Brief an Karl Nehammer
Sehr geehrter Herr Nehammer,
wie Sie allenfalls bereits wissen, lasse ich mich ab und an dazu herab, auch Ihre Tätigkeit, Ihre Aussagen und Ihr "Tun" als solches auf meiner heimatlichen Seite (https://www.einfach-denken.com) zu kommentieren.
Dabei bin ich mir vollkommen im Klaren darüber und eben, ob dessen, mit mir selbst anhaltend im Reinen, dass dieser, mein Auftritt weder dem Anspruch professioneller Blogs gerecht wird, noch dazu geeignet ist, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, das Land, in dem ich aufwachsen durfte und leben kann, auch nur einen einzigen Deut besser zu machen, reduziere ich doch meine Beiträge ganz bewusst und überwiegend darauf, meinem Unmut über das "Treiben" in meiner Heimat Ausdruck zu verleihen, um damit zum Ausdruck zu bringen, was für meinen laufenden Brechreiz verantwortlich ist.
Darüber hinaus will ich damit verdeutlichen, dass ich mit Vielem, u.a. mit dem, was sich hierzulande "politisch" vor unser aller Augen abspielt, nicht einverstanden bin; schweigend hinzunehmen und damit allenfalls gar Verständnis oder Zustimmung zu signalisieren ist meine Sache nicht.
Dass Sie dabei allein schon aufgrund Ihrer Funktion nicht "unbehelligt" davonkommen können, versteht sich für mich von selbst, geben Sie doch laufend vor, zuletzt in einer Sondersitzung des Nationalrates am 02.11.2022, Bundeskanzler der Republik Österreich zu sein.
Für mich stellt sich allerdings schon von Beginn an die Frage, warum Sie sich bei Ihrem Spracheitrag im "hohen Haus" am Allerseelentag mehrfach auf ihre eigene Funktion beziehen, immer wieder betonen, Sie als "Bundeskanzler" würden etwas zu sagen haben, manches sogar garantieren; das hört sich nicht nur in meiner Wahrnehmung so an, als wollten Sie die von Ihnen in Anspruch genommene Funktion nur dazu benötigen, um damit den extra für Sie zusammengestoppelten Wörtern größere Bedeutung verleihen zu können.
Immer dann, wenn etwas betont werden oder besonders wichtig erscheinen soll, beginnen die Sätze Ihrer Schreiberlinge mit "Ich als Bundeskanzler der Republik" - haben Sie etwa Zweifel daran, was bzw. wer Sie sind oder sein wollen?
Ohne es eingehend hinterfragt zu haben oder überprüfen zu können, gehe ich aufgrund Ihrer diesbezüglichen Äußerungen jedenfalls davon aus, Sie würden Ihre, von mir bezweifelte, Legitimität aus dem demokratischen Grundkonzept der österreichischen Bundesverfassung abzuleiten versuchen; dagegen ist auf den ersten Blick auch wenig einzuwenden. Allein, es gibt genügend Gründe, durch die die Zweifler, zu denen ich mich zähle, zumindest mit ebensolcher Legitimität auf ihre Illegitimität hinweisen können, wie Sie sich selbst in Ihrer Funktion scheinbar als legitimiert betrachten. Es würde weder dem Umfang noch dem Anlass dieses, meines an Sie gerichteten Briefes gerecht, ließe ich mich an dieser Stelle auf eine Abhandlung zu den Gründen meiner Illegitimitätsvermutung ein, die ihre Wurzeln jedenfalls, soviel darf ich Ihnen verraten, im "kritischen Rationalismus" des Sir Karl Popper findet; im Ergebnis jedenfalls würde ich mich selbst als einen Befürworter der "Theorie der Entlassungsgewalt der Mehrheit" bezeichnen.
Sollten Sie sich, wovon ich nicht ausgehe, einen ersten Einblick in diese Überlegungen gönnen wollen, empfehle ich zum Ersteinstieg die Lektüre eines im "Der Spiegel" unter dem Titel "Zur Theorie der Demokratie" veröffentlichten Textes aus dem Jahr 1987 (https://www.spiegel.de/politik/zur-theorie-der-demokratie-a-77c4531b-0002-0001-0000-000013523345).
Der Anlass jedenfalls, der es Ihnen ermöglichte "wörtergewaltig" und funktionsreduziert auftreten zu können, ist folglich bereits einer derjenigen Gründe, warum ich an der Legitimität Ihrer Funktion erhebliche Zweifel hege.
