Der nächste Frontalangriff auf den Rechtsstaat
Der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsexperte Walter Mayer bezeichnete das jüngste Ansinnen der türkis-grünen Koalition, wonach künftig Beschlagnahmungen von Unterlagen und Datenträgern der Behörden durch die Justiz massiv eingeschränkt werden sollen, als "gezielten Kopfschuss gegen den Rechtsstaat".
Dieses, man kann es nicht anders bezeichnen, perfide Ansinnen kommt nicht, wie man das erwarten könnte, vom Justiz- sondern aus Karl Nehammers Innenministerium. "Präsentiert" wurde es im Rahmen der mittlerweile abgeschlossenen BVT-Reform. Legistisch hat man das so gelöst, dass die Strafprozessordnung ganz einfach um eine Bestimmung (§ 112a) erweitert wurde - "gut versteckt" in Art. 4, sozusagen im "Dunstkreis" der Neuausrichtung des BVT.
Der eigentliche Stein des Anstoßes lautet folgendermaßen:
"Sicherstellung in Behörden und öffentlichen Dienststellen
§ 112a
· Die Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträgern in Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie anderen durch Gesetz eingerichteten Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts ist nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Ersuchen um Amtshilfe (§ 76 Abs. 1) im Einzelfall den Zweck der Ermittlungen gefährden würde, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen den zur Amtshilfe verpflichteten Organwalter richtet."
Dazu Mayer im Standard vom 02.04.2021: "Was bedeutet das? Während die Staatsanwaltschaft derzeit, hat sie den Verdacht auf strafbare Handlungen etwa im Bereich eines Bundesministeriums, allenfalls mit der Kriminalpolizei in den betreffenden Einrichtungen unmittelbar schriftliche Aufzeichnungen und Datenträger beschlagnahmen kann, soll das in Hinkunft nicht mehr möglich sein. Die Staatsanwaltschaften haben in diesen Fällen den Leiter der betreffenden Dienststelle - also etwa den zuständigen Bundesminister - um Amtshilfe zu ersuchen. Dieser ist aufzufordern, die entsprechenden Aufzeichnungen und Datenträger zur Verfügung zu stellen. Was heißt das im Einzelfall? Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen hohe Beamte und Kabinettsmitarbeiter eines Bundesministers. Sie muss den Bundesminister ersuchen, schriftliche Aufzeichnungen und Datenträger, die für die Ermittlung relevant sind, vorzulegen. Damit man sich vorstellen kann, was das in der Praxis bedeutet: Der Bundesminister bekommt ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft.
Da der Bundesminister über die schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträger ja nicht unmittelbar verfügt, wird er sich wohl zu seinem Mitarbeiter begeben müssen und diesem sagen, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt und seinen Laptop und sein Handy haben will. Darüber hinaus den gesamten E-Mail-Verkehr mit bestimmten Adressaten in einem bestimmten Zeitraum. Für den betreffenden Mitarbeiter tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf: Wie wir wissen, kann man vergessen, ob man überhaupt ein Tablet oder einen Laptop hat (und wenn ja: wo sich dieses oder dieser gerade befindet); da Laptops gelegentlich auch äußerln geführt werden, könnte ja sein, dass ein solcher unterwegs verlorengeht. Und ein Handy kann ohne weiters in die Donau fallen.
Der Untersuchungsausschuss erlebt gerade, dass Behörden (in diesem Fall das Finanzministerium) nicht einmal aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereit sind, Akten vorzulegen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Effizienz von Amtshilfeersuchen mit Sicherheit sehr gering sein wird; dies vor allem dann, wenn der Behördenleiter - zum Beispiel der betreffende Bundesminister - Gefahr läuft, im Falle des Erfolgs der strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft selbst in Bedrängnis zu kommen".
Wird der neue § 112a tatsächlich in der zuvor beschrieben Form in die Strafprozessordnung implementiert, führt das zu einer massiven Behinderung und Verzögerung der Ermittlungstätigkeit vor allem der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Das Verschwinden von Akten bzw. Teilen davon, unauffindbare, weil gelöschte, Emails, geschredderte Festplatten, in Verlust geratene Mobiltelefone - dazu noch die ohnedies bereits pandemieartig grassierenden Erinnerungslücken, die, vor allem bei heiklen bzw. peinlichen Fragen, plötzlich auftretende Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten. "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern" ist in der österreichischen Politik keine geflügelte Wortfolge mehr, sondern längst ein Teil der bitteren Realität.
Dem nicht genug: Für Sigrid Maurer, Klubobfrau des Grünen Parlamentsklubs, ist es einerlei, ob die Staatsanwaltschaft belastendes "Material" im Wege einer Beschlagnahme oder über den Umweg der Amtshilfe erhält; ermittelt werde ja so oder so.
