Das Land der willenlos Gehorsamen

05.05.2021

Von einem neuen politischen Stil war immer die Rede, der Auftakt zum Intensivwahlkampf im Herbst 2017 eine Inszenierung einer besonderen, noch nie da gewesenen, Art (samt Blasmusikkapelle St. Kathrein am Offenegg in türkiser Tracht, türkisen Imbisswägen, Eis in den Sorten "After Eight" und "Schlumpf").

Die Nachwehen dieser Inszenierung sind bekannt: Kurz wurde erstmals Bundeskanzler, Köstinger vorerst Ministerin für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft, später Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus.

Nach dem Scheitern der ÖVP-FPÖ Koalition, einstweiliger Bundesregierung Löger sowie der Bundes- Beamtenregierung Bierlein wurde Kurz im Jänner 2020 neuerlich Kanzler der Republik, Köstinger dieses Mal Ministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus.

Auch in diesem Wahlkampf wurde, unter dem Schlagwort "Lasst Kurz und sein Team arbeiten", dem Remake eines Kreisky-Wahlslogans aus den 70-er Jahren, neuer politischer Stil in Aussicht gestellt.

Jetzt, mehr als ein Jahr später, kann von einem neuen Stil nicht die Rede sein, vielmehr von einer Marotte, Masche oder Macke - verdichtet zur Marke Kurz.

Wie auch immer: Parteiintern wurde, über die "Richtlinienkompetenz" weit hinausgehend, jeder Widerstand gebrochen, von eigenen Ideen, eigener Meinung, ideologischen Grundfesten, selbst der Volksmeinung, dem Willen des Volkes, der - zumindest theoretisch - immer Recht hat, befreit. Das Recht unserer demokratischen Republik, dachte ich, ginge im Sinne der aktuellen Bundesverfassung auch heute noch vom Volk aus.

Diesen Verfassungsgrundsatz hat Kurz außer Kraft gesetzt. Das Recht des Volkes geht von der Meinung meiner zahllosen Influencer aus, müsste es neuerdings heißen. Damit läuft der Kanzler, zumindest vordergründig, nicht Gefahr, selbst zur Verantwortung gezogen werden zu können. Auch er hat, wie seine Gefolgschaft, keine eigene Meinung und, was noch schwerer wiegt, keine eigenen Ideen, Lösungsansätze für Probleme aller Art. Er hat sich auf Gedeih und Verderb seinem Beraterstab, seinen Pressesprechern und Redenschreibern, den Bauherren seiner Textbausteine (alle jene machen in Summe seine "Influencer" aus) ausgeliefert, denen er blind vertraut und folgt. Er ist quasi eine Marionette seiner eigenen Selbstinszenierung, gleich Pinocchio in dessen Anfangszeit, als er, in allem was er tat, noch den Händen seines Meisters Geppetto ausgeliefert war; Kurz also eine Kinderbuchfigur aus dem 19. Jahrhundert?

Hat sich Pinocchio Kurz bereits mit türkis-blau verdächtig gemacht, hätte die Kombination türkis-grün selbst die letzten Gutgläubigen davon überzeugen müssen, worum es der Holzfigur geht: Macht um jeden Preis, koste es, was es wolle. Mit der Karte Grün hat PK (Abkürzung für Pinocchio Kurz, nicht für, wie üblich, Pressekonferenz) sein Trumpf-Ass zuerst gezogen und dann laufend ausgespielt, zum Einsatz gebracht, missbraucht und damit ein falsches Spiel der besonderen Art veranstaltet wie inszeniert.

Ist zwar das Konterfei des Kanzlers nicht einmal eines Panini-Stickers würdig, so genießt PK weiterhin nicht nur den Rückhalt seiner Partei (-mitglieder), sondern - und das ist das eigentliche Phänomen - auch den Rückhalt zumindest einer relativen Mehrheit der in Österreich Wahlberechtigten, der eigentlichen Volksmacht, die es allerdings - wie zuvor beschrieben - nicht mehr gibt, weil PK sie außer Kraft gesetzt hat, ohne dass es seine mittelbare Anhängerschaft (damit sind seine Wähler gemeint) bemerkt hätten.

