Die Zeit der Disruption?
In einem Artikel des gestrigen "Standards" hat sich Hans Rauscher der "Zeit großer Disruption" gewidmet; mit seinem extrem wertvollen Beitrag zur Vervollständigung der Samstagsausgabe unternimmt der Journalist Rauscher den absolut unerträglichen Versuch, alle Wähler der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) für die von ihm diagnostizierte "Disruption" (was immer das sein mag) als "Beitragstäter" verantwortlich zu machen; die FPÖ bezeichnet Rauscher, um aus seiner Aversion gegen die "Blauen" kein Hehl machen zu müssen, als "völlig inkompetente, extrem rechte Putin-Freundschafts-Partei" und deren Mitglieder als "rechte Trolle" – und wer eben die FPÖ wählt, habe immer noch nicht begriffen, wie viel es längst geschlagen hat.
Quelle: https://www.penningtongroup.com/wp-content/uploads/2015/07/Disruption2-e1515885099109.jpg
Ein paar Zeilen später meint Rauscher dann, wir sollten uns doch endlich "auf das absolute Überlebensthema, das Rendezvous mit der Realität" konzentrieren, anstatt uns über das Ansinnen der Europäischen Union zu echauffieren, die neuerdings das Rauchen im öffentlichen Raum verbieten will.
Wenn es nach Rauscher ginge, bedeutete Disruption "nicht kreative Zerstörung", wie er schreibt; und da wir just in einer solchen Zeit lebten, bräuchten wir in Österreich und Europa als Letztes "die Machtergreifung durch Leute, in denen sich erwiesene Inkompetenz, unleugbare Demokratiefeindlichkeit und lange brodelndes Ressentiment, und sonst nichts, harmonisch verbinden".
Nur zur Klarstellung: Der Inkompetenz ist es einerlei, ob sie grün, blau, rot, schwarz, türkis, pink oder, wie in Falle Rauschers, rosarot einfärbt wird – Inkompetenz bleibt Inkompetenz …
… und die Auslegung des Begriffs "Disruption" unterliegt jedenfalls nicht des Journalisten Deutungshoheit; wie jemand der Idee verfallen kann, "Disruption" ließe sich mit "kreativer Zerstörung" übersetzen, erschließt sich mir nicht; "Disruption" klingt allenfalls besser oder "klüger" als "Störung", "Unterbrechung" oder "Zerrüttung"; das vermag aber daran nichts zu ändern, dass das eben so ist, wie es ist; dass man, auch das sei noch kurz gesagt, etwas "kreativ zerstören" können soll, ist nicht minder bemerkenswert wie erklärungsbedürftig.
Quelle: https://blog.mattig.swiss/Home/Article/150/?Der-disruptive-Wandel-hat-die-Politik-erreicht
Darüber, wer in diesem Land demokratisch oder demokratiefeindlich ist, ließe sich diskutieren; viel eher sollte man sich aber mit der Frage beschäftigen, ob, angesichts der momentanen Situation im Land bzw. in Europa, die zur Verfügung stehenden Staatsformen eine Bereinigung der tristen Lage überhaupt zulassen bzw. dafür noch geeignet sind.
Es könnte gut der Fall sein, dass es gerade jetzt einer disruptiven Strategie bedürfte, um die bisherigen politischen Strukturen und Prozesse durch ein völlig neues Geschäftsmodell zu ersetzen; denn erst dann könnte es tatsächlich zu einem "Rendezvous" mit der vielzitierten "Realität" kommen. Solange man aber (zumindest in der Wirtschaft) positiv konnotierte Begriffe wie "Disruption" für ein negatives Campaigning missbraucht, wird sich an der Lethargie in Europa nichts ändern und weiterhin Realitätsverweigerung betrieben werden.
Chr. Brugger
01/12/2024