„BMLV und ÖBH – wozu“?
Ein Beitrag mit eben diesem Titel hat, österreichweit und über alle politischen (Oppositions-) Parteien hinweg, in den letzten Tagen für Aufregung gesorgt.
Anlass ist ein, wenn man so will, wissenschaftlicher Beitrag von MinR Priv.-Doz. Mag. Dr. Alexander Balthasar in einem unlängst publizierten Sonderheft der "Österreichische Militärische Zeitschrift".
Die Opposition ist sich einig: Folgte man den "Anregungen" des Autors, käme das einer Abschaffung der jetzigen Form unseres Bundesheeres gleich. Es solle demnach der Weg hin zu einem "Sicherheitsministerium" geebnet werden oder vielmehr und in kurzen Worten, das bisherige Verteidigungsministerium im Innenministerium gleichsam eine neue Heimat finden.
Was hat nun Herr Balthasar geschrieben, dass die Oppositionsparteien einen (weiteren) Misstrauensantrag gegen BM Klaudia Tanner in Erwägung ziehen, Aufklärung fordern, Fragen beantwortet wissen wollen?
Zum besseren Verständnis: Bereits im Sommer 2020 hat Ministerin Tanner ziemlich unverhohlen und entsprechend laut über das Ende der militärischen Landesverteidigung "nachgedacht", besser gesagt "gefaselt", damit zumindest kurzfristig für Aufsehen und noch mehr Unverständnis gesorgt. Nach ein paar Tagen "hellster Aufregung" wurde fleißig zurückgerudert, dementiert, alles dem politischen "Allheilmittel" falsche Kommunikation in die Schuhe geschoben. Tanner stellte klar, dass die militärische Landesverteidigung weiterhin Kernaufgabe des Bundesheeres sei und bleibe, diesbezüglich keine Zweifel bestünden.
Nun schlägt Herr Balthasar mehr oder weniger in dieselbe Kerbe wie Tanner vor dem offiziellen Dementi:
Unter der Bezeichnung "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) schreibt Balthasar, mehr oder weniger deutlich, dass das bisherige Verteidigungsministerium in Zukunft keine Rolle mehr spielen wird, ausgedient hätte:
"Die Aufrechterhaltung einer traditionellen, militärisch autarken Armee stellt demnach keineswegs mehr nur für Österreich eine unzumutbare Belastung dar. Um gleichwohl den oben angeführten, in aller Regel globalen bzw. zumindest kontinentalen Bedrohungsszenarien ausreichend effektiv entgegentreten zu können, ist die künftige Fokussierung auf die GSVP nicht nur aus rechtlichen, sondern gerade auch aus budgetären Gründen unausweichlich, um für die insgesamt aufgewandten Mittel einen adäquaten Ertrag zu erhalten; mit anderen Worten: Künftig wäre nicht nur eine (quantitative wie auch qualitative) Intensivierung der österreichischen Beteiligung an der SSZ, anzustreben, sondern sogar von dieser als dem maßgeblichen Paradigma aus zu denken."
"An allererster Stelle hat künftig der Bezugsrahmen der GSVP stehen, und zwar
• sowohl mit Blick auf die Kernaufgabe der militärischen Verteidigung des Bundesgebietes ("militärische Landesverteidigung" im klassischen Sinne) (Art 42 Abs 7 EUV, berechtigende oder verpflichtende Dimension)
• wie hinsichtlich der erst mit der GSVP zugewachsenen weiteren, solidarischen Aufgabe der militärischen Verteidigung des Unionsgebietes (Art 42 Abs 7 EUV; verpflichtende Dimension)
• wie schließlich in Bezug auf "Missionen außerhalb der Union" iSd Art 42 Abs 1 iVm Art 43 EUV. Diese grundsätzliche und ständige Bedachtnahme auf den Bezugsrahmen der GSVP sollte sich insbesondere auch hinsichtlich
• der Entwicklung jener "zivilen und militärischen Fähigkeiten", die der EU iSd Art 42 Abs 3 EUV "als" österreichischer "Beitrag zur Verwirklichung der vom Rat festgelegten Ziele zur Verfügung" gestellt werden
• der "schrittweise[n]" Verbesserung der österreichischen "militärischen Fähigkeiten" auswirken."
Vor dem Hintergrund dieser Situation ist die oppositionelle Kritik absolut verständlich. Balthasar publiziert in einem Medium, dessen Inhalt zweifelsfrei dem Bundesministerium für Landesverteidigung zuzuordnen ist, einen Aufsatz, dessen Inhalt den, holprig wie unprofessionell vorgetragenen, Klarstellungen Tanners widerspricht, einen offensichtlichen Widerspruch und damit zwangsläufig viele (lästige) Fragen hinterlässt:
- Weiß Tanner, was in ihrem Ministerium tatsächlich passiert?
- Teilt sie die Meinung von Balthasar?
- Welches Schicksal ereilt das Bundesheer in nächster Zeit?