Wollte man der Opposition nicht Mutwilligkeit oder, in Ausübung ihrer politischen Kontrollfunktion, den Missbrauch ihrer schärfsten Waffe vorwerfen, ist davon auszugehen, dass Dr. Rendi-Wagner, Herbert Kickl und Mag. Beate Meinl-Reisinger den Misstrauenstrag gegen Sie und die gesamte Bundesregierung aus guten Gründen und keinesfalls aus Jux & Tollerei eingebracht haben.
Mir steht es nicht zu, die Gründe der jeweiligen politischen Parteien zu beurteilen; so wie Sie muss ich akzeptieren, dass SPÖ, FPÖ und NEOS nicht grundlos und zum wiederholten Mal von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, um Sie und Ihre Regierung aus dem Amt zu befördern.
Wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Ergebnisse der zuletzt veröffentlichten Umfragen weder erkauft noch manipuliert wurden, verfügen Sie persönlich in der Bevölkerung, wenn es um Ihre eigene Funktionstauglichkeit geht, über einen knapp 15%-igen Zuspruch, so man Sie direkt wählen könnte; über den Umweg einer "fiktiven Nationalratswahl" kämen Sie im Umfeld der ÖVP im besten Fall auf eine relative Minderheit von rund 20%; im Umkehrschluss heißt das aber, dass Sie zumindest weit mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten nicht an der Spitze dieser Bundesregierung sehen wollen.
Nun bin ich "Demokrat" oder jedenfalls nicht realitätsverleugnend genug, um anzuerkennen, dass die Antworten auf Sonntagsfragen keine taugliche Grundlage dafür sein können, bedingungslos Ihren Rücktritt zu verlangen; allein die Tatsache, dass Sie aufgrund der aktuellen Umfragewerte einem Ihrer Vorgänger im Amt, dessen Wahlerfolg Ihnen, mehrfach indirekt, Ihre Funktion erst ermöglicht hat, nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen können, sollte Sie schon dazu anregen, ans sich selbst zu zweifeln; noch dazu, wenn sich Ihr Vorvorgänger vor knapp einem Jahr ausschließlich deshalb verabschieden musste, weil offensichtlich wurde, was viele vermutet haben und mir vom Anbeginn an vollkommen klar war: Hier tritt jemand auf bzw. zu Wahlen an, der - vorsichtig formuliert - nicht einmal das Papier seiner eigenen Werbeplakate wert ist; ein eitler, allzu leicht pikierter Gockel, das künstliche Produkt fragwürdigster Kampagnen, ein Schaumschläger, dem nicht nur Sie und Ihresgleichen auf den Leim gegangen sind, dem Sie letztlich aber immer noch mehr verdanken, als Ihnen vermutlich lieb sein dürfte. Es wird auch einen Grund haben, warum sich der "Maturant der Nation" bei den letzten NR-Wahlen nicht auf die ÖVP verlassen bzw. dieser angehören wollte, sich vielmehr zum Antreten mit bzw. unter einer eigenen Liste veranlasst gesehen hat, auf der im Übrigen auch Sie sich befunden haben.
War der Wahlerfolg von Kurz "überwältigend", so muss man den ihren, so man ihn nicht gänzlich vernachlässigen wollte, als äußerst bescheiden bezeichnen; die Vorzugsstimmen, die Ihnen zuzuordnen waren, haben sich bei Ihnen im Nachhinein und in Relation zu Ihrer heutigen "Funktion" auf ein Maß erhöht, dass bereits ob dessen die von Ihnen beanspruchte demokratischen Legitimation nicht länger vorhanden sein kann; das demokratische Maß ist insofern längst voll.
Um sich der "Liste Kurz" auf fadenscheinige Art aber doch, zumindest argumentativ, irgendwie zu entledigen, auf seine Quote und insbesondere deren damit verbundene Folgen nicht verzichten zu müssen, hat sich die ÖVP ganz einfach wieder umbenannt - das ändert aber wiederum nichts an der Tatsache, dass die 37,5% von Kurz Ihnen schon insofern zugutekommen, als Sie sich sonst im politischen Niemandsland befänden, jedenfalls aber weit unter jeder politisch relevanten Wahrnehmungsgrenze.
