Ein Land unter Strom – oder Strom unter?

04.09.2022

Zugegeben: Ich habe weder von Stromerzeugung, dem Handel mit Strom an sich, gar dem scheinbar üblichen Börsenhandel mit Energieprodukten eine Ahnung. Bisher war es für mein bescheidenes Denkvermögen ausreichend, dass der Strom aus der Steckdose kommt und als solcher in der Lage ist, Kaffeemaschine und Computer funktionieren zu lassen. Zudem weiß ich seit meinen Volksschultagen (respektive aus der aktuellen Fassung der Bundeshymne), also längst, dass wir ein "Land am Strome" sind und folglich nichts zu befürchten haben.

Quelle: https://www.erenja.de/magazin/wie-funktioniert-stromhandel

Seit dem Ende der vorletzten Woche hat sich mein bescheidenes Interesse an diesem essenziellen Daseinsbestandteil schlagartig verändert; traut man dem schlauen Internet, dann hat sich in unserer Bundeshauptstadt ein Vorfall ereignet, der mein bislang grenzenloses Vertrauen bezogen auf die Versorgungssicherheit mit Elektrischem aus der Steckdose massiv in Mitleidenschaft gezogen hat.

Scheinbar, jedenfalls Internetinformationen zufolge, hat sich das größte heimische Energieversorgungsunternehmen, die Wien Energie GmbH (FN: 215854h) mit Sitz am Thomas-Klestil-Platz 14 in A-1030 Wien, am Ende der KW 34/2022 in finanziellen Schwierigkeiten befunden.

Das wäre nun, nicht zuletzt aufgrund ganz anderer Krisenszenarien, kaum erwähnenswert; befände sich die Wien Energie GmbH ihrerseits nicht zu 100% im Portfolio der Wiener Stadtwerke GmbH (FN: 127783t), sich diese wiederum nicht im ausschließen Eigentum der Firma Stadt Wien, die mediale Resonanz zu einem kurzfristigen Liquidationsengpass der Wien Energie GmbH wäre womöglich etwas weniger heftig ausgefallen.

Quelle: https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/6183214/Rechnungshof-prueft_Wien-weist-Vorwuerfe-der-Spekulation-bei-Wien

So aber gibt es seit ein paar Tagen in Österreich eine "causa prima":

Die "Pleite" der Wiener Energie GmbH.

Als minderintelligenter Durchschnittsösterreicher darf man sich ungestraft, davon gehe ich aus, die Frage stellen, warum der weitaus größte Energieversorger des Landes am Rande der Zahlungsunfähigkeit dahinnavigiert, wenn doch Politiker aller Couleurs seit Monaten darüber sinnieren, die krisenbedingt zustande gekommenen "Zufallsgewinne" von solchen Unternehmen zusätzlich zu besteuern oder abzuschöpfen um so den "Ärmsten aller Armen" finanziell unter die Arme greifen zu können?

Wie immer meldet sich - natürlich völlig zurecht und unaufgefordert - in solchen Fällen ausnahmslos die heimische Crème de la Crème zu Wort, im Anlassfall das elitäre Substrat einer handverlesenen Scheinexperten-Hautevolee.

Würde unsereiner anlassfallbezogen nicht gleichsam psychosymbiotisch "instruformiert" (kreativwissenschaftliche Synthese aus instruiert & informiert), man wüsste überhaupt nicht, es bliebe allen völlig Vertrottelten (wie mir) verborgen, über welch erkleckliche Anzahl menschgewordener Expertise unser kleines Land verfügt und - vor allem - wer sich aller in diesen Belangen als zum elitären Kreis der sog. Strömer-Koryphäen ("elektrisierende Wundermädchen- & -knaben") gehörig outet.