Mayer attestiert Maurer in diesem Zusammenhang ein "außerordentliches Maß an Ahnungslosigkeit". Diese Äußerung von Maurer ist nicht nur, weit über ein tolerables Maß hinaus, von Naivität geprägt; es hat vielmehr den Anschein, als würde Maurer zum wiederholten Mal der ÖVP auf "den Leim" gegangen sein, für den türkisen Regierungspartner nur den Steigbügelhalter geben und bereit sein, alle "grünen Werte" ohne Wenn und Aber und mit Hang zum Parteisuizid über Bord zu werfen.
Nicht minder dummdreist argumentiert den ganzen legistischen Schwachsinn der Innenminister: Es handle sich bei § 112a StPO lediglich um die Umsetzung eines Entschließungsantrages vom 25.09.2019 (Nr. 131/E XXVI.GP). Entweder können Nehammer und/oder seine Beamten nicht sinnerfassend lesen, oder, der Einfachheit halber, nicht mehr erinnern.
Im genannten Entschließungsantrag wird die Bundesregierung nämlich nur aufgefordert, "eine Gesetzesinitiative vorzulegen, die durch die Implementierung eines an § 112 StPO angelehnten Systems sicherstellt, dass sensible nachrichtendienstliche Aufzeichnungen oder Datenträgern im Falle des Widerspruchs eines Betroffenen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und zu hinterlegen sind und die Entscheidung, ob die beschlagnahmten Aufzeichnungen oder Datenträger verwertet werden dürfen von einem Gericht getroffen wird, wobei einer Beschwerde gegen diese Entscheidung analog § 112 Abs 3 StPO aufschiebende Wirkung zukommen soll".
Dieses abstruse Vorgehen der Bundesregierung führt zwangsläufig zu folgenden Fragen:
- Warum ist für eine Änderung der Strafprozessordnung das Innenministerium zuständig?
- Wieso wird eine Adaptierung der Strafprozessordnung in einem Gesetzesentwurf im Zusammenhang mit der Restrukturierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung "versteckt"?
Hätte man (im Innenministerium) den (mehrheitlich angenommenen) Entschließungsantrag tatsächlich ernst genommen, sich seriös verhalten, hätte man - im Sinne des Entschließungsantrages - den jetzigen Inhalt des § 112a in die BVT - Reform einarbeiten können (sofern man sich auf den Schutz sensibler nachrichtendienstlicher Aufzeichnungen oder von Datenträgern beschränkt hätte). Andernfalls, also im Fall der Änderung der Strafprozessordnung, wäre jedenfalls das Justizministerium zuständig gewesen. "In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen" heißt es am Ende des Entschließungsantrages; dort ist auch zu lesen, dass dieser Antrag am 30.09.2019 an das Bundeskanzleramt übermittelt wurde. Von dort ist er jedoch - auf wundersame Weise - dem Innenministerium zugewiesen worden. Bei der "Präsentation" der "grundlegenden Neuaufstellung des Verfassungsschutzes in Österreich", die Nehammer und Maurer am 15.03.2021 anlässlich einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt vorgenommen haben, war vom massiven Eingriff in die Befugnisse der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (verständlicherweise) kein Wort zu hören.
Maurer kann man, ob ihrer evidenten Blauäugigkeit, bestenfalls zugutehalten, dass sie ganz einfach nicht in der Lage war, die leicht durchschaubare Intention der ÖVP zu erkennen. Nehammer jedoch musste klar sein, dass er den Kompetenzbereich seines eigenen Ministeriums bei weitem überschritten hat, ist doch im Bundeskanzleramt, von dem der Auftrag zur legistischen Umsetzung des Entschließungsantrages erteilt wurde, auch der Verfassungsdienst angesiedelt, der als Rechtsgutachter des Bundes u.a. sämtliche Gesetzes- und Verordnungsentwürfe aus anderen Bundesministerien begutachtet. Irritierenderweise hat man auch von der für den Verfassungsdienst zuständigen Ministerin, Karoline Edtstadler, zu dieser brisanten Angelegenheit bislang nichts gehört.
Es liegt also der Verdacht nahe, dass man - entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Entschließungsantrags vom 25.09.2019 - den unlauteren, wenn auch absolut untauglichen, Versuch unternommen hat, § 112a Strafprozessordnung ganz bewusst so in das BVT - Reformpapier einzubauen, als dass der "Anschlag" auf den Rechtsstaat nicht sonderlich für Aufsehen sorgen möge.
Mit einer "ahnungslos-grünen" und problemlos steuerbaren Klubobfrau kann man sich das unwidersprochen erlauben, mit anderen hingegen nicht.
Offenbar hat der kleine Koalitionspartner mittlerweile eingesehen, dass die grenzenlos einfältige Maurer´sche Lobhudelei falsch war: "Wenn die Bestimmung dazu führen könnte, dass Korruptionsermittlungen eingeschränkt werden, "wird es diese Bestimmung mit Sicherheit mit mir nicht geben", sagte Justizministerin Zadic.
Mit dieser Aussage kann man leider nicht sehr viel anfangen; überzeugend ist sie jedenfalls nicht, dafür ist die Diktion bei weitem nicht verbindlich genug, vielmehr lediglich konjunktivisch, vage, nichtssagend.
Chr. Brugger
13.04.2021