Auch auf die Frage, wie es überhaupt zu diesen 37,5% gekommen ist, womit ja immerhin 71 Mandate im Nationalrat einhergehen, sind Sie bislang nicht näher eingegangen. Ihre demokratische Legitimation, die ich, wie andere auch, anzweifle, leitet sich just aus dieser Quote bzw. den damit verbundenen Mandaten im "hohen Haus" ab; das bzw. Ihr Problem dabei ist u.a., dass Sie als Generalsekretär Ihrer Gesinnungsgenossenschaft für die NR-Wahlen des Jahres 2019 verantwortlich waren; dies gilt auch für die Einhaltung der Wahlkampfkostenobergrenzen i.S.d. Parteiengesetzes, deren endgültige ziffernmäßige Befundung ja noch aussteht; die diesbezüglichen Gutachten der beiden allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Sommerer und Peyerl sprechen jedenfalls davon, die von Ihnen zu verantwortenden Wahlkampfkosten seien "nicht plausibel" und folglich auch "nicht nachvollziehbar".
Wären Sie ehrlich, redlich und charakterlich stark genug, würden Sie nicht verschweigen müssen, dafür verantwortlich gewesen zu sein, dass die Manipulationen rund um das Wahlkampfbudget der ÖVP für die NR-Wahl 2019 bewusst erfolgt sind; im diesbezüglichen Beschluss des OGH vom 20.12.2021 könnten Sie und Ihre Genossen auch nachlesen, wie eine Beweiswürdigung zu erfolgen hat.
Derselbe Befund gilt übrigens auch für die Wahlkampfkosten der Nationalratswahl 2017; diesbezüglich sollte Ihnen zumindest der Bescheid des unabhängigen Parteien-Transparenz-Senates vom 13.01.2020, GZ: 610.005/0007-UPTS/2019 bekannt und erinnerlich sein, da die ÖVP in diesem Verfahren und während Ihrer Ära als deren Generalsekretär zwangsweise zur Bezahlung einer Geldbuße in Höhe von € 800.000,00 verpflichtet wurde; die gesetzlich festgelegte Obergrenze (€ 7.000.000,00) wurde demnach um "lächerliche" € 5.959.301,71(!) überschritten.
Dass weder Sie noch Ihre Partei willens und in der Lage sind, aus rechtskräftigen Bescheiden und deren rechtlichen Beurteilungen etwas zu lernen, stellen Sie schon insofern unter Beweis, als Ihnen im zuvor erwähnten Bescheid attestiert wurde, aus dem Bescheid des unabhängigen Parteien-Transparenz-Senates vom 04.11.2015, GZ: 610.005/0002-UPTS/2015, in dem die ÖVP im Zusammenhang mit der Nationalratswahl 2013 zur Bezahlung einer Geldbuße in Höhe von € 300.000,00 sowie im Zusammenhang mit der Wahl zum Landtag im Land Niederösterreich zur Bezahlung einer Geldbuße in Höhe von € 1000.000,00 verpflichtet wurde, eben gerade nichts gelernt und jedenfalls auch nicht die richtigen Schlüsse gezogen zu haben (nachzulesen auf https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/unabhangiger-parteien-transparenz-senat.html).
Allein schon aufgrund dieser Tatsachen, die Sie weder bestreiten noch relativieren können, steht fest, dass die kurz´schen Nationalratswahlerfolge der Jahre 2017 und 2019, von denen Sie unmittelbar immer noch profitieren, zumindest auch mit rechtwidrigen, unredlichen bzw. unlauteren Mitteln erzielt wurden. Der unabhängige Parteien-Transparenz-Senat beschreibt das so: "Dem steht gegenüber, dass eine Partei, die - bewusst oder unbewusst - die Ausgabengrenze überschreitet, davon ausgehen kann, dass sich dies in einem Zuwachs an Wählerstimmen niederschlägt und damit indirekt in der Folge die Höhe der Parteienförderung beeinflusst."
Das äußerst fragwürdige Zustandekommen des NR-Wahlergebnisses 2017 hatte, was Sie ebenfalls nicht leugnen können, auch einen unmittelbaren Einfluss auf die NR-Wahl 2019. 2017 war ja, wie Sie wissen sollten, der Beginn des Aufstiegs zum tiefen Fall eines Ihrer Parteigenossen und zugleich auch des steten, wenn auch etwas zeitverzögerten, Abwärtstrudelns derjenigen Gesinnungsgemeinschaft, deren 100%-iger Obmann Sie sind.
Man könnte, verließe man so wie Sie, was ich Ihnen noch näher erklären werde, ganz bewusst den Boden des anerkannten, heimischen Rechtsverständnisses, die Meinung vertreten, die Ergebnisse der NR-Wahlen 2017 und 2019 wären "betrügerisch" zustande gekommen, da sich, rein objektiv betrachtet, nicht in Abrede stellen lässt, dass diese Wahlkämpfe, sollten sie nicht gänzlich sinnlos gewesen sein, mit dem Ergebnis der jeweiligen Wahlen denklogisch in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und dieselben Ergebnisse der ÖVP finanzielle Vorteile in eben derselben Höhe beschert, wie sie insofern den politischen Mittbewerbern Schaden zugefügt haben.
