Ein Wolf meldet sich zu Wort

21.08.2020

Zeitnah zur Publikation meines Artikels "Der Böse Wolf" hat sich, nein nicht Rotkäppchen oder Franz Eßl, sondern ein derzeit auf österreichischem Staatsgebiet herumspazierender Wolf gemeldet, wollte zur seit Monaten bzw. Jahren anhaltenden pseudopolitischen Auseinandersetzung über sich bzw. seine Artgenossen Stellung nehmen, Vorurteile ausräumen und gleichsam, für alle Wölfe mit Aufenthaltsort im Inland, ein "Friedensangebot" unterbreiten.

An der Glaubwürdigkeit seiner Biografie bestehen weder Zweifel noch fällt es einem (nach der Unterredung) schwer, durchaus Sympathie für ihn und sein mittlerweile stattliches Rudel zu empfinden.

Seine ursprüngliche Familie habe jahrzehntelang um bzw. am Olymp, dem Berg der Götter, gelebt, jedoch außer Acht gelassen bzw. nicht gewusst, dass vom umfassenden Schutzbereich für Wölfe im Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FHH-RL) nur Wölfe erfasst sind, die sich südlich des 39. Breitengrades in Griechenland befänden (das Gebiet rund um den Olymp liegt sich in etwa am 40. Breitengrad).

Er habe nur deshalb überlebt, weil ihn türkischstämmige Griechen mit einem Hund verwechselt hätten, ihn, in Unkenntnis seines tatsächlichen Charakters, bei sich auf-, und den Versucht unternahmen, ihn zu domestizieren. Anlässlich eines Besuches bei Verwandten im fernen Istanbul sei er geflüchtet und habe sich - über die Westbalkanroute - auf den Weg nach Süd- bzw. Mitteleuropa gemacht.

In Nordosten von Kroatien habe er, hin zur Grenze nach Ungarn, Bekanntschaft mit wild um sich schließenden Grenzbeamten sowie zwei bisexuellen Wölfinnen gemacht, die sich ihm (die beiden Wölfinnen) angeschlossen und mit denen er dann über Slowenien nach Österreich eingereist sei.

In Kärnten habe er sich mit seinen Begleiterinnen nie so richtig wohl gefühlt; stark frequentierte Tourismusgebiete, nicht enden wollender Zuzug italienischer, französischer, gar afrikanischer Artgenossen, vor allem aber die Tatsache, dass selbst entlegene Almgebiete mit reichlich Weidevieh nicht sich selbst überlassen, sondern von Hirten samt Hunden bewacht wurden, hätten sie dann veranlasst, dem Rat eines sterbenden Artgenossen Glauben zu schenken, der ihnen riet, sich in einem ländlichen Gebiet niederzulassen, in dem die Landwirte die größten Kartoffeln ernteten. Das sei ein sicheres Indiz für reichlich Nahrung, wenig physische Gegenwehr, sohin nahezu das Sicherste, was die Natur in ganz Europa zu bieten hätte, gleichsam trottelsicher.

So sei man über die Nockberge in Salzburgs südöstlichsten Teil, den Lungau, übersiedelt, habe dort, im kleinen Rudel sozusagen, begonnen, für Nachwuchs zu sorgen; klimaveränderungsbedingt seien bisher eiskalte, schneereiche Winter ausgeblieben, es gäbe ein vielfältiges Spektrum an Nahrung, Touristen bekäme man nur ab und an zu sehen und: Hier wüchsen tatsächlich große, sehr große Kartoffeln.

Man könne das Leben in der waldreichen wie bevölkerungsarmen Gegend durchaus mit dem Paradies vergleichen; geruhsamer, ungestörter Schlaf in, aus heimischen Hölzern gezimmerten, Hütten, befüllt mit duftendem Heu, glasklares Quellwasser aus Holztrögen, junge Lämmer und neugeborene Ziegen, sonntags ab und an ein paar frei herumlaufende Hühner, manchmal, wenn es sein muss bzw. einem danach ist, junge Hasen oder ebensolche Kaninchen.

Im Winter stünden überwiegend Rehkitze oder deren jung gebliebene Geißenmütter, Wildhasen, hin und wieder unvorsichtige bzw. mutige Murmeltiere auf dem Speiseplan, zu langsame Eichhörnchen (allerdings nur als Vorspeise), einfältig-junge Steinböcke sowie nicht allzu schlaue Füchse.

Man habe durchaus verstanden, dass die Art und Weise des Rhythmus der Nahrungsbesorgung, auch im Lichte der immer größer werdenden Population, nicht überall willkommen sei; man gäbe aber zu bedenken, dass auch die Landwirte nichts anderes tun würden; sie züchten Vieh um es töten, selbst zu essen oder gewinnbringend zu veräußern; sie würden Hirsche, Rehe, Wildschweine und sonstige Tiere mit dem Gewehr, vom Hochsitz oder vom geländegängigen Jeep aus, erschießen, auch vor Treibjagden nicht halt machen um sich dann, unter dem Einfluss alkoholischer Getränke, ihrer Taten bzw. getätigten Abschüsse zu rühmen. Das sei weder sportlich noch sonderlich fair; das Gejagte hätte keinerlei Überlebenschance, wohingegen bei ihnen (den Wölfen) das auserkorene Opfer für das Mahl durchaus in der Lage sei, durch Flucht zu entziehen.

