Der verlorengegangene Reiz von Wahlen
Seit Karl Nehammer am 06.12.2021 die Nachfolge von Alexander Schallenberg als Bundesverwalter angetreten hat, haben Wahlen nach und nach ihren Reiz verloren. Bis in den Dezember des Jahres 2021 hinein hat im politischen Betrieb, trotz massiven Ansteigens der Politikerverdrossenheit die Menschen kaum etwas anderes mehr interessiert als Wahlen und deren Ergebnisse.
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Wahlen waren, sozusagen im Abblendspiegel aller Vergänglichkeit betrachtet, der Hoffnung letzte Funken; die sonstigen Relikte politischen Interesses waren längst dem flächendeckend-parteilichen Kahlschlag erlegen; das Misstrauen gegenüber Politikern hat ein Maß erreicht, das früher nicht vorstellbar gewesen wäre; die Bevölkerung hat folglich spätestens im Dezember 2021 resigniert und verstanden, dass sie, bzw. 37,46% von ihnen, 2019 nicht dem Maturanten Sebastian Kurz sondern nur einem "Emporkömmling des Augenblicks" vertraut hatten; Alexander Schallenberg und Karl Nehammer hingegen wurden bald zu billigen Epigonen an den Futtertrögen der heimischen Pfründnerversorgungsanstalt – das wiederum hatte das Volk recht rasch verstanden – das Banausentum war selbst für Blinde offensichtlich.
Um wenigstens Nehammers Box-Affinität gerecht zu werden: Den ersten Niederschlag erlitt Nehammers ÖVP bei den Tiroler Landtagswahlen am 25.09.2022; mit einem Verlust von 9,55% gelang im "heiligen Land" wahrhaft Historisches – das schlechteste Ergebnis der Geschichte.
Eine rechts-rechts Kombination musste Nehammers ÖVP am 29.01.2023 im "schwarzen Eldorado" einstecken; auch in NÖ führte ein Verlust von 9,70% zum historisch schlechtesten Ergebnis.
In der dritten Runde (Landtagswahl in Kärnten am 05.03.2023) durfte der längst angeschlagene Nehammer kurz durchatmen; 17,04% (+ 1,59%) waren kein Wirkungstreffer, aber immerhin auch kein weiterer Niederschlag.
Eine blutige Nase samt blauem Auge (minus 7,41%) durfte sich Nehammer bei den Landtagswahlen in Salzburg (23.03.2023) abholen um ein Jahr später bei den Kommunalwahlen in der Landeshauptstadt (10.03.2024) gleich die nächste Rechts-links-Kombination hinnehmen zu müssen; minus 15,9% und der Spitzenkandidat nicht einmal in der Stichwahl um das Amt des Bürgermeisters.
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Einen Kiefertrümmerbruch erlitt Nehammers, mit Staatssekretär Tursky einbandagierte, Partei bei den Gemeinderatswahlen in Innsbruck; ein rekordverdächtiges Minus von 20,89% und ein "Parteifreund im feindlichen Bett" als Wahlsieger & Bürgermeister.
Bei der Europawahl (09.06.2024) musste Nehammers "Europa Partei" einen schmerzvollen Schlag unter die Gürtellinie verdauen: Mit einem Verlust von 10,03% verhalf Nehammer der FPÖ zu einem Triumpf ganz besonderer Art: Die erste bundesweite Wahl, bei der die FPÖ stimmenstärkte Partei wurde; ohne Nehammer wäre das undenkbar gewesen.
Danach kam am 29.09.2024 der bisher letzte und schmervollste Counterpunch samt Cuts über beiden Augen; das Wahldebakel bei der Nationalratswahl; ein sattes Minus von 11,19%, der Verlust von 20(!) Nationalratsmandaten und, das dürfte die heftigsten Kopfschmerzen verursacht haben, Rang 2 hinter der FPÖ.
Die Ergebnisse dieser Nationalratswahlen sind es auch, die künftigen Wahlen den letzten Reiz genommen haben; es steht bereits jetzt fest, dass die ÖVP samt Bundesparteiobmann Nehammer auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark einen großen Teil ihres bisherigen Stimmenanteiles verlieren, wohingegen die FPÖ zumindest in eben demselben Ausmaß zulegen wird; was also soll an solchen Wahlen noch interessant sein?
Das aleatorische Element ist jedenfalls abhanden gekommen; es wurde von der Tatsache abgelöst, dass Nehammer mit seiner ÖVP einfach jede Wahl verliert; so hängt er hilflos wie überfordert in den Seilen und das Volk darf zusehen, wie er eine Doublette nach der anderen einstecken muss.
Quelle: https://www.bild.de/unterhaltung/mma/leute/mma-so-sehen-kaefigkaempfer-nach-dem-kampf-aus-60290124.bild.html
Am Ende jeder Runde, das ist eigentlich noch das Bemerkenswerte, lächelt Nehammer mit zerbeultem Verlierergesicht in die Kameras diverser Fernsehsender und erklärt mit geschwollen blutiger Lippe, er hätte jede einzelne Runde gewonnen und wähne sich als Sieger.
Es könnte nur sein, dass er ob seiner zahllosen Kopftreffer ein Boxer-Syndrom (sog. Punch Drunk) erlitten haben könnte; anders sind seine, mit Denkstörungen vergleichbare, Aussetzer kaum noch erklärbar.
Wenn es stimmt, was landauf landab kolportiert wird, ist Mitleid für ÖVP-Wähler längst das wichtigste Wahlmotiv; ein dermaßen angeknockter Boxer hat aber nicht einmal mehr das Format eines Sparringpartners und sollte sich daher endlich auszählen lassen; dann könnte allenfalls sogar das Mitleid dem Respekt weichen; späte Einsicht ist nämlich besser als gar keine.
Gewinner sehen jedenfalls anders aus und aus einem Prügelknaben wir traditionell kein Champion mehr - das gilt für das Boxen wie die Politik gleichermaßen; nicht umsonst lautete daher die eherne Regel im Kampfsport "they never come back".
Chr. Brugger
11/10/2024