Ob es sich dabei um einen Betrug im klassischen, strafrechtlichen Sinn (§§ 146, 148 StGB), schlimmstenfalls um einen schweren gewerbsmäßigen Betrug gehandelt hat, müssten die dafür zuständigen Strafverfolgungsbehörden, allenfalls auch mit Bezug auf das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, beurteilen; dasselbe gilt für die Straftatbestände der "Täuschung" bzw. der "Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung" (§§ 108, 263 StGB) - abwegig würde ich solche Überlegungen jedenfalls nicht bezeichnen.
Man kann ja, so hat es zumindest den Anschein, wie das Ihre Gesinnungsgemeinschaft und damit auch Sie selbst, als deren Verantwortlicher, machen und vorexerzieren, auf rechtswidrige Weise Wahlerfolge erzielen, ohne dabei Gefahr zu laufen, das Ergebnis der Wahlen nicht für sich in Anspruch nehmen zu können und darauf basierend auch noch zahlreiche politische Mandate "abzustauben", womit naturgemäß stattliche Gehälter einhergehen und sich die finanzielle Förderung Ihrer Partei auf Kosten der Steuerzahler auf einem entsprechend hohen Niveau halten lässt.
Kurzum bzw. im Sinne von Kurz: Zuerst beeinflussen wir den Ausgang von Wahlen durch sachlich nicht gerechtfertigte und gesetzeswidrige Wahlkampfkosten, um im Nachhinein Geldbußen billigend in Kauf zu nehmen; dafür bezahlt "unter dem Strich" der Steuerzahler die Rechnung in Form von stattlichen Abgeordneten- und Ministergehältern sowie erheblich höheren Parteiförderungen - so sieht also eine türkis-schwarze "Milchbubenrechnung" aus.
Dieses "Szenario", das Sie weder verhüllen noch leugnen können, spiegelt die Abartigkeit der Denkweise Ihrer ÖVP, zeichnet das Sittenbild Ihrer Gesinnungsgenossenschaft, das sich die ÖsterreicherInnen jeden Tag ansehen müssen; eine bislang nicht kalkulierbare "Note" (die diesbezüglichen Verdachtsmomente werden von den Strafverfolgungsbehörden noch geprüft) brächten auch noch mutmaßlich und mit Steuergeld gekaufte Antworten auf "Sonntagsfragen", ins Spiel, die bei jeder Wahl nicht weniger entscheidungs- und ergebnisbeeinflussend sind als Wahlkämpfe.
Es wäre aber, unabhängig vom Einfluss auf die Wahlergebnisse, schon äußerst bedenklich, die eigene Partei, frei nach dem Motto "mehr Schein als Sein" im Lichte käuflich erworbener Umfrageergebnisse erheblich besser darstellen zu wollen, als sie es in Wirklichkeit ist bzw. war, setzt ein solches Vorgehen ja zwangsläufig die politischen Mitbewerber herab.
Im Verbund mit der erwähnten "Milchbubenrechnung" stellt sich allerdings die Frage, inwiefern die ÖVP nicht auch mehrfach gegen die Bestimmungen des sog. "Lauterkeitsrechts" verstoßen hat; zur Erklärung: Zweifelsfrei betätigt sich auch eine politische Partei nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes (u.a. OGH, 07.11.1956, 3 Ob 443/56) im und am Geschäftsverkehr i.S.d. Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG); das zwischen politischen Parteien ein Wettbewerbsverhältnis besteht, steht ebenso außer Frage; ich hingegen frage mich seit längerem, warum bislang noch niemand bzw. keine politische Partei auf die Idee gekommen ist, die ÖVP auf Unterlassung und/oder Schadenersatz zu klagen. Die gesetzlich festgelegten Obergrenzen der Wahlkampfkosten sind jedenfalls ein Schutzgesetz i.S.d. UWG und jede Verletzung eines solches Schutzgesetzes ist an sich schon eine Wettbewerbsverletzung - der Kläger müsste lediglich die "objektive Übertretung" der Schutznorm (Verstoß gegen die gesetzlichen Obergrenzen bei Wahlkämpfen) beweisen; für die NR-Wahl des Jahres 2017 liegt der Beweis in Form des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides des unabhängigen Parteien-Transparenz-Senates vom 13.01.2020, GZ: 610.005/0007-UPTS/2019 längst vor; selbst dann, wenn der Nachweis eines konkreten Schadens schwierig wäre, bliebe jedenfalls ein Rechtsanspruch auf Unterlassung.
