Ein nüchterner Befund
Wer meine Einträge der letzten Tage liest, wird vielleicht der Ansicht sein, ich würde vor allem die "Bemühungen" der österreichischen Parteipolitiker, die man neuerdings ebenso als Protagonisten der neuen europäischen Linieneinheit bezeichnen könnte wie die Frauen von der Leyen und Baerbock, Russland, respektive dessen Präsidenten Wladimir Putin, zur Raison bewegen zu wollen, allzu kritisch beurteilen, deren "diplomatischen Aktionismus" ins Lächerliche ziehen. Damit mag man Recht haben - für mich ist das, was Nehammer, Schallenberg, Karner oder Tanner glauben tun zu müssen einfach nur lächerlich.
Sie erwecken für mich den Anschein, als würden sie das, was sie von sich geben, zumindest selbst ernst nehmen und erwarten, dass die, die ihnen zuhören bzw. zuhören müssen, weil sie rund um die Uhr im Einsatz zu sein scheinen, das ebenso tun.
Ein Interview da, eine Pressekonferenz dort, ein Herr Karner im blaulichtfunkelnden Brüssel, dem Zentrum aller Besprechungen, Sitzungen, Beratungen und Entscheidungen auf europäischer Bühne.
Treffen der europäischen Innen-, Außen, Verteidigungs- und sonstigen Minister - alles standesgemäß auf zumindest vermeintlich höchster Ebene und alle Beschlüsse, Entschließungen, Anträge oder Forderungen in einstimmig-romantischer, vertrauter Einigkeit, ge- und entschlossen, wie das Nehammer nennt.
Man hat sich in der europäischen Union, vor dem Hintergrund der russischen Kriegstätigkeit in der Ukraine, einen gemeinsamen Feind auserkoren, das Staatsoberhaupt der russischen Föderation, der spätestens seit einer Woche das Ziel europäischer Bemühungen ist, den Ukrainern möglichst noch mehr Leid zu ersparen, ihnen zu helfen, wo es möglich ist und Russland vor allem wirtschaftlich zu schaden, zumindest dort, wo das, unter Berücksichtigung der eigenen Interessen, gerade noch als vertretbar gilt.
Das ist, ganz nüchtern betrachtet, die momentane Situation: Man ist sich einig darüber, Wirtschaftssanktionen verantworten und damit, bis zu einer bestimmten Grenze, eigenen Schaden in Kauf nehmen zu wollen.
Militärisch hält man sich - aus guten Gründen - zurück, liefert halbherzig Waffen in die Ukraine oder an dessen Grenzen, um die Gefahr für "Europa" selbst möglichst gering zu halten; eine kriegerische Konfrontation bzw. Tätigkeit wird nach wie vor kategorisch ausgeschlossen.
Dazu kommen humanitäre Hilfen für Flüchtende an den Grenzen hin zur Ukraine.
Das ist, zusammengefasst, die bisherige Leistung der europäischen Union - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nun gibt es seit Jahrzehnten Wirtschaftssanktionen gegen Russland und andere "Aggressoren" wie den Irak, den Iran, Afghanistan, die Al-Quaida oder die Taliban - die Wirkung all dieser Sanktionen ist seit ebenso vielen Jahren für die davon Betroffenen kaum spürbar.
Die von den Sanktionierenden prophezeiten Folgen sind bislang ebenso ausgeblieben, wie ein Zusammenbruch der wirtschaftlichen Systeme der Sanktionierten; unter den Sanktionen leidet nahezu ausschließlich die zivile Bevölkerung in den genannten Staaten, Gebieten oder Regionen; es leiden diejenigen Menschen, die den dortigen Staatsoberhäuptern oder Regimen hilflos ausgeliefert sind.
Dasselbe wird auch in Russland oder Weißrussland der Fall sein - wirtschaftliche Konsequenzen sind für einen Wladimir Putin oder Aljaksandr Lukaschenka vollkommen irrelevant, treffen diese persönlich nicht im Mindesten.
Dazu kommt, dass die EU die wirtschaftlichen Sanktionen aus Eigeninteresse in zentralen Bereichen wie der Energiewirtschaft massiv eingeschränkt verhängt hat - Geld fließt nach wie vor in die eine, Erdgas und Erdöl in die andere Richtung - zum Wohle Europas. Dieses halbherzige Handeln gipfelt in der Tatsache, dass man ohne die USA militärisch völlig handlungsunfähig ist.
Das sind im Großen und Ganzen die Vorzeichen oder Voraussetzungen für alle europäischen "Friedensbemühungen", die sinnentleerten Aufforderungen an Herrn Putin, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, einzulenken und seine kriegerischen Aktivitäten in der Ukraine und Weißrussland umgehend einzustellen.
Jetzt kann man durchaus der Meinung sein, Putin habe jeden Bezug zur Realität verloren, sei nicht mehr Herr seiner Sinne, wisse nicht mehr was er tue, wie Emmanuel Macron meint. "Behandeln" muss man ihn, es sei denn er würde plötzlich "verschwinden", dennoch irgendwie; die Frage ist nur wie. Mit dem, was Europa bislang getan hat, wird Russland nicht zum Einlenken zu bewegen sein; in diesem Zusammenhang ist es völlig grotesk, wenn beispielsweise eine Annalena Baerbock landauf landab verlauten lässt, Putin habe die Einheit der europäischen Union unterschätzt, nicht mit solchen Sanktionen gerechnet, habe sich schlichtweg verkalkuliert und würde am Ende den Krieg verlieren.
