Der Sport muss sich neu erfinden - Felix Gottwald im Interview
Sportliche Kost zum sonntäglichen Frühstück - Felix Gottwald bringt seine Gedanken zum Sport, insbesondere zum Spitzensport, in einem Interview im Kurier (03.05.2020) zum Ausdruck.
Alles was dem Interview entnommen werden kann, klingt plausibel, nachvollziehbar, nahezu zu vernünftig.
Zum "Spitzensport" nimmt Gottwald, Österreichs erfolgreichster Teilnehmer an Olympischen Spielen, wie folgt Stellung. "Ich bin überzeugt davon, dass jene Sportverbände, Sportarten und SportlerInnen, die gelebte und sinnstiftende Antworten auf die Frage "Was hat die Welt davon, dass es uns gibt?" bieten, sich damit auch einen Auftrag für Spitzensport erteilen."
Wie das gelingen könne? "Wenn es dem Spitzensport wieder gelingt, uns Zuseher über den Aspekt der Unterhaltungsbranche hinaus in den Bann zu ziehen. Wenn wir diese kindliche Begeisterung an der Sache, an der gemeinsamen Entwicklung, am freudvollen und gesunden Erfolg beobachten, spüren, teilhaben können, dann bekommt die wichtigste Nebensache der Welt wieder Substanz. Dann rücken die Kernbotschaften des Sports und die Art, wie Sport gelebt wird, wieder in den Vordergrund. Wenn sich dann wieder die Werbeeinschaltungen am Sport orientieren und nicht der Sport an den Werbeeinschaltungen, dann steigt die Glaubwürdigkeit, die den Sport als gesunde Basis auszeichnet. Dem Spitzensport, uns als Gesellschaft und der Wirtschaft wird es guttun, sich neu zu erfinden".
So weit, so gut.
Alles was Gottwald sagt, hat "Hand und Fuß" - es ist aber, damit unterscheidet er sich nicht wesentlich von anderen, auch nur eine Zusammenfassung bzw. Wiedergabe dessen, was man ohnedies seit Jahren, Jahrzehnten weiß und kennt. Nichts Neues. Und: Vor allem keine Antwort auf das tatsächliche "wie".
Frage: Wie das gelingen könne?
Antwort: Wenn es dem Spitzensport gelingt ...
Frage: Was hat die Welt davon, dass es uns gibt?
Antwort: keine
Am ehesten noch findet man eine Antwort im Titel, der Sport müsse sich neu erfinden oder der Sport brauche eine neue Ausrichtung.
Das sind aber (zumindest für mich) keine zufriedenstellenden Antworten.
Man müsste meiner Ansicht nach vorerst die Frage beantworten, was Spitzensport überhaupt ist. Versteht man darunter professionellen Sport, Profisport, dann kann man durchaus die Definition in Wikipedia als Arbeitsgrundlage verwenden:
"Im Profisport, auch Berufssport genannt, erhält ein Sportler für die Ausübung seiner Sportart Einkünfte, von denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Er übt die Sportart also berufsmäßig aus. Solche Sportler werden Berufssportler oder Profisportler genannt. Die Einkünfte können beispielsweise durch feste Gehälter, Prämien, Preisgelder, Werbeverträge, Mäzenatentum, Sponsoring oder anderweitige Zuwendungen, wie beispielsweise Sporthilfe, erzielt werden. Berufssport ist immer Leistungssport."
Das heißt aber ganz klar, dass man sich (diesbezügliche Bemühungen gab es ja bereits) möglichst umgehend um ein Berufssportgesetz bemühen muss, damit alle Sportler, die berufsmäßig tätig sind, sich auf einer entsprechend sicheren Rechtsgrundlage bewegen können, z.B. entsprechend - in allen Sparten - versichert sind. Damit könnte man dann u.a. Schräglagen vermeiden, wie wir sie heute vorfinden.
Man müsste sich mE sofort vom kompletten Spitzensportförderungssystem, wie es derzeit in Österreich besteht, verabschieden.
Das Bundesgesetz betreffend die Förderung des Sports (Bundes-Sportförderungsgesetz 2017 - BSFG 2017) müsste man aufheben; dieses Gesetz besteht vor allem aus (begrifflich falschen) Definitionen und zu vielen, reinen "Verwaltungsbestimmungen", ist als Ganzes so "nebulös" textiert, dass es nicht praktikabel ist.
