Ermittlungen gegen den Bundeskanzler

17.05.2021

Scheinbar gibt es in den letzten Tagen, gar Wochen, kein interessanteres Thema, als die Antwort auf eine Frage zu finden, ob Bundeskanzler Sebastian Kurz im Falle eines Strafantrages gegen ihn zurücktreten müsse. Das (allenfalls) "problematische" für den Bundeskanzler könnte man darin erkennen, dass er sich gegen einen solchen Strafantrag (§ 210 StPO) rechtlich kaum wehren kann. "Wenn auf Grund ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt und kein Grund für die Einstellung des Verfahrens oder den Rücktritt von Verfolgung vorliegt, hat die Staatsanwaltschaft bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht Anklage einzubringen (...)".

Da das österreichische Einzelrichterverfahren sohin keinen Einspruch gegen den Strafantrag kennt, gibt es, zur Wahrung der Interessen des Angeklagten, jedoch die Möglichkeit einer amtswegigen (gerichtlichen) Überprüfung des Strafantrages vor Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485(1) StPO).

Nun vergeht seit dem Tag des Beginns von Ermittlungen gegen Kanzler Kurz im Sinne des § 288(3) StGB kein Tag, an dem nicht, von wem auch immer und unter dem Motto "Ein angeklagter Kanzler ist nicht länger tragbar", dessen Rücktritt gefordert wird.

Dass sich Kurz gegen diese "Forderungen" zur Wehr setzt, versteht sich von selbst. Schweigen würde man ihm wohl als "Eingeständnis" seiner Schuld auslegen. So wird der Kanzler in den letzten Tagen nicht müde, gleichsam gebetsmühlenartig, seine (strafrechtlich relevante) "Unschuld" zu beteuern. Er geht sogar so weit, zu behaupten, er sei, als Auskunftsperson, mit dem Vorsatz vor den "Ibiza-Untersuchungsausschuss" getreten, die Wahrheit zu sagen ("... "ich habe schon gar nicht vorsätzlich etwas Falsches gesagt"). Dort sei er dann, zusammengefasst, im Rahmen unredlicher bzw. zweifelhafter Befragungsmethoden, mit Suggestivfragen, Unterstellungen etc. in Richtung einer falschen Aussage manövriert worden, wiewohl ihm nur an einer wahrheitsgemäßen Aussage gelegen gewesen sei. Man habe, das ist mittlerweile auch sein Vorwurf an die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, "semantische Wortklauberei" betrieben; einziges Ziel sei, von Beginn seiner Kanzlerschaft an, ihn aus dem Amt zu befördern: "Kurz muss weg". Es würde der stete Versuch unternommen, "jemanden über das Gericht aus dem Amt zu befördern".

Nun hat Kurz, dem Vernehmen nach über seine anwaltliche Vertretung, ein Gutachten von Univ. Prof. Dr. Hubert Hinterhofer in Auftrag gegeben, in dem dieser (nicht unerwartet) zu folgender "Erkenntnis" gelangt: "Ein für eine Anklage notwendiger dringender Tatverdacht (Verurteilungswahrscheinlichkeit) dahingehend, dass der Bundeskanzler vor dem Untersuchungsausschuss vorsätzlich unrichtig ausgesagt habe, lässt sich der Mitteilung der WKStA folglich nicht entnehmen".

So wie Hinterhofer die Ansicht vertritt, es liege kein dringender Tatverdacht vor, vertreten andere, ebenso namhafte, "Experten", eine gegenteilige Ansicht. Insofern ist für Kurz nichts gewonnen; eher im Gegenteil. Es hat nicht nur den Anschein, als würde Kurz bereits im Vorfeld eines allfälligen Strafverfahrens den Versuch unternehmen, gegenüber der Öffentlichkeit seine Unschuld unter Beweis stellen zu wollen. Wie sinnvoll dieses strategische Vorgehen ist, wird sich spätestens dann zeigen, wenn feststeht, ob gegen Kurz Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird.

