... dann kann er was erzählen

12.04.2022

"Kanzler lieferte sich heftige Diskussion mit Putin" resümiert beispielsweise "Heute" das gestrige Treffen in Moskau; "Die Presse" schreibt von einem "harten und offenen Gespräch"; der "Standard" titelt über die Meinung des Volkes online "Er (Anm: Nehammer) blamiert uns".

Wenn man sich die Aussagen unseres Ex-Innenministers zum Inhalt seines anscheinend 75-minütigen Gespräches mit Wladimir Putin anhört, fällt zweierlei auf:

Nehammer spricht fast ausschließlich davon, was er dem Präsidenten der Russischen Föderation "unter 4 Augen" nicht alles gesagt hätte.

Nehammer interpretiert das, was er von Putin gehört habe, naturgemäß auf seine eigene Art und Weise.

Von einer Diskussion kann angesichts der Aussagen Nehammers weder ausgegangen noch gesprochen werden, bestenfalls von einer Darlegung persönlicher Standpunkte, Meinungen zu bestimmten Themen oder sonstiger Befindlichkeiten.

Was bislang mit keinem Wort erwähnt wurde: Das "Gespräch" zwischen Putin und Nehammer war weder "unter 4 Augen" noch hat es persönlich stattgefunden, zumal davon auszugehen ist, dass Nehammer nicht russisch und Putin nicht deutsch spricht, es folglich eines Dolmetschers (vermutlich sogar zweier) bedurfte, der die wechselseitig auszurichtenden Botschaften in eine jeweils verständliche Sprache übersetzen musste.

Damit sind wir auch schon im Kernbereich dessen, was das von Nehammer Erzählte betrifft: Er kann nur über das berichten, was er, mutmaßlich übersetzt, erzählt bekommen hat, welche Eindrücke in ihm dabei entstanden sind. Von einem Dialog kann sohin nicht die Rede sein, auch von keinem Gespräch oder einem persönlichen Austausch.

Es gibt beispielsweise keine Aussage zur Reaktion Putins auf die (vermeintliche) Forderung Nehammers, wonach potenzielle Kriegsverbrechen durch internationale Institutionen umfassend aufzuklären wären; wenn der Ex-Innenminister dann, aus der Retrospektive, die Gräueltaten in Serbien und Bosnien ins Spiel bringt bzw. bringen muss, erhellt daraus, dass sich Putin (wenn es eine solche Forderung Nehammers überhaupt gegeben hätte) dazu nicht einmal geäußert hat.

Dasselbe gilt leider auch für die "Forderung" humanitäre Korridore einzurichten, zügigere Friedensgespräche zu führen, einer sofortige Beendigung des Krieges - wenn auch nur in Form einer vorläufigen Waffenruhe.

Von all dem, was seit Wochen in und von Europa aus gefordert wird, war - auf Putin bezogen -  nichts zu vernehmen.

Es ist, angesichts dessen, was Nehammer zu erzählen wusste, auch nicht davon auszugehen, er hätte den Russen mit den westlichen, auf ihn gemünzten, Kategorisierungen "Kriegsverbrecher", "Verantwortlicher für Massaker", "Auftraggeber von Verbrechen gegen die Menschlichkeit" konfrontiert.

Die nicht nur laienhaft anmutende militärische "Interpretation" Nehammers unterscheidet sich weder von den Vermutungen derjenigen europäischen Militärexperten, denen kriegerische Handlungen oder kriegstaktisches Kalkül bestenfalls aus Lehrbüchern bekannt ist, noch von dem, was ohnedies seit Wochen erwartet wird: Die Russische Föderation will sich zumindest den Südosten der Ukraine einverleiben, geopolitisch Fakten rund um das schwarze Meer schaffen, um im Nachhinein "Spielraum" für Friedensverhandlungen (was den Rest der Ukraine betrifft) zu haben.

Insofern ist das, was Nehammer von der Reise nach Moskau zu erzählen hat, ausschließlich seinem persönlichen Empfinden, dem geschuldet, was er berichten will oder für erzählenswert hält. Dies insbesondere auch deshalb, weil das Treffen, allem Anschein nach, ergebnislos verlaufen ist und zu keiner Änderung der Ansicht und des Verhaltens des russischen Präsidenten geführt hat.

Daher ist es keine große Überraschung, dass, zumindest medial, der Auftritt des Österreichers in Moskau unter Berücksichtigung der vielstrapazierten Plattitüde "im Nachhinein sei man immer klüger", als "Schlag ins Wasser" bzw. "sinn-, ergebnislos" eingestuft wird.

Von "Spott und Kritik für die Kanzler-Reise" schreibt "Salzburg24" zusammenfassend, "It looks like a PR-Show of Nehammer" wird global gezwitschert, von einem "Affront" und von "hilfloser Selbstüberschätzung" ist zu lesen.

Ob sich Nehammer mit seiner Reise selbst einen Gefallen getan hat oder nicht, ist mir persönlich vollkommen egal; klar ist aber, dass er zumindest einen Versuch unternommen hat, etwas (auf seine Art) zu verbessern, mag dieser Versuch auch absolut untauglich gewesen sein und manchen, wenn nicht gar der überwiegenden Mehrheit der daran überhaupt Interessierten , als absurd erscheinen.

Zu erzählen hat Nehammer aber und trotz Allem allemal etwas, Erklärungsbedarf,  was die Sinnhaftigkeit sowie die tatsächlichen Gründe seiner Reise betrifft, allerdings auch.

Im Unterschied zum Westen war den russischen Medien der Besuch eines Österreichers in Moskau bislang keine Silbe wert - auch das kann man sehen bzw. auslegen, wie man will. Rückschlüsse darauf, wie ernst Putin die Unterhaltung mit seinem österreichischen "Kollegen" genommen hat, glichen einer Kaffeesudleserei; erhellend ist nur, wo Putin Nehammer empfangen hat; das zumindest ließe sich so deuten, dass der Auftritt des Österreichers für Putin eher, sofern überhaupt,  ein unliebsames "Begleitgeräusch" gewesen sein dürfte.


Chr. Brugger

12/04/2022