lage sind, erhellen, dass, im Sinn der "EU-Strategie für COVID-19 Impfstoffe" (COM/2020/245 final), für den Abschluss von Impfstoffbezugsverträgen die EU-Kommission verantwortlich ist, diese im Auftrag und namens der Mitgliedsstaaten tätig wird. Konsequenz dieser Kompetenzübertragung: Es gibt gar kein Vetorecht - die EU-Mitgliedsstaaten haben ganz einfach, schlicht und ergreifend, nichts zu sagen - das gilt, entgegen seiner damaligen Überzeugung, auch für Kurz.
Haben der Bundeskanzler und dessen "Stab" zwischenzeitlich offenbar eingesehen, dass man sich hier, nicht nur diplomatisch, zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, kann man das, pikanterweise auf derselben Homepage, auch ganz anders lesen.
"Der hartnäckige Einsatz von Bundeskanzler Sebastian Kurz auf europäischer Ebene hat sich ausgezahlt", zeigt sich Europaministerin Karoline Edtstadler am Mittwoch erfreut und hält fest: "Es ist begrüßenswert, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU-Mitgliedstaaten darüber informiert hat, dass zusätzliche 50 Millionen Impfdosen von BioNTech/Pfizer im 2. Quartal nach einem gerechten Bevölkerungsschlüssel ausgeliefert werden. Für Österreich heißt das rund eine Million zusätzliche Impfstoff-Dosen mehr."
In der Frage der Impfstoff-Verteilung hat Österreich auf EU-Ebene darauf gepocht, die von den Staats- und Regierungschefs vereinbarte, gerechte und gleichmäßige Auslieferung pro rata zur Bevölkerung einzuhalten.
"Ohne die österreichische Initiative wäre das Ungleichgewicht bei der Impfstoffverteilung noch größer geworden. Mit der jetzigen Lösung kommen Millionen Europäerinnen und Europäer früher zu ihrer Impfung. Dieser Erfolg zeigt, dass der Weg des Kanzlers trotz manch voreiliger Kritik und künstlicher Empörung über ihn am Ende doch der richtige war", so die Kanzleramtsministerin abschließend."
Den Kurz-Fauxpas in Brüssel nachträglich als Erfolgsgeschichte verkaufen zu wollen ist nicht nur lächerlich, sondern auch von einem hohen Maß an hilflos-dümmlicher Arroganz begleitet; dazu beleidigen die Wortspenden Edtstadlers (u.a. auch im oe24.TV bei "Fellner live") die Intelligenz derjenigen, die sich noch der Qual aussetzen, Pressinformationen auf www.bundeskanleramt.gv.at zu lesen bzw. über beschämende Interviews nachzudenken. Edtstadler ist scheinbar weder in der Lage, reflektiert über ein Thema nachzudenken, ehe sie sich dazu äußert, noch willens einzusehen, dass etwas Falsches nicht dadurch richtig wird, dass man es laufend wiederholt. Dass die Mehrheit der Österreicher sinnerfassend lesen kann, ist ohnedies eine Mähr, sich so zu verhalten, wie man das von einem Bundesminister gemeinhin erwartet, scheinbar ebenso. Edtstadler bevorzugt es lieber, speichelleckend dem Kanzler zu huldigen; offensichtlich, sohin für jedermann leicht erkennbar, gehört auch würdeloses Anbiedern zum türkis eingefärbten Verständnis des neuen ÖVP-Politstils.
Chr. Brugger
16.04.2021