Welchen Krieg meinen Frau Bearbock oder unsere heimischen "Botschafter"? Aus dem Krieg in der Ukraine werden keine Sieger hervorgehen - die Verlierer stehen bereits fest: Die Ukrainer und jene Russen, die diesen Krieg nicht wollen oder wollten, Opfer perverser Überlegungen sind und noch werden. Putin wird sich am Ende des Tages zu wehren wissen, im schlimmsten Fall noch als "Friedensbotschafter" in die europäische Geschichte eingehen.
Wenn Baerbock & Co hingegen den "Wirtschaftskrieg" meinen, dann wird noch viel schneller klar, wer am Ende des Tages zumindest die Rechnung bezahlen wird: Wir, die Europäer, die europäische Union und mit Sicherheit nicht Wladimir Putin oder die ihn umgebenden "Oligarchen".
Mit dem Argument solidarisch geeint auftreten und der Ukraine vor allem humanitäre Hilfe zukommen lassen zu müssen, rechtfertigt man in der EU, frei nach dem Motto eines hierzulande Zurückgetretenen, "koste es, was es wolle", all das, was man momentan beschließt und wie man handelt. Damit will man auch das kaschieren bzw. wieder gut machen, was man in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässig und verabsäumt hat: An einer europäischen "Sicherheitsarchitektur" zu basteln, die ihren Namen verdient und endlich einzusehen, dass es ein geeintes oder friedliches Europa nur dann geben kann, wenn Russland ein zentraler Teil dieses Gebäudes ist.
Insofern sind die An- oder Aussagen einer Frau von der Leyen, wonach die Ukraine Teil der europäischen Union werden könnte, völlig kontraproduktiv, blanker Wahnsinn und Wasser auf die Mühlen russischer Kriegstreiberei. Als wären Waffenlieferungen an die Ukraine nicht bereits Affront genug, gießt Europas "First Lady" noch Öl ins Feuer, indem sie die kriegsverfangene Ukraine mit europäischen Avancen hofiert. Dümmer ginge es fast nicht.
Wenn ein sofortiger Friede das Ziel ist, wäre man gut beraten, die Situation nüchtern zu betrachten und festzustellen, dass, so nicht ein Wunder geschieht, eine militärische Auseinandersetzung der NATO mit Russland unausweichlich ist, man Putin zumindest mit einem klaren Ultimatum konfrontieren muss. Anders wird die russische Föderation nicht zum Einlenken, zur Aufgabe ihrer absurden, territorialen Ansprüche in der Ukraine zu bewegen sein - es sei denn, man akzeptiert - mit Zustimmung der Ukraine - die russischen Gebiets- und Einflussansprüche auf der Krim und in großen Teilen der Ostukraine. Selbst bei solchen Konzessionen wäre man aber latent der Gefahr weitergehender russischer Begehrlichkeiten ausgesetzt. Insofern wäre ein Angriff auf Russland von Seiten der NATO allenfalls noch das geringere Übel - ohne chinesisches Zutun oder Wohlwollen wäre eine solche Entscheidung allerdings nicht nur äußerst riskant, sondern für ganz Europa eine Katastrophe. Der Traum von einem friedlichen Europa auf ewige Zeiten wäre endgültig ausgeträumt.
Insofern wird es am Ende eines langen, blutigen Krieges zu einer typisch europäischen Lösung kommen: Man wird den territorialen Ansprüchen Russlands nachgeben, die Selbstständigkeit der Ukraine am Altar des europäischen Friedens opfern oder darauf hoffen, dass die russische Armee ihre Tätigkeit sukzessive einstellt und sich samt russischer Zivilbevölkerung gegen die eigene Regierung zu einer Widerstandsbewegung formiert, solcherart den "Platz der Unabhängigkeit" in den Moskauer Kreml verlagert und das dortige Regime zu Fall bringt.
Das wird dann aber, im besten Fall, das Verdienst von Selenskyi, Klitschko und all jener sein, die sich auf die kriegerische Auseinandersetzung mit der russischen Föderation eingelassen und unerbittlich Widerstand geleistet haben - der Beitrag der europäischen Union wird dabei allerdings zu vernachlässigen und verschwindend gering sein.
Eine dieser beiden, zuletzt skizzierten, Varianten wird daher das Ende des Krieges in der Ukraine darstellen und bedeuten - ohne großes Zutun der "geeint auftretenden" europäischen Union; insofern könnte man (aus europäischer Sicht) das Vorgaukeln eines Weltkriegsszenarios ebenso einstellen wie die dümmlich-absurd anmutenden Aufforderungen an Putin, den Krieg in der Ukraine umgehend zu beenden, da man ihn ansonsten für sein Tun zur Rechenschaft ziehen und als Kriegsverbrecher behandeln würde.
Der Beitrag der EU kann demnach nur sein, humanitäre Hilfe zu leisten und das Leid der vom Krieg Betroffenen zu lindern - dazu bedarf es aber keiner täglichen, scheindiplomatischen Ansagen, krude wirkenden Aufforderungen, gar eines Märchens, ein geeintes Europa wäre in der Lage den Weltfrieden zu retten oder mit Sanktionen den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Chr. Brugger
02/03/2022