Auffällig ist in jedem Fall, dass Kurz keine Minute seiner reichlich vorhandenen "Redezeit" anlässlich von Presskonferenzen und sonstigen öffentlichen Auftritten auslässt, sich als "Opfer" oppositioneller "Befleckungen" darstellen zu wollen. Er verhehlt auch nicht, dass sein Vertrauen in den Rechtsstaat lediglich "grundsätzlicher Natur" sei, nicht vorbehaltlos und uneingeschränkt also. Mit einem solchen "Zugeständnis" an die Strafverfolgungsbehörden würde er sich zwar, für den Fall der Fälle (rechtskräftige Verurteilung), zumindest argumentativ, die Hintertüre verschließen, die Entscheidung als "politisches Urteil" oder "Fehlurteil" bewerten und die Rechtsstaatlichkeit weiterhin hinterfragen zu können. Es handelte sich aber, wenigstens in diesem Fall, um ein klares Bekenntnis uneingeschränkten Vertrauens in die österreichischen Justizbehörden.

Das Gutachten von Hinterhofer hat, ebenso wie andere Expertisen, nicht mehr an Wert oder Gehalt als das Papier, auf dem es steht. Es handelt sich um eine private Meinung - nicht mehr und nicht weniger, dafür aber den Anschein, als wolle sich der Kanzler dadurch vom Irrtum bei seiner eigenen Prognose befreien; Kurz ging ja bislang davon aus, gegen ihn würde Anklage erhoben und (nur) ein einzelner Richter hätte zu entscheiden (aus dieser Aussage könnte man, so man wollte, ebenso eine bewusste oder unbewusste Geringschätzung der Justiz herauslesen). Mit dem Gutachten Hinterhofers will Kurz anscheinend seine prognostische Selbsteinschätzung widerlegen. Seine bisherige Diktion wird sich insofern vermutlich wohl ändern; "ich glaube zwar immer noch, aber ..." wird man künftig vernehmen.

Diese, von Kurz gewählte, momentan noch präventive, "Prozesstaktik" kann man sehen, wie man will; es ist jedermann freigestellt, sich so zu verteidigen, wie er es für sinnvoll erachtet; durchschaubar ist diese "Taktik" jedenfalls relativ einfach. Man könnte daraus auch ableiten, man wolle die WKStA, zumindest aber, im Falle einer Anklage, den zuständigen Verhandlungsrichter mit "eindeutigen", in der Öffentlichkeit bis dahin dann bereits einzementierten, Argumenten in Richtung eines ganz "bestimmten Vorgehens" (an)leiten.

Nicht besonders vorteilhaft erscheint jedenfalls die türkise "Strategie", die Tätigkeit Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt (WKStA) anhaltend in einem "schrägen" Licht erscheinen zu lassen bzw. kritisch zu hinterfragen. Das Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen Kurz wird auf Basis der derzeitigen Rechtslage in Österreich durchgeführt. Insofern sind die Verantwortlichkeiten vollkommen klar. Die WKStA ist gegenüber der Justizministerin, Alma Zadić weisungsgebunden und berichtspflichtig.

Vollkommen weisungsfrei wäre hingegen das für Kurz (im Falle einer Anklage) zuständige Gericht bzw. der zuständige (Einzel-) Richter (Art. 87(1) B-VG: "Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig".)

So wie Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft gem. § 2(1) StPO verpflichtet sind, "jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Anfangsverdacht einer Straftat in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären" hat, hat gem. § 2(2) StPO das Gericht "im Hauptverfahren das Gericht die der Anklage zu Grunde liegende Tat und die Schuld des Angeklagten von Amts wegen aufzuklären".

Gingen alle an der "Causa Kurz" Beteiligten vorbehaltlos von einem uneingeschränkt "funktionierenden" Rechtsstaat aus, dann wäre das unnütze Getöse aus jederlei Richtung absolut entbehrlich.

Zwei "Dinge" sind zumindest vollkommen klar: Gem. Art. 7 B-VG sind alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich und gem. § 8 StPO gilt jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Diese beiden Rechtsgrundsätze gelten auch für den Bundeskanzler der Republik Österreich.

Chr. Brugger

17.05.2021