Spitzensportler im Sinne dieses Gesetzes wäre demnach alle "Sportlerinnen/Sportler, die Sport mit dem ausdrücklichen Ziel betreiben, Spitzenleistungen im internationalen Maßstab zu erzielen" (§ 3 Z 8 BSFG).
Bereits die erste Bestimmung hat in einem Bundesgesetz z.B. absolut nichts verloren; Absichtserklärungen oder allgemeine Formulierungen kann man auf der Homepage des sachlich zuständigen Bundesministeriums veröffentlichen aber nicht zum Gegenstand einer gesetzlichen Regelung erheben.
Gesellschaftliche Bedeutung des Sports
§ 1.
(1) Sport vermittelt von der gesundheits- bis zur spitzensportbestimmten Ausübung wichtige Werte des gesellschaftlichen Miteinanders und Zusammenlebens wie Toleranz, Fairness und Respekt gegenüber anderen, führt Menschen unterschiedlicher Kulturen und sozialer Hintergründe zusammen, verbindet Generationen, fördert Gesundheit, Gemeinsamkeit, Integration, Kommunikation, Solidarität und Begeisterung für eine gemeinsame Sache, überwindet politische Grenzen und baut Vorurteile ab und leistet einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeits- und Identitätsfindung der einzelnen Menschen, insbesondere jener mit Behinderung. Sport motiviert insbesondere junge Menschen und jene, die noch keinen Sport betreiben, durch die Vorbildfunktion der Sportlerinnen/Sportler diese positiven Werte und Verhaltensweise zu übernehmen.
(2) Die Förderung des Sports in Österreich ist daher ein gesamtgesellschaftliches Anliegen und stellt ein wichtiges öffentliches Interesse dar.
Die gesetzlich "vorgesehene" Bundes-Sport GmbH (§§ 28ff BSFG 2017) müsste man ehestens restrukturieren; d.h. man müsste sie u.a. völlig "entpolitisieren"; Spitzensport hat mit Politik nichts gemein, gemeinhin haben (Ex-) Politiker vom Sport an sich nicht die geringste Ahnung, dafür aber in allen Belangen das Sagen. Die Aufteilung der Bundes-Sportfördermittel (§§ 5, 10, 13 BSFG 2017) könnte wesentlich einfacher erfolgen - vor allem durch das Hintanhalten mehrfacher Zuständigkeiten und - wie bereits ausgeführt - es muss zu einer vollständigen Entkoppelung von jeder politischer Einflussnahme kommen.
Dass der Sport an sich irgendwo zentral (in einem Bundesministerium) angesiedelt sein muss, ist selbstverständlich; aber auch innerhalb dieses Ministeriums (derzeit Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst, Sport) müssten mE die Strukturen verändert, die Zuständigkeiten angepasst werden (Vereinheitlichung bzw. Vereinfachung von Abteilungen, Gruppen, Referaten ...). Überdies fehlt bis heute die avisierte "Entwicklung einer Sport-Strategie-Austria"). Diese Strategie kann aber nicht intern erarbeitet werden, muss vielmehr von außen an das Ministerium herangetragen werden.
Die Förderungskriterien müssten viel klarer definiert werden, am besten in absoluten Zahlen - angepasst an internationale Maßstäbe. Eine Sonderregelung für den Fußballsport (§ 9 BSFG) kann und darf es in Zukunft nicht mehr geben.
So ließe sich der Katalog der dringend erforderlichen Änderungen beliebig fortsetzen.
Für das von Gottwald angesprochene Image der Spitzensportler als solche haben in erster Linie die Sportler selbst Sorge zu tragen. In erster Linie durch ihre sportlichen Spitzenleistungen, in zweiter Linie durch ein entsprechendes Auftreten in der Öffentlichkeit, durch entsprechendes Engagement in anderen Belangen (von den noch vorhandenen Spitzensportlern Österreich habe ich den letzten Wochen nur sehr wenig wahrgenommen).
(Internationale) Spitzenleistungen von österreichischen Sportlern sind rar geworden, das Auftreten in der Öffentlichkeit (vor allem im ORF) reduziert sich meist darauf, dass Sportler als lebende Litfaßsäulen auftreten und mit ihrem spärlichen Deutschkenntnissen in Kameras lächelnd nach Ausreden für ihre ausgebliebenen Leistungen suchen.
