EU und AstraZeneca – was jetzt?
Wenn das im Hintergrund Stehende nicht ein so ernstes Thema wäre, müsste man hellauf lachen, den Kopf schütteln, sich aber nicht weiter wundern.
Die Europäische Union ist mit einem Pharmaunternehmen eine vertragliche Beziehung über die Lieferung eines COVID-19 Impfstoffes eingegangen. Der Inhalt des Vertrages ist offenbar nur den beiden Vertragsparteien bekannt. Jede Bezugnahme auf den Inhalt desselben wäre bzw. ist folglich reine Kaffeesudleserei, der Blick in eine trübe Kristallkugel.
Nun meint der eine Vertragspartner (EU), sein Gegenüber (Firma AstraZeneca PLC) würde sich insofern nicht an die getroffene Vereinbarung halten, als die (scheinbar) vereinbarte Menge weder fristgerecht noch ausreichend viel davon geliefert werden soll.
Faktum ist, dass Stand heute (29.01.2021) der bestellte Impfstoff von der dafür zuständigen Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für den Gebrauch in de EU noch nicht genehmigt wurde.
Nun gibt es, das ist das eigentlich so Sonderbare an dieser "Geschichte", seit einigen Tagen ein, vor allem medial und in aller Öffentlichkeit ausgetragenes, "Gefecht" über den tatsächlichen Inhalt eines Vertrages, der zumindest der breiten Öffentlichkeit sowie den politischen Vertretern unserer Republik vollkommen unbekannt ist. Es hat den Anschein, als redeten oder schrieben alle - im Sinne von Gerhart Hauptmanns Loth in "Vor Sonnenaufgang" - wie "der Blinde von der Farbe".
Die österreichischen Politiker sehen allesamt AstraZeneca in der Pflicht; den zuständigen Vertretern dieses Unternehmens wird vorgeworfen, sich nicht an vertragliche Verpflichtungen zu halten, den Vertrag zu "brechen" und andere Länder, wie z.B. Großbritannien, bevorzugt zu behandeln; und dies, obwohl die EU für die Entwicklung des Impfstoffes mit erheblichen finanziellen Akonozahlungen in Vorleistung getreten, die rasche Entwicklung des Impfstoffes überhaupt erst möglich geworden sei.
Europaministerin Edtstadler geht in einem Interview bei PULS 24 vom 27.01.2021 sogar soweit, das finanzielle Engagement der EU bei AstraZeneca (Jahresumsatz ca. 24 Milliarden USD) als "Riesenerfolg" darzustellen.
Sie (Edtstadler) wolle wissen, was Sache sei, man brauche Klarheit. "(...) Dass AstraZeneca Verträge einhalten muss und das sage ich ganz eindeutig als Juristin, es gibt den Spruch pacta sunt servanda, also Verträge müssen eingehalten werden (...)".
Ergänzend erwähnt Edtstadler noch: "Ich kenne die Verträge nicht im Detail".
Dazu nun Folgendes: So, wie sich die österreichische Bundesregierung nicht selbst finanziert bzw. finanzieren kann, gilt dasselbe für die Europäische Kommission. Wir, das Volk, finanziere die im Amt befindlichen Protagnisten.
Das setzt, zumindest für mich, voraus, den Anspruch erheben zu dürfen, bestmöglich vertreten oder verwaltet zu werden. (unabhängig davon, welcher politischen Partei die einzelnen Personen angehören). Dass das bei weitem nicht der Fall ist, wird, exemplarisch, an der Impfstoffbesorgungsaktion deutlich. Man fordert, gegenüber der Vertragspartner, etwas ein, dass es möglicherweise gar nicht gibt. Der Verdacht liegt nahe, dass sich EU bzw. die europäische Kommission nicht entsprechend kompetent "verkauft" hat. Anders ist nicht plausibel zu erklären, wie es zu einem solchen "Impfstoffdesaster" kommen konnte.
Nun will man zwar, dass das Vertragswerk öffentlich, für jedermann/frau publik wird; das wiederum widerspricht der (scheinbar vereinbarten) vertraglichen Verschwiegenheitspflicht. Das Androhen juristischer Konsequenten wird AstraZeneca wenig beeindrucken. Glaubt man den Äußerungen von AstraZeneca CEO Pascal Soriot, dann ist der von Ursula von der Leyen vertretene Standpunkt ebenso wenig wert, wie die Ausführungen der österreichischen Europaministerin.
Ich gehe (beinahe) jede Wette ein, dass sich am Ende des Tages bewahrheitet, was allenthalben vermutet wird: Die EU hat einen Vertrag abgeschlossen, der im Fall der Fälle (weniger Impfstoff, verspätete Lieferung etc.) den davon betroffenen Menschen (Risikogruppen, ältere Menschen etc.) "auf den Kopf" fällt. Diese (europäische) Sicht der Dinge ist aber nur ein Teil der ohnedies seit Jahren bzw. Jahrzehnten krude anmutenden Entscheidungsfindung. Ein Versagen auf nahezu allen zentralen Ebenen: Keine sinnvolle Asyl- bzw. Migrationspolitik, keine einheitlichen Standpunkte zur COVID-19 Bekämpfung, keine einheitliche Strategie im militärischen Bereich, keine Lösung für Fragen im Zusammenhang mit Wirtschaftsembargos, die vor allem von den USA gegenüber bestimmten Staaten verhängt wurden.
Immer wieder präsentiert sich die EU in all diesen Bereichen, die beliebig ergänzt werden könnten, als vollkommen zahnlos, handlungsunfähig und uneins.
Was Frau von der Leyen auf EU-Ebene zum "Besten" gibt, wird von unserer Europaministerin nahtlos übernommen. In Unkenntnis der tatsächlichen Vertragslage (was ich mir nicht vorstellen kann) Konsequenzen zu fordern, grenzt beinahe an "Schwachsinn". Wenn sich die Situation so darstellt, wie von Edtstadler und von der Leyen behauptet, dann hat die europäische Kommission einen Vertrag für alle Mitgliedsländer abgeschlossen, die wiederum den Vertragsinhalt nicht kennen wollen. Das ist einerseits vollkommen weltfremd, andererseits absolut unüblich. Österreich, als mittelbarer Vertragspartner, wird wohl in der Lage sein, in den mit AstraZeneca abgeschlossenen Vertrag Einsicht zu nehmen, um diesen entsprechend beurteilen zu können bzw. prüfen zu lassen. Das wäre, an und für sich, keine großartige Aufgabe; dies unter der Voraussetzung, dass man diesen Vertrag in allen Details auch sinnerfassend lesen kann.
"Pacta sunt servanda" zu fordern, ist vielleicht für Edtstadler ausreichend - als ehemalige Richterin sollte aber selbst sie wissen, dass dieser Rechtsgrundsatz in mehreren Fällen nicht anwendbar ist, von der Österreichischen wie der Europäischen Rechtsprechung mehrfach durchbrochen wird. Das gilt beispielsweise für die Fälle der Unmöglichkeit, höherer Gewalt, objektiven Verzug etc..
Chr. Brugger
29.01.2021