Der real existierende Irrsinn
Zugegeben: Am Strand, völlig entspannt und mit einer tollen, wenn auch etwas liebestollen, Frau an der Seite, denkt es sich naturgemäß etwas leichter als im österreichischen Kanzleramt oder in der Reporterkabine einer chinesischen Skistation in Yanqing - allein: Auch dort wäre das Denken prinzipiell nicht verboten, der Blick auf das Reale oder das Machbare zulässig. Es stünde auch einer realistischen Einschätzung dessen, was es an Aufgaben zu erledigen gilt, nichts im Weg.
Während manche "under pressure", welcher Art immer, zur Höchstform auflaufen, vermag Druck offensichtlich nicht nur Gliedmaßen dermaßen zu beeinträchtigen, dass bisweilen sogar Lähmungserscheinungen auftreten können; noch dramatischer wird es, wenn das von sich selbst und anderen Erwartete das kognitive Zentrum lahmlegt, damit der Sinn für das Tatsächliche verloren geht und weltfremden Befundungen zu ebensolchen Reaktionen führen.
Für eine solche Genese, also einen Erkenntnisprozess im Sinne von Leibnitz, gibt es momentan erhellende Beispiele, die offensichtlich machen, was jenen widerfährt, die im Spannungsfeld zwischen Zirkelschluss und Kontingenz nicht nur scheinbar aufgerieben wurden: Am Ende finden sich die "Aufgeriebenen" auf einer Wiese liegend wieder, die man gemeinhin mit dem blumigen Namen "Realitätsverlust" bezeichnet.
Die Ursachen oder auslösenden Ereignisse für diesen, psychisch schwer beeinträchtigten Zustand, könnten vielfältiger kaum sein: Traumatisierende Erlebnisse, Schlafentzug, Alkohol- oder Drogenmissbrauch usw. sind in der Lage, die Psyche dermaßen stark in Mitleidenschaft zu ziehen, dass denklogisches Handeln nicht mehr erwartbar ist. Davon Betroffene sind in einer, noch als real zu bezeichnenden, Welt eingeschlafen, erwachen aber in ihrem eigenen Paralleluniversum und handeln so, wie nur dort gehandelt wird: Realitätsfremd. Was den einen real erscheint, ist den anderen völlig fremd und nicht verständlich; sobald der Scheinweltselbstbetrug wirkt, ist dagegen sprichwörtlich "kein Kraut mehr gewachsen".
Das Irreale wird für die an "Realitätsverlust" Leidenden zur neuen Normalität - wir dürfen das zur Kenntnis nehmen.
Wenn also Polzer/Knauss, realitätsverlustig geworden, vermeinen, die Alpine Kombination der Herren sei, zumindest sportlich betrachtet, ein ultimatives Highlight, der Gewinn einer olympischen Goldmedaille folglich wertvoll, verkennen sie, dass es sich bei diesem Wettbewerb in Wirklichkeit um ein Kirmesrennen handelt, dessen sportliche Bedeutungslosigkeit kaum zu überbieten ist.
Da die beiden aber den Blick auf das Reale völlig aus den Augen verloren haben, kommentieren sie diese Witzveranstaltung so, als - sähe man die Bilder nicht - handelte es sich dabei um das Elfmeterschießen im Finale der Drehfußballweltmeisterschaft in der Hinterstube eines Landwirtshauses im hintersten Lavanttal.
Das Gute daran ist, dass man sich dem Polzer/Knauss-Schwachsinn problemlos entziehen kann, zumal dieser kindisch-absurde Exotenwettbewerb auch auf anderen TV-Kanälen übertragen wird, wo realitätsnahe Kommentare Licht ins ORF-Dunkel bringen: Dort ist von einer "fragwürdigen Veranstaltung" oder "sportlicher Wertlosigkeit" die Rede, wird nicht stundenlang kommentiert und analysiert, sondern die Aufmerksamkeit auf sportlich Sinnvolleres gerichtet, gar Werbung eingestreut, die es, was die Qualität betrifft, mit der Polzer/Knauss-Posse problemlos aufnehmen kann.
Völlig anders sieht das Ganze, was die Alternativen betrifft, in der Politik aus; dem dort produzierten Schwachsinn kann man sich nicht ohne weiteres entziehen; es sei denn, man liegt, so wie ich, in einem klimatisierten Hotelzimmer im Bett oder in der Sonne am Strand.
Auch in der Parteipolitik scheint der "Realitätsverlust" zu grassieren, haben die Protagonisten nicht nur das Augenmaß, sondern den Bezug zum Realen völlig verloren.
Nun ist ja allgemein bekannt, dass parteipolitisches Handeln seit Jahrzehnten mit dem Postenschacher so eng verbunden ist, wie eine Sachertorte mit dem Namen Sacher - das eine ist in beiden Fällen ohne das andere nicht denkbar. Damit hat man sich in Österreich mehr oder minder abgefunden - das Zuschanzen von führenden Funktionen oder Tätigkeiten ist vielleicht nicht unbedingt salonfähig, dafür aber zumindest anerkannt üblich.