Unterstützung erfährt der Spitzensport in Österreich vor allem durch die Berichterstattung im ORF (öffentlich-rechtlicher Rundfunk); dabei aber sehr eingeschränkt auf sehr wenige Sportarten (vor allem Skifahren, Skispringen, Fußball, Formel 1). Dabei ist es für das Image sowohl des ORF als auch der Sportarten an sich nicht unbedingt von Vorteil, wenn man seit Jahren Co-Kommentatoren beschäftigt, die nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen (Knauß, Hosp, Prohaska). Auch manche ORF-Sport-Profis (vor allem Polzer) können weder Ski-Alpin noch Fußball vernünftig kommentieren.
Letztlich lebt aber der Sport, der Spitzensport im Besonderen, von Emotionen - am besten in Kombination mit sportlichen Höchstleistungen. Maier und Hirscher waren ganz sicher Ausnahmekönner - sie müssen aber der Maßstab für andere sein; Ähnliches könnte beispielsweise einem Matthias Mayer gelingen, wohingegen im Fußballsport kein einziger österreichsicher Spitzenspieler (auch nicht David Alaba) in der Lage ist, irgendeine Euphorie auszulösen. Was helfen Radetzkymarsch & Bundeshymne, wenn kein Spieler in der Lage ist, ein vernünftiges Interview "auf die Reihe" zu bringen.
Wenn man sich z.B. die Erfolge österreichsicher Sportler bei Olympischen Sommerspielen in den letzten dreißig Jahren ansieht, kann man erkennen, dass alle Medaillengewinner (für österreichische Verhältnisse) aus Randsportarten stammen. Vielleicht sollten man dazu übergehen, genau diese Sportarten (Segeln, Judo, Schießen) zu forcieren oder in neue olympische Disziplinen, wie z.B. Klettern, zu investieren bzw. die diesbezüglichen Athleten zu fördern.
Ein Umdenken in jede Richtung ist aber nicht verboten; so könnte man, so man die Wikipedia-Definition zugrunde legt, auch dazu übergehen, auf die Spitzensportförderung zur Gänze zu verzichten; wenn jemand - welche Sportart immer - als Spitzensportler tätig sein möchte, hat er (wie in allen anderen Berufen üblich) für seine Ausbildung, sein Fortkommen (incl. Einkommen) selbst Sorge zu tragen.
Die gesamte Sportförderung könnte sich dann ausschließlich auf den Breitensport konzentrieren, was ganz sicher, gesundheitspolitisch betrachtet, für einen großen Teil der österreichischen Bevölkerung von Vorteil wäre.
Man sollte sich aber ehestens entscheiden, welche Form von Sportförderung man in Österreich künftig haben will; dann wäre man auch in der Lage, die gesetzlichen Grundlagen neu zu definieren bzw. ein neues Förderungsgesetz zu verfassen.
Egal für welche Variante man sich entscheidet: eine Konstante wird der Einfluss der Wirtschaft in Form von Werbung (in welcher Form immer) bleiben. Werbeeinschaltungen während der Übertragung von sportlichen Wettbewerben im Fernsehen missbilligt der bei weitem größte Teil der Zuseher.
Die (indirekte) Forderung von Gottwald, "Wenn sich dann wieder die Werbeeinschaltungen am Sport orientieren und nicht der Sport an den Werbeeinschaltungen, dann steigt die Glaubwürdigkeit, die den Sport als gesunde Basis auszeichnet.", mag zwar gut gemeint sein, hat aber mit der Realität sehr wenig gemein; soviel ich weiß, hat selbst Gottwald seine Erfolge (auch) Sponsoren zu verdanken, die er bei diversen Interviews entsprechend vertreten hat und bis heute vertritt, indem er z.B. die entsprechenden Logos auf seiner Kleidung verwendet (hat).
Werbeeinschaltungen haben mit der Glaubwürdigkeit des Sports nicht das Geringste zu tun. Sie sind nur ein notwendiges Übel, aber auch dafür (mit-) verantwortlich, dass man nach der Werbepause den Spitzensport überhaupt noch sehen kann.
Nicht der Sport muss sich neu erfinden; es bedarf ganz einfach einer Entscheidung darüber, was man konkret, den Sport betreffend, in Österreich fördern will oder nicht. Nur wird diese Entscheidung leider politisch getroffen werden (müssen).
Dass es uns (als Gesellschaft) samt Wirtschaft guttäte, erfänden wir uns neu, ist allerdings in die Kategorie Sozialromantik einzuordnen.
Ich möchte Herrn Gottwald nicht zu nahetreten; aber auch auf dieses Ansinnen ist er jeden Lösungsansatz schuldig geblieben.
Man löst kein Problem schon damit, dass man es erkennt.
Chr. Brugger
03.05.2020