Allenfalls bedarf es also kostenintensiver Wettbewerbsprozesse, um Sie bzw. Ihre Partei endlich zu Raison zu bringen, Herr Nehammer; mit Geldbußen war das bislang ganz offensichtlich nicht möglich.
Sie hingegen sind momentan auf gänzlich anderem Terrain unterwegs, scheinbar auf spiegelglatt-brüchigem Eis: All das, worüber nicht rechtskräftig strafrechtlich geurteilt wurde, ist zulässig und rechtens - das ist in kurzen Worten Ihre Formel für die politische Verantwortung, Ihre "rote Linie", jenseits derer sich jemand erst zu verantworten hätte; alles ist solange sanktionslos zulässig, bis es nicht rechtskräftig strafrechtlich sanktioniert worden ist, lautet demnach Ihr Credo.
Nun denn, Herr Nehammer!
"Gesetze gelten als Richtschnur, ob jemand schuldig ist oder nicht schuldig ist. Wenn wir davon sprechen, dass Wertevorstellungen im Lauf der Jahrzehnte sich verändern, dann haben Sie dem hier auch Rechnung getragen, hier im hohen Haus und wenn Sie sich ernst nehmen, werden Sie das nur bestätigen können; denn Veränderungen in der Wertehaltung finden sich auch wieder in der Gesetzgebung, dann, wenn Gesetze novelliert werden, wenn sie abgeschafft werden, oder wenn sie neu gesetzt werden. Das ist Ausdruck der Demokratie und des Parlamentarismusses(!) und das gilt es aus meiner Sicht in Zeiten wie diesen mehr als je zuvor zu verteidigen", meinten Sie anlässlich Ihres Auftrittes am 02.11.2022 im Nationalrat.
Wenn das tatsächlich, woran kein Zweifel besteht, Ihre Ansicht über den maßgeblichen "Wertekatalog" der Republik Österreich ist, dann sind Sie in Ihrer Funktion, bereits ob dieser, von Ihnen öffentlich vertretenen, Meinung nicht eine Minute länger tragbar und wären jedenfalls i.S.d. Art. 70(1) Bundes-Verfassungsgesetz ein "Fall" für den Bundespräsidenten.
Mit Ihrem politischen Offenbarungseid in der Form eines strafrechtlichen Glaubensbekenntnisses haben sie ganz Österreich vorzeitig - allenfalls etwas unfreiwillig - ein recht stattliches, schönes wie teures Weihnachtsgeschenk auf Staatskosten präsentiert und parallel dazu gleichsam eine Generalamnestie erlassen:
- Jeder Handwerker darf pfuschen, bis ihm schwarz vor Augen wird
- Jeder Pädagoge darf für seine Nachhilfestunden schwarz kassieren
- Jeder Amtsträger darf sich so lang bestechen oder etwas versprechen lassen, bis er dabei erwischt und dafür rechtskräftig verurteilt wurde
- Jeder Amtsträger im Finanzministerium darf für Umfragen jeder Art Steuergeld zum Fenster hinauswerfen, bis er seiner Taten überführt und dafür rechtskräftig verurteilt wurde
- Jeder Amtsträger im Finanzministerium darf für Steuererleichterungsanfragen empfänglich sein, solche gewähren und dafür auch noch privat kassieren bzw. einen gut dotierten Job annehmen, bis er nicht auffliegt und dafür rechtskräftig verurteilt wurde
- Jeder kann jeden unbehelligt betrügen, misshandeln und schädigen, sooft und solange er will, bis er sich dafür nicht in einem Strafverfahren verantworten muss und rechtskräftig verurteilt wurde
.. all das mit Ihrem ausdrücklichen, persönlichen Wohlwollen bzw. im Lichte Ihres eigenen Verständnisses von dem, was Recht ist oder sein soll.
Ganz ähnlich sehen das Ihre "Genossen im Geiste", Sobotka & Stocker; der eine (Sobotka) glaubt am 22.04.2022 daran, "es sein ein Gebot der Stunde für die Politik insgesamt, nicht so quasi durchtauchen und etwas bei Seite schieben zu wollen; man müsse offen auch zu Fehlern stehen und wenn es Fehler gegeben hat und wenn Steuer nachzuzahlen ist, dann ist sie nachzuzahlen; aber man soll aufhören, das zu kriminalisieren". Was der andere (Stocker) dazu an "Schmankerln" zu bieten hat, können Sie sich auf https:// www.youtube.com/watch?v=UiFW7bq12-4 ansehen bzw. anhören.