Nun bin ich für Details, die mit der Energieversorgung in Zusammenhang stehen, zugegebenermaßen zu dämlich; ich zähle mich zudem zu denen, die den von unserem hochgeschätzt-unumstrittenen, allerorts beliebten Bundeskanzler, Karl Nehammer, MSc, mehrfach strapazierten Satz "Für komplexe Probleme gibt es einfache Lösungen, die meistens falsch sind" ernst nehmen und einsehen, dass das Komplexe eben ihre Sache nicht sein soll; so gebe ich mich, mangels eigener intellektueller Alternativen & Ressourcen, mit dem Einfachsten zufrieden und darf die Expertisen der vorerwähnten "Wunderkinder" mit einfachen, wenn auch fremden, Worten (wahllos-exemplarisch) zusammenfassen:

Mag.a Laura Sachslehner, BA: "Mit der heutigen Vertragsunterzeichnung ist die Versorgungssicherheit der Wienerinnen & Wiener gewährleistet. Dadurch konnte ein noch größerer Schaden abgewendet werden. Vielen Dank an die Bundesregierung & allen voran Bundeskanzler @karlnehammer. Dennoch: Dieser massive Finanzskandal muss lückenlos aufgeklärt werden. Es ist das Gebot der Stunde, den Sachverhalt transparent darzustellen. Die Wiener Stadtregierung muss rasch für volle Aufklärung sorgen und alle Vorgänge, die dazu geführt haben, offenlegen."

Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: "(...) ist ja nicht spezifisch für Wien Energie, sondern Ergebnis eines Strommarkts, der nicht funktioniert in der Krise (...). Dieser Markt ist außer Rand und Band".

Dominik Nepp, MA: "Bürgermeister Ludwig lügt täglich die Öffentlichkeit an. Sein Verzocken und Vertuschen von 1,4 Milliarden Euro wird durch unsere Anzeige einerseits strafrechtlich aufgeklärt werden und durch die heute angekündigte U-Kommission werden wir auch die politische Verantwortung von Bürgermeister Ludwig aufzeigen".

DI Walter Boltz: "Normal waren die Geschäfte nicht, weil sonst müssten ja jetzt reihenweise Elektrizitäts- und Gasunternehmen in Europa den Bach hinuntergehen. (...) Ob das jetzt Pech oder schlechtes Management war oder falsche Annahmen, kann man von außen ohne detaillierte Analyse wirklich nicht sagen."

DI Michael Strebl: "Wir sind an der Börse tätig, um die Versorgung unserer Kundinnen und Kunden sicherzustellen. (...) "Was an diesem letzten Freitag passiert ist, das ist wirklich ein Tsunami, der uns hier überrollt hat. (...) Wir haben nicht spekuliert. Wien Energie hat eine sehr risikoaverse Beschaffungsstrategie; also es ist so, bei uns in unserem Risikohandbuch sind Spekulationen ausdrücklich verboten, das kommt sozusagen nicht vor; und ich glaube, es sind sich alle Experten einig, dass also die Beschaffung über die Börse in Zeiten wie diesen die risikoärmste Strategie ist, die man fahren kann."

Dr. Magnus Brunner, LL.M.: "Die Wien Energie hat mutmaßliche Spekulationen an der Energiebörse gemacht, und Strom und Gas gegeneinander verkauft. Riesige Verpflichtungen eingegangen, die sie jetzt eben nicht erfüllen können. Genau das muss man jetzt prüfen."

Mag. Dr. Kocher: "Aus der Untersuchung werden wir wohl lernen, ob es einfach großes Pech war. Ob das Risikomanagement gepasst hat, warum es so lange gedauert hat, bis angefragt wurde, wissen wir noch nicht. Es geht in diesem Fall um Termingeschäfte, wo die Frage ist, ob sie zum Abschlusszeitpunkt die Risikoexposition des Unternehmens insgesamt verringert haben. Wenn sie das Risiko erhöht haben sollten, wäre es Spekulation".

Quelle: https://kurier.at/chronik/wien/wien-energie-spoe-interne-kritik-an-der-krisenkommunikation/402130202

Das wesentliche Substrat aus diesen Aussagen ist für mich:

Die finanziellen Probleme der Wien Energie GmbH sind durch die aktuelle Volatilität des Strommarktes, der teilweise an Börsen stattfindet, bedingt; Geschäfte der Wien Energie GmbH sind dadurch teilweise mit finanziellen Risiken verbunden, deren mögliche Realisierung mit entsprechend hohen Garantien abgesichert werden müssen, um weiterhin am Strommarkt teilnehmen zu können.

