Der Fall Gernot B.
Der Finanzminister der Republik Österreich hat sich in den letzten Tagen mehrfach und öffentlich (u.a. in oe24) zur sog. "Aktenübermittlungsaffäre" (warum eigentlich nicht "Files Gate"?) geäußert; er sei, einerseits, ein überzeugter Demokrat und Patriot, auf die österreichische Bundesverfassung angelobt und ihr und ihren Institutionen zutiefst verpflichtet; andererseits habe er, wie vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) gefordert, alle Akten unmittelbar geliefert, wobei er die legitimen, schutzwürdige Interessen von Mitarbeiten zu berücksichtigen gehabt hätte, damit nicht andere Rechte in Mitleidenschaft gezogen würden; er habe auch den "Anwalt der Republik" eingeschaltet und man alle Möglichkeiten (im Rahmen des Rechtsstaates) genutzt; "und das war es, nicht mehr und nicht weniger".
"Wir haben lediglich versucht, das Erkenntnis des VfGH schnell und so umzusetzen, dass gleichzeitig auch die anderen Rechte auch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden sind; ich habe bereits Anfang März den Anwalt der Republik, Wolfgang Peschorn, ersucht, mit den Fraktionen im Untersuchungsausschuss zusammenzutreten, um zu definieren, welche Unterlagen genau man elektronisch liefern kann - dem Angebot ist leider nicht näher getreten worden und deswegen ist es dann zur weiteren Rechtsmittelbestreitung gekommen. (...)
Wir haben jetzt den Schritt gewählt, dass wir gleich nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes unmittelbar alle Daten sofort ins Parlament geliefert haben, um diesem Beschluss auch sofort Rechnung zu tragen. (...)
Aber: Mein Angebot von Beginn des Märzes steht noch, dass es in einem gemeinsamen Prozess zwischen den Fraktionen im Untersuchungsausschuss und dem Anwalt der Republik auch eine Herabstufung von einzelnen Akten geben kann (...)".
Das alles klingt, irgendwie, plausibel, jovial, gar umgänglich - allein: Der retrospektive Rechtfertigungsversuch von Blümel ist rechtlich falsch, wenn nicht an den Haaren herbeigezogen und, was noch schwerer wiegt: Blümel muss das auch wissen, folglich verbreitet er offenkundig latent und ganz bewusst laufend Unwahrheiten um vom eigenen Fehlverhalten bzw. von der eigenen Widerwilligkeit, rechtsstaatlichen Prinzipien Folge zu leisten, mit unlauteren Methoden abzulenken.
Wenn jemand artikuliert, auf die österreichische Verfassung angelobt zu sein, kann man wohl davon ausgehen, dass er den Inhalt derselben kennt. Demnach geht das Recht der demokratischen Republik vom Volk aus; die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden Art. 1 u. Art. 18 B-VG).
Bereits aus der Entscheidung des VfGH vom 03.03.2021 (UA 1/2021-13) erhellt, was Blümel hätte tun müssen. In dieser Entscheidung ist die "Verzögerungstaktik" des Finanzministers im sog. "Ibiza-Untersuchungsausschuss" über 46 Seiten hinweg chronologisch nachzuverfolgen. Zu diesem Verhalten, über Monate hinweg, kann man stehen, wie man will; es entsteht solcherart aber leider mehr und mehr das Bild eines widerwärtig-respektlosen Verhaltens eines scheinbar erst pubertierenden hybrid-größenwahnsinnigen Berufspolitikers, das, dem Vernehmen nach, auch noch mit Dekadenz (im ursprünglichen Wortsinn) koloriert wird. Handelte es sich um ein Fußballspiel, man spräche von einer "Verhöhnung des Gegners".
Dasselbe könnte in diesem Zusammenhang auch für all diejenigen gelten, die Blümel in den letzten Tagen wortreich wie öffentlich zur Seite gesprungen sind, seine offenbar fadenscheinige Argumentationslinie unterstützten bzw. zu rechtfertigen versuchten; allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz, Innenminister Karl Nehmammer und die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Elisabeth Köstinger.
In der "Exekutionsbewilligung" bzw. der "Aufforderung" an den Bundespräsidenten des VfGH vom 05.05.2021 (UA 1/2021-39) erklärt der Gerichtshof dem heimischen Finanzminister (mit sanften Worten) noch einmal sehr klar, warum er seit Anfang März 2021 "zu liefern" gehabt hätte.