Blöderweise gibt es aber seit einigen Jahren elektronische Hilfsmittel, an denen sich auch Parteipolitiker vergreifen; was früher persönlich oder telefonisch ausgehandelt wurde, wird neuerdings kurzerhand via SMS oder WhatsApp erledigt. An und für sich kann das aber nur dann zum Problem werden, wenn die Schreiberlinge zu dämlich oder zu unvorsichtig sind, für eine lückenlose Löschung der Nachrichten Sorge zu tragen. Kritisch wird das Ganze aber erst, wenn dieser Schriftverkehr in die falschen Hände gerät und veröffentlicht wird.
Erst dadurch wird offensichtlich, was bisher kaum jemand zu denken vermocht hätte: Kurz und seine Sippschaft leiden seit Jahren an einer schweren Krankheit, die man ebenfalls "Realitätsverlust" nennen müsste.
In ihrem abstrusen, türkis eingefärbten, Universum mit dem klingenden Namen "schwarzes Loch" gehen nicht nur die Uhren anders - dort spielt auch eine ganz andere Musik, dort verkommt das unmöglich Scheinende zur neuen Realität.
Nun mag Kurz sich selbst und der ÖVP abhandengekommen sein - das schwarze Loch ist immer noch vorhanden.
In diesem Loch tummeln sich, nach wie vor, Gestalten wie Nehammer, Schallenberg, Wöginger, Sobotka oder Mikl-Leitner, wenn man so will, die "Oberärsche" der Nation, das schwarze "Gsindl" - beide in reiner Form.
Auch diesem Abgrund entkäme man, an und für sich, problemlos - allein, mit den Konsequenzen der Entscheidungen dieser "Blödel-Komödianten" müssen wir leben: Eine Pandemiebewältigungskultur, die jeder Beschreibung spottet, das Umfunktionieren einer Demokratie in einen militant-autokratisch anmutenden Unrechtsstaat, das Pervertieren von Werten wie Anstand, Moral und Charakter - die Liste des Unerträglichen ließen sich problemlos fortsetzen bzw. erweitern.
In ihrem Macht- oder Ohnmachtsrausch schrecken Nehammer & Co selbst davor nicht zurück, Geheimdienste mit Marionetten auszustaffieren, willfährigen Speichelleckern, devoten Befehlsempfängern; Ministerposten scheinen ausgewürfelt zu werden, Staatssekretäre, Richter, Staatsanwälte und Wirtschaftsbosse etc. bestellt man ausschließlich nach parteipolitischem Kalkül - Qualität und Leistung spielen keine Rolle mehr - Hauptsache parteilinienkonform und bedingungslos hörig.
Das Ergebnis der "Arbeit" dieser "Menschen" legt Zeugnis über deren Fähigkeiten ab - mit den Produkten dieser lobhudelnden, sich auf einem Selbstfindungsausflug befindlichen Personen müssen wir zwangsweise leben und Vorlieb nehmen - ob uns das passt oder nicht.
Künftig wird uns der nächste Selbstdarsteller die frohen Botschaften aus dem Kanzleramt verkünden; ein Boulevardblattschwätzer, der über sich selbst schreibt: "Kommunikation ist mein Leben. Von 2011 bis 2018 an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel als stv. Sprecher der Bundesregierung, zuvor 35 Jahre Journalist mit Schwerpunkt Politik u.a. bei "stern" und "Bild"-Zeitung. Zwischenstation im Europäischen Parlament. Sturmerprobt, geerdet, gut vernetzt. Wen ich noch nicht kenne, lerne ich kennen. Mit "Wir sind Papst" eine Schlagzeile für die Ewigkeit ausgedacht. Mein Betriebsgeheimnis: neugierig bleiben, jeden Tag etwas dazulernen und nie lügen. Motto: In der Ruhe liegt die Kraft! Und: It's not a bug, it's a feature! Wenn es sein muss, arbeite ich Tag und Nacht. Wenn es dann vorbei ist, koche ich Spaghetti Carbonara (ohne Sahne!), treffe mich mit Freunden oder tue einfach mal gar nichts".
... ein Schwätzer soll also das "schwarze Loch" erleuchten, dem "Unheiligenschein" der Sobotkas, Mikl-Leitners oder Wögingers dieses Landes zu neuem Glanz verhelfen. Lange wird es nicht dauern, dann wird man auf der Titelseite der Österreichausgabe eines heimischen Revolverblattes lesen dürfen "Wir sind Gott", Untertitel: "Zumindest gottähnlich" - Copyright by Georg Streiter - lustig wird das allemal und zu leiden sind wir mittlerweile ja, Gott sei Dank, längst gewohnt.
Chr. Brugger
10.02.2022