Die Reihe der, im Sinne Ihres Rechtsverständnisses, sanktionslos-zulässigen, "Unverschämtheiten" ließe sich beliebig fortsetzen; besonders privilegiert sind aber jedenfalls alle Politiker, weil diese, dank Ihnen, bis zur Rechtskraft eines allfälligen Strafurteiles, unabhängig davon, was sie tun oder getan haben, ohnedies nichts zu befürchten haben.
Sie wissen vermutlich, das ist der nächste Grund, warum Sie für die von Ihnen in Anspruch genommene Funktion nicht taugen, nicht einmal bzw. können daher auch nicht einmal ansatzweise abschätzen, was Ihre Wörterfolge "denn Veränderungen in der Wertehaltung finden sich auch wieder in der Gesetzgebung" eigentlich bedeutet; seit mir die Gesetzwerdung in Österreich vertraut ist, habe ich noch nie eine "Veränderung in der Wertehaltung der Gesetzgebung" wahrgenommen oder wahrnehmen können. Sie wissen vermutlich selbst nicht, von welchen Werten Sie reden oder überhaupt reden wollen; Sie wissen vermutlich nicht einmal, was Werte sind oder sein sollten. Für eine Antwort darauf, was denn ein Wert überhaupt sei, dürfte es Ihnen nicht nur an Fantasie, sondern auch am nötigen Verständnis und Verstand mangeln.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang, was beispielsweise die Professoren Franz Bydlinski und Theo Mayer-Maly zu Ihrer persönlichen Rechtsgesinnung gesagt hätten!
In eine ähnliche, moralisch äußerst bedenkliche, Richtung deutet auch Ihre Aussage "So bin ich nicht und so sind wir nicht": Sie wissen offenbar nicht einmal selbst, was Ihr "So" sein soll, wähnen sich auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit und öffnen zugleich allem, was nicht durch ein rechtskräftiges Strafurteil sanktioniert wird oder sanktionierbar , bereitwillig Tür & Tor.
Was bedeutet für Sie "so"? Beim "So sind wir nicht" von Van das Bellen war irgendwie evident, dass er damit nur die Hauptdarsteller des Ibiza-Videos (Strache und Gudenus) gemeint haben konnte; Strache & Gudenus sind aber seit längerem politisch nicht bzw. nichts mehr; meinten Sie mit Ihrem "so", mangels "Konkurrenz", etwa Kurz, Blümel & Co, gar Sobotka & Wöginger? Sind die "so" oder, verneinenden falls, wer ist "so", als dass Sie nicht, wie diese, "so" sein wollten? Wer sind also die Protagonisten Ihres "so", Herr Nehammer?
Klar ist aber, unabhängig von der Beantwortung dieser Fragen: So wie Sie und Ihre Gesinnungsgenossen nicht sein wollen, damit können und wollen jedenfalls anständige, rechtschaffene und einigermaßen an Werten orientierte Menschen, die Charakter haben, nichts zu tun haben; dort, in Ihrer Gesinnungsrunde sollten Sie in Klausur gehen und versuchen darüber nachdenken, was die ÖVP und ganz speziell auch Sie in den letzten Jahren so alles gemacht bzw. moralisch verbrochen haben; dort, im Ausgedinge, könnten Sie sich samt Ihrem Anhang überlegen, was Sie vielleicht ändern möchten, insbesondere woran sich künftig ihrer aller Rechtsgesinnung orientieren soll.
Geläutert werden Sie dann, wenn es um den "Verhaltenskodex" der ÖVP geht, vielleicht nicht länger, gleich einem Ochsen am Nasenring, vom Bundesparteiobmann der FPÖ durch den Plenarsaal des Parlamentes gezogen werden können, seinen Vorhalten nicht länger schutzlos bzw. widerstandsunfähig ausgeliefert sein; denn seine Logik ist nicht nur in diesem Zusammenhang, im Unterschied zu Ihrer, absolut schlüssig; wo er Recht hat, hat er eben Recht, ob Sie das wahrhaben wollen oder auch nicht ist insofern einerlei und ohne Bedeutung.
Obwohl: Soviel mir bekannt ist, beinhaltet der selbstverordnete "Verhaltenskodex der ÖVP" keine strafrechtlich relevanten Normen - insofern könnten Sie dagegen ungeniert, ohne Sanktionen befürchten oder mit unliebsamen Rechtsfolgen rechnen zu müssen, verstoßen; das müsste ich Ihnen, verzeihen Sie mir bitte, eigentlich gar nicht schreiben, zumal Sie und Ihre Genossen von diesem exklusiven "Privileg" ohnedies, seit es diesen "Kodex" gibt, laufend Gebrauch und insofern ersichtlich machen, was er Ihnen wert ist.