"Die Formulierung einer Verpflichtung des informationspflichtigen Organs zur Herausgabe konkret oder zumindest näher bezeichneter Akten und Unterlagen ist im Übrigen auch geeignet, das Kriterium der zwangsweise vollstreckbaren Leistungsverpflichtung (Holoubek, aaO, 363) zu erfüllen und ist daher einer Exekution gemäß Art. 146 Abs. 2 B-VG ihrem Wesen nach zugänglich (vgl. VfSlg. 7433/1974). (...) Hinsichtlich des Umfangs der nach Spruchpunkt I. des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2021, UA 1/2021, vorzulegenden Akten und Unterlagen unterliegt der Bundesminister für Finanzen ebenfalls einem Missverständnis: In seiner bisherigen Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof hinreichend klargestellt, dass die Beurteilung der Vorlageverpflichtung betreffend Akten und Unterlagen und damit der Frage, ob für den Untersuchungsausschuss angeforderte Akten und Unterlagen gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind, zunächst dem informationspflichtigen Organ obliegt. Eine Ablehnung der Vorlage erfordert vom vorlagepflichtigen Organ die Behauptung, dass der sachliche Geltungsbereich von Art. 53 Abs. 3 B-VG mangels Vorliegens eines Zusammenhanges mit dem Untersuchungsgegenstand nicht gegeben ist. Neben der Behauptungspflicht trifft das Organ auch eine auf die einzelnen - von der sonst bestehenden Vorlagepflicht des Art. 53 Abs. 3 B-VG erfassten - Akten und Unterlagen näher bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen (vgl. VfGH 3.3.2021, UA 1/2021 mwN). Der Verfassungsgerichtshof kann gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG angerufen werden, um die Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit, im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Untersuchungsausschuss vorgebrachten Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss, herbeizuführen. Dabei hat das vorlagepflichtige Organ seiner bestehenden Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss und nicht erst im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof diesem gegenüber nachzukommen, um zunächst dem Untersuchungsausschuss eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation zu ermöglichen und diese einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterziehen zu können (vgl. VfGH 3.3.2021, UA 1/2021 mwN).
Eine Eingrenzung bzw. Durchführung einer Strukturierung einer (elektronischen) Suche im Rahmen des Exekutionsverfahrens, die auf das Selektieren anderer als rein privater oder bereits vorgelegter Dateien (vgl. Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2021, UA 1/2021) abstellt, wie dies vom Bundesminister für Finanzen vorgeschlagen wird, kommt allerdings nicht (mehr) in Betracht."
Die beiden Entscheidungen des VfGH (UA 1/2021-13, UA 1/2021-39) stellen damit klar, dass Blümel - im Sinne der herrschenden Lehre und Rechtsprechung - vorbehalts- und bedingungslos liefern muss bzw. zu leisten verpflichtet gewesen wäre:
"Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E. G., A. M. und G. B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T. S., E. H.-S., M. K., B. P. und M. L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen."
Jetzt könnte man, im Falle günstigster Annahme, meinen, Blümel hätte die Entscheidungen des VfGH nicht richtig verstanden; diese Argumentation ist aber schon deswegen obsolet, da der Finanzminister, seinen eigenen Angaben nach, vom Anwalt der Republik, Wolfgang Peschorn, vertreten wurde bzw. wird.
Damit muss selbst Blümel klar sein, dass es sich bei seinen Aussagen, er habe insbesondere die legitimen, schutzwürdige Interessen von Mitarbeiten zu berücksichtigen gehabt, um reine "Schutzbehauptungen" handelt. Gegen eine rechtskräftige, vollstreckbare Entscheidung des VfGH, die einen Exekutionstitel im Sinne der Exekutionsordnung (§ 1 Z 12) darstellt, gibt es auch, wie Blümel vermeint, keine "Rechtsmittelbestreitung". Es mutet in diesem Zusammenhang etwas sonderbar an, dass die österreichische Finanzprokuratur, angesichts einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung des VfGH, noch den (absolut untauglichen) Versuch unternimmt, nachträglich "Korrekturen" vornehmen zu wollen.
Darüber hinaus ist die von Blümel vorgenommene Klassifizierung (Klassifizierungsstufe 3) der zur Verfügung gestellten Akten unzulässig; es gibt dafür keine wie immer geartete Rechtsgrundlage. Scheinbar bezieht sich Blümel dabei auf das Informationssicherheitsgesetz bzw. die Informationssicherheitsverordnung. Der Klassifizierungsstufe 3 "GEHEIM" unterliegen i.S.d. § 2(2) Z 3 des Informationssicherheitsgesetzes bzw. § 3(2) Z 3 der Informationssicherheitsverordnung Informationen nur dann, wenn sie vertraulich sind und ihre Preisgabe zudem die Gefahr einer erheblichen Schädigung der in Art. 20(3) B-VG genannten Interessen schaffen würde.
Kein einziges Interesse i.S.d. Art. 20(3) B-VG kann im konkreten Fall "erheblich gefährdet" sein (Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse einer Partei).
Darüber hinaus ist Finanzminister Blümel schon dem Grunde nach nicht berechtigt, Klassifizierungen, noch dazu nach seinen Gutdünken, vorzunehmen; im Sinne der Entscheidung des VfGH vom 03.03.2021 (UA 1/2021-13) hat er, wie bereits beschrieben, die entsprechenden Unterlagen bzw. Informationen vorbehalts- und bedingungslos herauszugeben.
Wenn Blümel nunmehr, im Nachhinein, davon spricht "Mein Angebot von Beginn des Märzes steht noch, dass es in einem gemeinsamen Prozess zwischen den Fraktionen im Untersuchungsausschuss und dem Anwalt der Republik auch eine Herabstufung von einzelnen Akten geben kann", dann klingt das nicht nur zynisch, es hat den Anschein, als entspringe dieses Angebot geradezu einer megalomanischen Selbstverleugnung. Die Opposition wäre allenfalls gut beraten, erwöge sie gegen Finanzminister Blümel die Erstattung einer Strafanzeige im Sinne des § 302 StGB (Missbrauch der Amtsgewalt). Das ist zwar in einem Rechtsstaat die Ultima Ratio; es hat aber bedauernswerter Weise den Anschein, als wäre Blümel nicht mehr anders zur Raison zu bringen.
Chr. Brugger
12.05.2021