Ein Putsch ganz besonderer Art könnte man meinen, eine Volksverführung bislang unbekannten Stils; PK hat insofern staatstheoretisches Neuland betreten - Chapeau!

Um das PK´sche Strickmuster dahinter zu dechiffrieren, muss man allerdings kein großer Denker sein.

Auf der Klaviatur der Selbstinszenierung spielt PK, begleitet von einer Marketingstruktur modernster Prägung, gepaart mit einem hohen Maß an Narzissmus, die "Melodie des Volkes", tonartenübergreifend hinauf und hinab.

Dabei kommt ihm, so blöd das klingen mag, die Pandemie zupass, sie ist regelrecht ein Glücksfall für ihn; sie spielt ihm und das nicht enden wollend, in seine, längst offenen, Karten. Durch die Pandemie kann PK die Melodie für das Volk mit noch mehr Leidenschaft vortragen; er kann sie mit den Elementen Angst, Verunsicherung, wenn es sein muss, sozusagen im Fortissimo, auch noch um das Stigma Panik anreichern, beliebig variieren. Erst diese beliebige Variabilität befreit PK vom Notenzwang, er kann frei dahinphantasieren ohne dabei an bislang übliche, formale Voraussetzungen gebunden zu sein. Sofern notwendig, lässt sich PK in den oberen Stimmlagen u.a. von Köstinger und Edtstadler, in den tiefen Lagen u.a. von Sobotka und Wöginger begleiten; das ergibt, summa summarum, doch ein formidables Ensemble.

Während die einen musizieren, wird andernorts heftig plakatiert - am besten jeden Tag neu. Nachzulesen ist dieser ganze Blödsinn auf der Homepage des Bundeskanzleramtes unter Nachrichten 2020 u. 2021. Das, was das Volk vorplakatiert bekommt, wird zwar, fast ausnahmslos, nicht umgesetzt bzw. erreicht - dafür klingt es durchaus markig und ist vor allem jeden Tag neu, dadurch abwechslungsreich und so vielfältig, dass die Leser bzw. Seher des Plakatierten die Slogans zwar hinnehmen, alsbald aber wieder vergessen, weil es anderntags wieder etwas Neues gibt. Für anhaltenden Spaß ist sohin laufend gesorgt. Das Volk nimmt das mittlerweile so unreflektiert zur Kenntnis, dass es sich vom Nachdenken oder zumindest Hinterfragen verabschiedet hat. Und damit hat PK sein Ziel erreicht. Das Volk ist müde, mürbe und willenlos. Es begehrt nicht auf, nimmt alles hin und dämmert in erstarrter Hoffnungslosigkeit vor sich hin.

Dieses derzeitige Szenario in Österreich kann man in ähnlicher Form (allerdings mit staatsphilosophischen Anspruch) in einem Buch nachlesen, das bereits vor mehr als 500 Jahren geschrieben wurde:

"Um eine bürgerliche Fürstenherrschaft zu erlangen, ist weder große Tüchtigkeit noch großes Glück nötig, sondern eine vom Glück begünstigte Schläue. Es lässt sich sagen, dass man zu dieser Herrschaftsform entweder durch die Gunst des Volks oder durch die Gunst der Großen aufsteigt. Denn in jedem Staat finden sich diese zwei unterschiedlichen Gesinnungen, was daher rührt, dass sich das Volk von den Großen weder beherrschen noch unterdrücken lassen will, die Großen aber das Volk beherrschen und unterdrücken wollen; aus diesen beiden verschiedenen Bedürfnissen entsteht jeweils eine von drei möglichen Wirkungen: entweder die Fürstenherrschaft oder die Freiheit oder die Anarchie.

Wer aber gegen den Willen des Volks durch die Gunst der Großen zum Fürsten wird, muss vor allem versuchen, das Volk für sich zu gewinnen, indem er dessen Schutz übernimmt. Er muss die Durchführung unliebsamer Maßnahmen anderen übertragen und sich die Gewährung von Gunstbeweisen vorbehalten.