Oder: Unsere, also des Volkes Versorgung mit Strom ist u.a. davon abhängig, ob unsere Energieversorgungsunternehmen über die entsprechende Liquidität verfügen, um im schlimmsten Fall den möglichen, geschäftsbedingten Schaden bezahlen zu können.

Und noch einfacher: Unser eigenes (Steuer-) Geld wird in Milliardenhöhe von unseren Politikern (der Bundesregierung) dafür "aufs Spiel gesetzt", dass ein Unternehmen, das ebenfalls uns gehört, in der Lage ist, mit von uns finanziertem Kapital an Börsen Geschäfte zu tätigen, die unsere Versorgungssicherheit latent und potenziell gefährden.

Nun muss ich an dieser Stelle (nein, nicht das Handtuch werfen oder eine weiße Fahne hissen) leider unumwunden zugeben, dass mir mein mathematisches Verständnis schon kurz nach dem kleinen Einmaleins jede Hilfe verweigert, mengentheoretische Formulierungen & axiomatisch aufgebaute Prämissen daher ebenso wenig zu meinem rudimentären Sonderschulwissen zählen wie Kenntnisse auf dem Gebiet des statistischen Zufalls bzw. der Wahrscheinlichkeit.

Übrigens und nur am Rande: Mit "Kolmogorow" hätte ich bis heute zumindest nichts Mathematisches in Verbindung gebracht, eher schon ein von den Russen beschossenes Provinzkaff im Südosten der Ukraine.

Wenn überhaupt, hat mich das in untrennbarer Liaison befindliche Begriffspaar "Zufall & Wahrscheinlichkeit" erst ein einziges Mal in meinem Leben interessiert; bei einem Casinobesuch am Salzburger Mönchsberg durfte ich beim Roulette zweierlei lernen:

1. Mitspielen kannst du nur mit dem, was du tatsächlich persönlich besitzt und zeitgleich zu riskieren bereit bist.

2. Man kann, wenn es der Zufall will oder nicht gut meint, auch alles verlieren.

Wendete man dieses, zugegeben recht einfache, Roulette Knowhow vor der Teilnahme an Börsengeschäften an, wäre zumindest mir klar, wenn auch nicht vollkommen bewusst, dass sich an den Börsen mit Kursschwankungen Geld verdienen lässt - je massiver die Kursschwankungen sind, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen oder (das ist leider "part of the game") zu verlieren - im Notfall alles.

Quelle: https://www.bizkanal.de/blog/boersencrash-2016-von-vielen-experten-vorhergesagt.html

Die alten Römer verwendeten für solche Geschäfte den Begriff "emptio spei", übersetzt also den Kauf einer erhofften Sache, Hoffnungskauf oder Kauf einer Gewinnchance. Dieses Konstrukt findet man heute immer noch in § 1267 ABGB - dort tritt diese "Rechtsfigur" im 29. Hauptstück unter der Bezeichnung "Glücksverträge" auf.

Die Teilnahme an diesem "Bö(r)sen Spiel" bedingt allerdings, billigend in Kauf zu nehmen, dass man mit dem Eintritt eines Ereignisses rechnet (also auf etwas spekuliert) von dem man allerdings zu Beginn (des Spieles) nicht weiß, ob es tatsächlich eintritt oder nicht - und damit die Spekulation auch zum möglichen Totalverlust des eingesetzten Geldes führen kann.

Dem Vernehmen nach soll nun der Handel mit Strom teilweise auch über sog. "Termingeschäfte" der Subkategorie "Futures" abgewickelt werden, Geschäften, die mir zwar dem Namen nach bekannt sind, von denen ich realiter aber keinerlei Ahnung habe.

Eine Eigenart dieser Geschäftspraktik ist es, das wurde mir mit einfachsten Worten erklärt, dass die x-beliebige Menge einer Ware (im Anlassfall Strom) zum tagesaktuellen Preis an der Börse an jemand anderen verkauft wird, die (Strom-) Lieferung aber (zum vereinbarten Preis) erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.