Bleibt noch die Frage, warum es diesen "Kodex" dann überhaupt gibt?
Darauf erwarte ich mir aber, seien Sie gewiss, ebenso keine Antwort wie auf die Fragen, wenn es um Ihr "so" geht!
Eigentlich könnten Sie sich glücklich schätzen, dem Anforderungsprofil ihres eigenen "Verhaltenskodex" nicht entsprechen zu müssen; hätten sie dieses nämlich irgendwann einmal tatsächlich erfüllen müssen, wären Sie schon parteiintern für die in den letzten Jahren von Ihnen ausgeübten Funktion nicht in Frage gekommen.
Wenn Sie, wie bereits beschrieben, Ihre "rote Linie" im Bereich des rechtlich Strafbaren verorten, übersehen Sie geflissentlich, dass es so etwas gibt oder geben soll, wie das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden", wenn Sie so wollen, die "guten Sitten", das was jedem Vernunftbegabten einleuchtet und woran sich jeder hält, unabhängig davon, ob das kodifiziert ist oder nicht.
Mit Ihrer Haltung ignorieren Sie die "ungeschriebenen, übergesetzlichen Normen" gesellschaftlichen Zusammenlebens, missachten demnach das, was die österreichischen Gerichte meinen, wenn sie einhellig seit Jahrzehnten der Ansicht sind, "gegen die guten Sitten verstößt, was offenbar geradezu widerrechtlich ist, ohne gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot zu verstoßen".
Genau das ist es, denke ich, was Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier "Im Zentrum" am 23.10.2022 meint, wenn er sagt "(...) die rote Linie, dass das das Strafrecht nur sein soll, ist der größtmögliche Unsinn, denn jede Partei, nicht nur die ÖVP, ist eine Gesinnungsgemeinschaft von Menschen, die einen gemeinsame Wertekanon vertreten; dieser Wertekanon kann natürlich nicht sein, passen wir auf, dass wir nicht kriminell werden, sondern das muss ja wohl, bei einer christdemokratischen Partei im christlichen Bereich, viel tiefer gehen, deshalb gibt es ja auch einen Ethikrat und einen Verhaltenskodex; sonst könnte die ÖVP das ja gleich abschaffen und müsste sich nur von einem Strafrechtsexperten gut beraten lassen (...)"
Zu dieser Aussage Filzmaiers ist, nicht unerwartet, weder Ihrem Parteisekretär Stocker noch der NR-Abgeordneten Scharzenberger etwas Sinnvolles eingefallen; für beide zählt, so wie für Sie auch, einzig die Strafrechtsgrenze; wie problematisch, demokratie- und gesellschaftsfeindlich diese fragwürdige Haltung allerdings ist, wäre schon daran leicht zu erkennen, dass der "Pfusch" hierzulande als "Kavaliersdelikt" nur milde belächelt wird und es quasi zum guten Ton gehört, wenn in den heimischen "Amtsstuben" (Gemeinden, Bezirkshauptmannschaften, Finanzämtern, den Büros von Landes- und Bundesbehörden) öffentliche Ressourcen (Kopien, Ausdrucke, Papier, Dienstwägen etc.) für private Zwecke missbräuchlich verwendet werden.
Auf den "höheren Ebenen" geht es dann um durchaus "übliche" Gefälligkeiten in Form undifferenzierter Bevorzugungen, beispielsweise bei Bauvorhaben, Interventionen, wenn es beispielsweise um die Besetzung von Posten geht; und ganz "oben" manifestiert sich die schmuddelig-fragwürdige Haltung dann eben genau so, wie sich das anhand der "Chats" von Kurz, Blümel, Schmidt & Co herausgestellt hat; jedem "billig und gerecht denkende Österreicher" wurde so, durch eigene Blöd- und Abgehobenheit der Genannten, erkennbar, dass Politiker (vom Bundeskanzler abwärts) eben genau so sind, wie sie sind; das parteipolitische "Treiben" wurde zumindest teilweise öffentlich erkenn- und für jedermann nachvollziehbar.