Auf den, scheinbar ach so heiligen, Almhütten würde man in den Sommer- und frühen Herbstwochen Speck, Würste, Reh- und Rohschinken von der Wildsau verkaufen, mit reichlich Grammelschmalz beschmierte Brote, kalten Schweinsbraten und, wenn gewünscht, sogar Salat mit Putenstreifen.

Der Leitwolf habe selbst, anlässlich eines Kurzbesuches im Zentrum des Bezirkshauptortes, gesehen, wie sich mehr als hundert Hühner, nackt und ohne Kopf, laufend vor einer glühenden, orange leuchtenden, Wand gedreht hätten, um dann an scheinbar hungrige Passanten verkauft zu werden; das sei in jedem Fall der bisherige Gipfel bäuerlicher Absonderlichkeiten.

Darüber hinaus sei anzumerken, dass die Leute früher selbst, nahezu ausschließlich, als Jäger und Sammler tätig geworden sind, um sich ausreichend ernähren zu können, nicht aussterben zu müssen. Wölfe würden auf das Sammeln zur Gänze verzichten und nur das jagen, was sie für den täglichen Bedarf benötigen; die Menschen hingegen jagten nach wie vor auf Vorrat und dafür, ihre finanzielle Lage zu verbessern.

Sollten daher die Eigentümer der größten Kartoffeln nicht damit aufhören, die Autonomie der Wölfe zu hinterfragen, ihre Umvolkung in den Anhang V der Richtlinie 92/43/EWG zu verlangen, weiterhin gegen sie zu petitionieren, sei mit massivem wölfischem Widerstand zu rechnen.

Dieser bestünde vorerst darin, sich mehr und mehr an heimischen Schmankerln (Schweinsbraten, Wiener Schnitzel vom Kalb (jeweils in roher Form), sowie Lungauer Rahmkoch etc.) schadlos zu halten; genügte das nicht, würde man dazu übergehen, alle verfüg- oder auffindbaren Wildschweine auf diejenigen Äcker zu treiben, auf denen die als sakrosankt geltenden Kartoffeln (ob groß oder klein wird dabei den in Panik befindlichen Keilern und Bachen ziemlich einerlei sein) heranwachsen.

Sollten auch die Ernteausfälle kein Einlenken bewirken, würde bzw. könnte man zu guter Letzt die gesamte, derzeit noch so friedlich dahinschlummernde, Almwirtschaft zum Erliegen bringen. Kein Vieh auf der Weide, keine Gäste vor den Hütten, kein Schwarzgeld in der Kasse.

Am Ende der Fahnenstange sei man mit diesem stufenweisen Procedere dann aber jedenfalls noch lange nicht angekommen; man könnte - am Olymp wurde das relativ erfolgreich (wenn auch mit einigen Verlusten) praktiziert, dazu übergehen, den Jägern das Spiel "vom Jäger zum Gejagten" beizubringen; den Begriff "Jäger" könne man durch jeden anderen Beruf oder jede andere Form der Leidenschaft ersetzen, wohingegen "zum Gejagten" eine Konstante bliebe. Personell sei man jedenfalls gut aufgestellt, zu allem bereit und durchaus nicht willens, das salzburgerische Eldorado freiwillig zu verlassen.

Man vertraue voll und ganz, dass kann jetzt durchaus pathetisch klingen, den letzten Worten des klugen, sterbenden Wolfes in Kärnten: "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht". Sollte auch diese These, wie die von den großen Kartoffeln, stimmen, dann wird die Land- und Jagdwirtschaft in diesem Teil von Salzburg zum Erliegen kommen, die Nahrungskette durchbrochen, der Pass der Lebensmittelzufuhr zeitnah so eng sein, dass der davon betroffene Teil der Bevölkerung froh und dankbar den Lungau über die noch verfügbaren Alpenpässe verlassen wird.

Nichts zu essen, nur widerspenstige, zu keinem Kompromiss bereite, Wölfe - eine Gegend um verlassen, möglichst bald vergessen zu werden.

Um ein solches Szenario hintanzuhalten, unterbreitet der Wolfsrudelführer einen (jedenfalls er(n)sten und zugleich letzten) Kompromissvorschlag:

"Es bleibt alles, wie es ist" - kurz & bündig, im Sinne einer ohnedies hinlänglich bekannten Tradition österreichischen Politik(er) - Verständnisses: Ja nichts verändern; wenn es denn sein muss, jedenfalls nicht zum Besseren.

Chr. Brugger

20.08.2020