Das wäre, zumindest auf den ersten Blick, nichts Besonderes; Börsianer können aber auch (zum Tagespreis an der Börse) etwas verkaufen, obwohl sie nicht wissen, ob sie die verkaufte Ware am Tag der Lieferung, der in weiter Ferne liegt, zum festgelegten Preis auch tatsächlich liefern können.

Damit auch ich es verstehe: Die Energie Wien GmbH hat mir am 01.04.2022 Strom zum damaligen Preis (€ 165,73 je Megawattstunde an der europäischen Strombörse EPEX) verkauft; als Liefertermin wurde der 31.03.2023 vereinbart. Kann die Energie Wien GmbH am 31.03.2023 diesen Vertrag nicht erfüllen, weil sie an diesem Tag über keinen Strom verfügt, liefert mir die EPEX den Strom.

Um das noch besser zu veranschaulichen: Ich habe am 01.04. des heurigen Jahres eine Terawattstunde Strom von der Energie Wien GmbH gekauft (Kaufpreis damals: € 165.730.000,00).

Am 31.03.2023 kostet eine Megawattstunde Strom bei der EPEX strompreisschwankungsbedingt nur noch € 150,00; mein "Verlust" betrüge € 15.730.000,00 - dafür wäre der "Gewinn" der Energie Wien GmbH ebenso hoch.

Kostete allerdings eine Megawattstunde Strom bei der EPEX am 31.03.2023 z.B. € 247,50, errechnete sich für mich ein Gewinn in Höhe von € 81.770.00,00, wohingegen die Energie Wien AG diesen Betrag verlöre.

An dieser Stelle kommt sprichwörtlich aber erst das latent vorhandene Problem aller Stromlieferanten, im speziellen der Energie Wien GmbH, "ins Spiel": Sie produzieren selbst weder ansatzweise diejenige Menge Strom, die sie - Gewinnabsichten verfolgend (= mit Spekulationsabsicht) an der Börse verkaufen, noch haben sie im Zeitpunkt des Verkaufes eine adäquat hohe Menge an Strom in ihrem Portfolio.

Und - damit wir das künstliche "Finanzierungsvehikel" erst so richtig teuer - es ist auch zu berücksichtigen, dass die Börse als anonymer Glücksspielveranstalter ihrer übernommenen, latent vorhandenen Lieferverpflichtung nicht unentgeltlich nachkommt: Da meine Gewinnaussicht logisch zwingend untrennbar mit einer dazu korrespondierenden Verlusterwartung meines Stromlieferanten einhergeht, muss, sozusagen als Teilnahmebedingung am Glücksspiel, die Energie Wien GmbH dieses Verlustrisiko mit entsprechend hohen Kautionen oder Garantien besichern.

Wenn ich in diesem Moment zeitgleich noch mein restlich verbliebenes Erinnerungsvermögen bemühe, kommt mir, warum auch immer, eine römischrechtliche Binsenweisheit aus den Digesten in den Sinn: "Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet": Niemand kann demnach mehr Recht übertragen, als er selbst hat.

Genau das Gegenteil dieses heute noch allgemein gültigen Rechtsgrundsatzes praktizieren alle Börsianer und damit auch die Energie Wien GmbH; sie verkaufen etwas, was sie nicht besitzen oder ihr Eigentum nennen können.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Vergil#/media/Datei:Vergilio_mosaico_de_Monno_Landesmuseum_Trier3000.jpg

Selbst diese widerwärtige Anmaßung führte prinzipiell nicht zu ihrer apodiktischen Ablehnung; es sollte mE jedem unbenommen sein, beim Roulette sein vermeintliches Glück auf die Probe zu stellen, das Ersparte an den zahlreich vorhandenen Börsen spekulativ zum Einsatz zu bringen oder sich an Sportwetten zu beteiligen; viele kamen solcherart zu Vermögen, andere sahen sich mit Insolvenzverfahren konfrontiert, ein weiterer Teil trifft sich regelmäßig in Schuldnerberatungsstellen, Selbsthilfegruppen für Spielsüchtige oder beim täglichen Spaziergang in Gefängnishöfen - immerhin ist jeder seines eigenen Glückes Schmied oder, wie Publius Vergilius Maro ("Vergil") mutmaßt, "audentis fortuna iuvat" (dem Wagemutigen hilft das Glück).