Dass diese "Chats" lediglich den sichtbar gewordenen Gipfel dekadenter Abartigkeit zeigen, muss ich Ihnen vermutlich als Letztem erklären; Sie fanden es jedenfalls und trotzdem bis zum heutigen Tag nicht notwendig, sich dafür zu verwenden, Kurz, Blümel & Co aus Ihrer Gesinnungsgemeinschaft auszuschließen, reinen Tisch zu machen und sich von allen jenen loszusagen, deren einwandfreier Charakter nicht zweifelsfrei feststeht; Sie machen pikanterweise genau das Gegenteil davon, stellen alle Verdächtigen über den Umweg der "Unschuldsvermutung" vollkommen unreflektiert unter einen Glassturz und glauben immer noch daran, bloß Strache & Gudenus seien böse Buben gewesen, wohingegen es sich bei Kurz, Blümel & Co um ganz liebe Waisenknaben handelte.
Sie dürfen sich folglich nicht wundern, wenn Ihr Rückgrat, zumindest bei uns am Land, laufend mit einem Gartenschlauch in Verbindung gebracht und über Ihr "Rechtsbewusstsein" abfällig gesprochen wird.
Wie auch immer: Da Sie ja anscheinend gut beraten sind, kann ich hilfreiche bzw. gut gemeinte Hinweise aussparen, werde Ihren restlichen Verbleib in der politischen Landschaft Österreich weiterverfolgen und, sollte es meine Zeit zulassen, auch wieder ein paar Sätze zu meinen Wahrnehmungen schreiben - spätestens dann, wenn ich das nächste Mal das Gefühl habe, mich übergeben zu müssen., weil ich die Politik ins unserem Land wieder einmal zum Kotzten finde.
Jedes Mal, wenn ich an die zuvor beschriebene und von Ihnen vertretene Rechtsauffassung denke bzw. mir dieselbe erinnerlich wird und säuerlich aufstößt, muss ich meine Toilette bemühen; es besteht für mich nicht einmal der geringste Zweifel daran, Ihre "Rechtsgesinnung" als widerwärtig bezeichnen zu müssen, da Sie ganz offensichtlich über etwas nicht verfügen, was für jedes vernunftbegabte Lebewesen der menschlichen Rasse selbstverständlich ist: Ein durch moralische Bedenken, ein Mindestmaß an ethischen Maßstäben und die "guten Sitten" determiniertes Gewissen - oder, für Sie etwas einfacher: Anstand!
"Ich spreche niemanden schuldig. Ich bin kein Richter" trällerten Sie, sehr zur Freude der türkis-schwarzen Claqueure, in die Reihen des Plenarsaales - alles andere wäre eine Vorverurteilung und damit eine Aushebelung des Rechtsstaates.
Wie ist angesichts dieser - Ihrer - Ansicht die vom OGH als bewusst zu bezeichnende Manipulation des Wahlkampfbudgets der NR-Wahl 2019, für die Sie als Generalsekretär verantwortlich waren, zu beurteilen und mit Ihren Maßstäben vereinbar, Herr Nehammer? - der OGH, 6 Ob 177/21d, ließe freundlich grüßen; trotzdem dürfte Ihre Antwort klar sein: Strafrechtlich ist das nicht vorwerfbar, also ist die bewusste Manipulation eines Wahlkampfbudgets unbedenklich - man zahle ein Bußgeld (€ 800.000,00) und alles ist paletti; dass es sich bei den € 800.000,00 überwiegend um Steuergeld handelt, sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben.
Lustig ist auch, dass Sie zwar kein Richter sein wollen, dafür aber die rechtlichen Rahmenbedingungen "richterlicher" Entscheidungen gleich selbst bestimmen wollen und dem Richter, der Sie nicht sein wollen, nach Ihrem Dafürhalten vorgeben, wie und auf welcher Grundlage er zu entscheiden hätte.
Ist Ihnen Zeit Ihres Lebens noch nicht aufgefallen, dass es neben strafrechtlichen Normen auch so etwas gibt wie ein natürliches Rechtsempfinden, zu dem anscheinend nicht nur Sie, sondern auch andere Protagonisten Ihrer Sippschaft ein gestörtes Verhältnis unterhalten?
Nicht nur jedem Laienrichter dieser Republik muss es den Magen umgedreht haben, wenn er Ihnen am 02.11.2022 zuhören durfte.
Sie merken offensichtlich nicht einmal, dass Sie sich spätestens mit Ihren Aussagen am 02.11.2022 den rechtsstaatlichen Boden unter Ihrer körperlichen Hülle weggezogen haben, wohingegen sich Ihr "Geist" schon vorher verflüchtigt haben dürfte - Ihre Rede, sozusagen das Plädoyer einer sinnbefreiten Selbstdemontage.
Ganz ehrlich, Herr Nehammer: Sie scheinen allenfalls sogar noch dümmer zu sein, als es die "Polizei" erlauben würde und das Volk es zulassen sollte.
Beste Grüße
Chr. Brugger
06/11/2022