Der Fürst muss auch an seinen Minister denken, er muss ihn auszeichnen und reich machen, ihn sich verpflichten. Er muss sich immer beraten lassen, aber nur dann, wenn er es selbst will. Er muss jedem den Mut nehmen, ihm in irgendeiner Angelegenheit einen Rat zu erteilen, wenn er ihn nicht darum gefragt hat. Es ist für ihn viel sicherer, gefürchtet als geliebt zu werden, denn die Liebe wird durch das Band der Dankbarkeit aufrechterhalten, das von den Menschen bei jeder Gelegenheit des eigenen Vorteils wegen zerrissen wird.

Wie löblich es für einen Fürsten ist, sein Wort zu halten und aufrichtig statt hinterlistig zu sein, versteht ein jeder; gleichwohl zeigt die Erfahrung unserer Tage, dass diejenigen Fürsten Großes vollbracht haben, die auf ihr gegebenes Wort wenig Wert gelegt und sich darauf verstanden haben, mit List die Menschen zu hintergehen. Ihr müsst nämlich wissen, dass es zweierlei Kampfweisen gibt; die eine mit der Waffe der Gesetze, die andere mit Gewalt; die erste ist dem Menschen eigen, die zweite den Tieren.

Da ein Fürst gezwungen ist, von der Natur des Tiers den rechten Gebrauch zu machen, muss er sich unter ihnen den Löwen und den Fuchs auswählen; der Löwe ist wehrlos gegen die Schlingen und der Fuchs gegen die Wölfe. Man muss also ein Fuchs sein, um die Schlingen zu erkennen und ein Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Ein kluger Herrscher kann und darf sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Nachteil gereicht und wenn die Gründe fortgefallen sind, die ihn veranlasst hatten, sein Versprechen zu geben. Wären alle Menschen gut, dann wäre diese Regel schlecht; da sie aber schlecht sind und dir gegenüber ihr Wort nicht halten würden, brauchst auch du dein Wort nicht zu halten. Auch hat es noch nie einem Fürsten an rechtmäßigen Gründen gefehlt, um seinen Wortbruch zu verschleiern. Hierbei könnte man zahllose Beispiele aus neuerer Zeit geben und zeigen, wie viele Friedensverträge und wie viele Versprechungen durch die Treulosigkeit der Fürsten wertlos oder nicht geworden sind. Aber man muss auch eine solche Fuchsnatur zu verschleiern wissen und ein großer Lügner und Heuchler sein; die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr den Bedürfnissen des Augenblicks, dass derjenige, welcher betrügt, stets jemanden finden wird, der sich betrügen lässt.

Für einen Fürsten ist es nicht erforderlich, alle guten Eigenschaften wirklich zu besitzen, wohl aber den Anschein zu erwecken, sie zu besitzen. Ich wage gar zu behaupten, dass sie schädlich sind, wenn man sie besitzt und ihnen stets treu bleibt; du musst milde, treu, menschlich, aufrichtig und fromm scheinen und es auch sein; aber du musst geistig darauf vorbereitet sein, dies alles, sobald man es nicht mehr sein darf, in sein Gegenteil verkehren zu können. Ein Fürst muss eine Gesinnung haben, aufgrund deren er bereit ist, sich nach dem Wind des Glücks und dem Wechsel der Umstände zu drehen. Er muss darauf achten, dass nie ein Wort über seine Lippen kommt, das nicht von diesen fünf Eigenschaften geprägt ist. Die Menschen urteilen im Allgemeinen mehr nach dem, was sie mit den Augen, als nach dem, was sie mit den Händen wahrnehmen. Alle sehen, was du scheinst, aber nur wenige erfassen, was du bist." - Zitate aus: Niccolò Machiavelli, der Fürst.