Problematisch wird das ganze "Spiel" allerdings dann, wenn die Energielieferanten weder über die verkaufte Ware noch über eigenes Geld verfügen und damit das Risiko einzig und allein die Eigentümer, im Fall der Energie Wien GmbH also wir, das Volk, übernehmen müssen, die hochdotierten Energiemanager und -händler also mit unserem Vermögen spekulieren, was diese wiederum und naturgemäß bestreiten: "Spekulation ist, wenn man auf steigende oder fallende Preise wettet" meint beispielsweise Dr. Martin Rainer von der Salzburg AG.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=HsbjciY30Js

Ganz ähnlich (wie Rainer) sieht das allerdings auch der zuvor zitierte Strebl, einer der beiden Geschäftsführer der Wien Energie GmbH: "Wir haben nicht spekuliert. Wien Energie hat eine sehr risikoaverse Beschaffungsstrategie; also es ist so, bei uns in unserem Risikohandbuch sind Spekulationen ausdrücklich verboten, das kommt sozusagen nicht vor (...)".

Nähme man die Aussagen des "Expertenduos" (Rainer/Strebl) ernst, für bare Münze, bedeutete das, dass Wien Energie, Salzburg AG & Co im Rahmen ihrer Strompreisbeschaffung tatsächlich nicht spekulieren oder in der Vergangenheit spekuliert haben.

Dann stelle ich mir allerdings die Frage, warum z.B. von der Wien Energie GmbH Garantien in Höhe von ca. 3,5 Milliarden gefordert wurden, um nicht von der Teilnahme an der Strombörse ausgeschlossen zu werden; das Garantieerfordernis setzt ja voraus, dass mit den getätigten Geschäften zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Verlustrisiko in zumindest ebensolcher Höhe verbunden gewesen sein muss. Dieses Verlustrisiko kann (logisch zwingend) nur daraus resultieren, dass Verträge abgeschlossen wurden, denen u.a. "steigende und fallende Preise" immanent sind. Es wird vermutlich einen Grund haben, warum Strebl von einer "Tsunami-Welle" spricht, die die Wien Energie GmbH am "schwarzen Freitag" erreicht und damit eben eine enorm hohe "Kautionsleistung" erforderlich gemacht hätte.

Verlogen, nahezu dummdreist liest sich die diesbezügliche Pressemitteilung der Wien Energie GmbH: Unter der Überschrift "Kein Cent Steuergeld geht verloren" ist zu lesen, da die Sicherheitsgarantien (Kautionen) nur für die Dauer der Geschäftsabwicklung hinterlegt würden. "Wird das Geschäft abgewickelt, werden sämtliche Sicherheitsgarantien in voller Höhe zurückbezahlt. Die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel sind somit NICHT verloren".

Für wie vertrottelt halten uns die Stromdealer eigentlich?

Faktum ist, dass man zur Besicherung eines finanziellen Risikos, das die Energiemanager im Rahmen spekulativer Anmaßungen eingegangen sind, rund 3,5 Milliarden Euro Steuergeld benötigt hat, die im schlimmsten Fall zur Gänze verloren sein werden - wer anderes behauptet lügt!

Nahezu wahnwitzig klingen die "Rechtfertigungen" von Strebl u. Rainer, dass der Börsenhandel marktüblich sei und größtmögliche Sicherheit biete; spielen, spekulieren oder zocken mag zwar marktüblich sein, das macht dieses erbärmliche Gebaren aber nicht im mindesten redlicher.

Die schwachsinnig-verlogene Beschwichtigungsaktion der Wien Energie GmbH gipfelt im Satz "Die Erhöhung der Sicherheitskaution beeinflusst die Kund*innen-Preise nicht" - vor dem "nicht" hat man augenscheinlich das Adverb "noch" vergessen (vermutlich "nur" ein unbeabsichtigtes Redaktionsversehen).

Redlich wäre, wenn die Energieanbieter bereit und wirtschaftlich in der Lage wären, zumindest die Hälfte der wirtschaftlich bedingten Strompreiserhöhungen in ihre momentane Zahlungsverpflichtung zu übernehmen und diese nicht unreflektiert & kommentarlos uns, den Kunden, zu überlassen. Am Ende des Tages würden wir zwar indirekt auch diesen (von den Stromlieferanten übernommenen) Teil bezahlen - allerdings nicht sofort bzw. monatlich.

Dazu käme, Mut & Aufrichtigkeit vorausgesetzt, dem Volk wahrheitsgemäß Auskunft darüber zu erteilen, dass (direkt oder indirekt) mit Volksvermögen an den Börsen spekuliert wird, was wiederum mit einem unkalkulierbaren Risiko verbunden ist - so einfach wäre das.

So viel zur Verantwortung bzw. zum Verantwortungsbewusstsein der heimischen "Strommanager" mit ihren ohne Bonuszahlungen ach so bescheidenen Einkommen.

Wie gehen nun, das ist eine nicht minder bedeutsame Frage, unsere verantwortlichen Politiker mit dieser Thematik oder besser Systematik um?

Vorab ist festzustellen, dass sich die maßgeblichen Energielieferanten Österreichs nahezu ausschließlich im öffentlichen Eigentum befinden, folglich - je nach "Tönung" der Bundesländer - auch die maßgeblichen Managerposten nicht nach Qualitätskriterien, sondern nur parteipolitisch motiviert besetzt sind.

Aus den Aussagen bzw. dem Schweigen der verantwortlichen Protagonisten (Nehammer, Gewessler, Brunner & Kocher) erhellt, dass ihnen das sinnbefreit-zügel- wie rücksichtslose Handeln ihrer eigenen "Strombeamten" einerlei ist. Entscheidend ist, offen hin sicht- und hörbar, die jeweiligen politischen Widersacher in Misskredit zu bringen, zu verunglimpfen und möglichst schlecht aussehen zu lassen.

Da es, ebenso offensichtlich, um das intellektuelle Leistungsvermögen der genannten Protagonisten nicht sonderlich gut bestellt sein dürfte, beschränken sich die Reaktionen darauf, das Treiben der Energielieferanten untersuchen und (wie immer) evaluieren zu wollen; Nehammer & Co erwarten sich also Aufklärung.

Es ist nicht nur scheinbar zu viel verlangt, von den im eigenen Eigentum befindlichen Unternehmen (Wien Energie GmbH, Salzburg AG etc.) binnen 24 Stunden eine schriftliche Aufklärung darüber zu verlangen, in welcher Höhe in den letzten 24 Monaten risikobehaftete Geschäfte getätigt wurden, in welcher Höhe sich die für den Abschluss dieser Geschäfte nötigen Garantien oder sonstigen Sicherheiten bewegen und wie die "Strombeamten" die Risikosituationen der von ihnen geleiteten Unternehmen - Worst-Case-Szenario inklusive - einschätzen oder bewerten.

Wäre ich verantwortlich und hätte (wie Nehammer & Co) einen schwarzen Freitag wie den 26.08.2022 hinter mir, wüsste ich spätestens am frühen Sonntagmorgen des 28.08.2022 darüber Bescheid, welches einzelne Energieunternehmen mit welchen Volumina samt damit verbundenen Risiken spekuliert hat; dass (an der Börse) spekuliert wurde, steht ja zweifelsfrei fest bzw. ist selbst den Dümmsten seit Jahrzehnten bekannt.

Nein, unsere politisch Verantwortlichen verlangen Aufklärung durch Rechnungshöfe, Evaluierungskommissionen, Untersuchungsausschüsse oder Staatsanwaltschaften - das nimmt zwar viel Zeit in Anspruch, kostet enorm viel Geld, dafür bringt das alles zumindest am Ende nichts.