Nun hat es PK, nach dem bisher Gesagten, mit einem Volk zu tun, das sich von ihm bzw. seinen Plakatklebern so lange blenden ließ, dass es regungslos am Boden liegt, ihm, mehr oder weniger, "Kadavergehorsam" im (übertragenen) Sinne von Franz von Assisi bzw. Ignatius von Loyola entgegenbringt. Damit hat selbst einer wie er ein leichtes Spiel.

Und nun, das ist das Perfide am ganzen Spiel, holt er zum nächsten Schlag gegen das eigene Volk, deren nächste Demütigung aus; wohlwissend, dass es keinen Widerstand geben kann oder wird.

Er verkauft dem Volk ein Paket, das man mit dem Begriff "Grüner Pass" umschreiben könnte. Ihr bekommt einen Teil eurer Freiheit zurück, wenn ihr Folgendes erfüllt: Ihr müsst, wenn ihr fürderhin wieder am öffentlichen, sozialen und sonstigen Leben teilnehmen wollt, jederzeit nachweisen können, dass ihr nicht krank (an COVID-19) erkrankt seid.

Das kollektive Verständnis wird sich einmal kurz durchschütteln und antworten: "Ja, wir lassen uns testen, impfen oder wir weisen eben nach, dass wir schon einmal krank waren, nicht gestorben, sondern geheilt sind. Gesund sein ist weder hipp noch in, angesagt oder en vogue. Den Nachweis erbringen wir selbstverständlich digital; da gibt es zwar ein Problem mit dem Schutz unserer Daten. Grüner Pass auf E-Card Basis ist jedoch allemal besser als die dämlichen, analogen, mit Eselsohren und Fettflecken versehenen "Käsezettel", die ich dann der geilen Bedienung in meinem Stammlokal vorweisen muss. Ich steh doch so auf sie - warum soll sie wissen, dass ich schon an COVID-19 erkrankt war oder einer anderen Priorität angehören muss als sie; Teststäbchen in unterschiedlichen Körperöffnungen sind auch nicht viel besser; das könnte doch meine ohnedies sehr geringen Chancen bei ihr noch mehr reduzieren. Danke Kanzler, gute Arbeit".

Zusammengefasst: Ab dem 19.05.2021 muss man lt. PK z.B. beim Betreten eines Lokals nicht den Nachweis erbringen, dass man (wie übrigens 99% der anderen Inländer auch) gesund ist; nein, man muss vielmehr belegen können, nicht krank zu sein. Dadurch kommt es zu einer vollkommen grotesken, durch nichts zu rechtfertigenden, Beweislastumkehr. Wem so etwas einfällt, ja, der muss tatsächlich selbst an einer Krankheit leiden.

Auch der Begriff Gesundheit erfährt durch diesen Kunstgriff bzw. den Umweg über Impfstraßen, Arztpraxen oder die Quarantäne doch eine etwas andere Konnotation. Konnte man bislang davon ausgehen, dass Gesundheit im Kanon unserer höchsten Güter enthalten ist, so wird man - mit Gesundheit gesegnet - nicht nur diskriminiert, vielmehr diskreditiert und benachteilig. Schlicht: Wer gesund ist, wird bestraft - selbst, wenn er unser so hochgelobtes Gesundheitssystem entlastet, indem er keine Kosten verursacht, dringend benötigte Kapazitäten nicht blockiert. Auch dafür, lieber PK, ein aufrichtiges Dankeschön.

Damit genug für heute; ach ja: Gespannt bin ich auf die inhaltliche Ausgestaltung des ersten Entwurfes für die neue Green Passport-Verordnung; ich gehe jede Wette ein, dass man es wieder einmal nicht zuwege bringen wird, eine verfassungskonforme Version vorzulegen. Dafür müsste man richtig denken, legistisch korrekt agieren - und das war schon bisher nicht die Stärke der einzelnen Ministerien.

Ein guter Rat: Man möge sich vorab an Karoline E. wenden - die weiß das ganz sicher und: Als Belohnung gibt es, nach getaner Arbeit, einen türkisen "Schlumpf" von PK sowie einen Tusch der Blasmusikkapelle St. Kathrein am Offenegg.

Chr. Brugger

05.05.2021