Quelle: https://www.diepresse.com/6146326/oevp-zeigt-sich-erfreut-ueber-tuerkis-gruene-halbzeit-bilanz</p>

So ziemlich das Dümmste dessen, was an Blödsinn von Politikern aller Parteien in den letzten Tagen produziert wurde, stammt erneut von der Generalsekretärin der von Nehammer angeführten neuen Volkspartei, Laura Sachslehner: "Mit der heutigen Vertragsunterzeichnung ist die Versorgungssicherheit der Wienerinnen & Wiener gewährleistet. Dadurch konnte ein noch größerer Schaden abgewendet werden. Vielen Dank an die Bundesregierung & allen voran Bundeskanzler @karlnehammer. Dennoch: Dieser massive Finanzskandal muss lückenlos aufgeklärt werden. Es ist das Gebot der Stunde, den Sachverhalt transparent darzustellen. Die Wiener Stadtregierung muss rasch für volle Aufklärung sorgen und alle Vorgänge, die dazu geführt haben, offenlegen."

Frau Sachslehner hat, sozusagen als paradigmatisch-elektrifizierendes Vorzeigewundermädchen, scheinbar noch immer nicht begriffen, dass es nicht um die Frage geht, ob spekuliert wurde, sondern warum mit Staatsvermögen überhaupt spekuliert werden konnte und immer noch kann.

Alle Beteiligten (Politiker, Manager, "Strombeamte", Aufsichtsräte) beschäftigen sich nur damit, ihr kollektives Versagen zu rechtfertigen, jemand anderen verantwortlich zu machen, andere an den Pranger zu stellen oder sich hinter "Schutzvorschriften" zu verstecken.

Für die ÖVP ist klar, dass die Wiener SPÖ (allen voran Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke) für den "Skandal" verantwortlich ist.

Für Ludwig und seine Parteichefin Joy Pamela Rendi-Wagner ist überhaupt nichts geschehen, alles paletti und unauffällig.

Gewessler, Brunner & Kocher wollen alles genau geprüft wissen.

Für Strebl, Rainer & Co ist bzw. war das "Daily Business", keinesfalls spekulativ und jedenfalls risikohandbuchkonform.

Das bedeutet für uns, das Volk: Niemand ist für irgendetwas verantwortlich und frei nach dem Motto "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen" steht fest, dass wir (das Volk) den potenziellen Schaden in Kauf nehmen müssen und zu bezahlen haben, die Verantwortlichen uns wieder einmal für dumm verkaufen durften.

So ist das halt, wird es am Ende des Tages heißen - "Daily Business" oder "täglich grüßt das unter Artenschutz stehende Murmeltier".

Solange wir, als Volk, nicht in der Lage und bereit sind, die Verantwortlichen entsprechend unter Strom zu setzten bzw. unter ihren trägen Ärschen Feuer zu entfachen, werden wir immer die Dummen sein.

"Das Volk steht auf, der Sturm bricht los (...)" schrieb der am 26.08.1813 verstorbene Schriftsteller Theodor Körner; ein dauerhaft-friedlicher Funkenflug würde bestenfalls noch etwas Licht ins Dunkel der unterbelichteten Oberstübchen aller Verantwortlichen bringen, strömende Stimulation deren saturierte Ganglien elektrisieren.

Vielleicht sollten wir aber auch nur Vergil vertrauen, der tröstend meinte: "Fata viam invenient" - das Schicksal findet seinen Weg ...

... nicht zuletzt sollten wir auch bedenken, dass Strom und sonstige Energieformen (Gas, Öl, Benzin etc.) nicht die einzigen Güter des dringenden, täglichen Bedarfes sind, die für unser aller Wohlergehen an Börsen (und damit schon per se spekulativ) gehandelt werden: Weizen, Kaffee, Zucker, Fleisch, Milch, Butter, Kartoffeln usw. - aber das wäre eine ganz andere, nicht minder spannende, Geschichte.

Chr. Brugger

04/09/2022