- Von welchem Ministerium wird die (geplante) GSVP verantwortet - wenn, so wie Balthasar das beschreibt, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (aus welchen Gründen immer) künftig vereinheitlich werden sollen?
Je länger ich mich mit diesen Fragen beschäftige, desto mehr verdichtet sich der Eindruck, dass der Beitrag von Balthasar tatsächlich überwiegend vom "Geist" einer Symbiose "innere Sicherheit & militärische Landesverteidigung" inspiriert sein muss. Alles andere ergäbe keinen Sinn.
Tanner könnte man, nicht zuletzt aufgrund ihrer mehr oder minder anhaltend skurrilen Auftritte, ohnedies als ein ungeliebtes "Kind", eine offensichtliche (weitere) Schwachstelle, der Regierung Kurz II bezeichnen.
Mit einer Novellierung des Bundesministeriengesetzes könnte Kanzler Kurz, wenn auch nur vorübergehend, ein paar akut-lästige Probleme lösen:
- Er wäre Tanner als Ministerin los
- Das "Stiefkind" Verteidigungsministerium gäbe es in der heutigen Form nicht mehr; damit wären auch alle ressortbezogenen finanziellen Aspekte "bereinigt"
- Kurz könnte (mit oder ohne Nehammer) im Rahmen des Reformprojektes "Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" (BVT) die Agenden des Heeres-Nachrichten- sowie des Abwehramtes, bislang beide dem BM für Landesverteidigung unterstellt, integrieren
Dazu kommt, als weiteres Argument, dass Balthasar die Stabsstelle für Staatsorganisation und Verwaltungsrecht im Bundeskanzleramt leitet und dort u.a. mit der "Erstattung von wissenschaftlichen Stellungnahmen und Erstellung wissenschaftlicher Studien zu Rechtsfragen der Staatsorganisation- und des Verwaltungsrechts" betraut ist.
Sie stellen sich vielleicht die Frage, warum ich "wenn auch nur vorübergehend" schreibe. Reform hin oder her; solange Bundesminister/innen ihre eigenen Ministerien nicht "im Griff" haben, nicht wissen, was dort in zentralen Bereichen geschieht, ändert auch eine Verschiebung von Kompetenzen nichts. Die Übertragung von Agenden mag zwar, oberflächlich betrachtet, einen kurzfristigen, kosmetischen, Effekt haben; mittel- und langfristig ändert das aber am eigentlichen Problem recht wenig. Ministrabel zu sein bedeutet, zumindest für mich, nicht, dem Kanzler zu dienen oder möglichst gut "zu Gesicht" zu stehen, in dessen Schatten sprichwörtlich ein "Schattendasein" zu führen. Eine tatsächlich ministrable Persönlichkeit hat keinen Anlass, ihr Licht unter "den Scheffel" zu stellen. Das hat nur jemand nötig, der nicht in der Lage ist, aus eigenem Antrieb, gereifter Erfahrung, gepaart mit entsprechender Expertise, Sinnstiftendes für diejenigen zu schaffen, denen er tatsächlich verpflichtet ist: Dem Volk.
Unabhängig von diesen Überlegungen ist bislang noch niemand auf die Idee gekommen, die zweifelsfrei vorhandenen Probleme in beiden Ministerien, die nicht nur die Ministerebene betreffen, ganz anders zu lösen. Kosten- und budgetschonend, verwaltungsmäßig effektiv und kurzfristig umsetzbar. Scheinbar sind solche "Denkmechanismen" nicht systemimmanent genug, um in den Köpfen irgendwelcher Entscheidungsträger auftreten zu können. Das hat weniger mit fehlender Intelligenz oder mangelndem Reformwillen zu tun, sondern ist leider auf en vogue gewordene Indoktrinationen zurückzuführen: Kein Widerspruch und keine Diskussion.
So sinnvoll eine "Anregung" sein mag: Ist sie nicht von uns (der momentanen Regierung), kann sie nicht gut sein.
In den Salzburger Nachrichten habe ich in den letzten Tagen in einer Ausgabe gelesen, Österreich benötige zur Lösung der vorhandenen Probleme die "klügsten" oder "besten" Köpfe". Dieser Ansicht kann ich durchaus etwas Positives abgewinnen. Bis die derzeitige Bundesregierung allerdings evaluiert haben wird, wie diese Personen zu finden seien, wird nicht nur viel Zeit, sondern auch das Interesse der "Besten" vergangen sein.
Daher erspare ich es mir (und damit anderen), die zuvor angesprochene "einfache" Bereinigung ressortübergreifender "Baustellen" näher zu beschreiben. Am Ende des Tages werden es Kurz & Co, wie immer, besser wissen; solange ihnen die entsprechenden Mehrheiten vom Volk, der Masse, beschafft werden, haben sie keine Veranlassung, an ihrem Führungsstil etwas zu ändern, mag er falsch oder richtig, verwerflich oder vortrefflich, dumm oder klug sein. Insofern erscheint es sogar ratsam, vom Gewohnten keinesfalls abzuweichen: "Gewohnheit ist die Intelligenz der Masse" - und die sorgt immerhin für die politisch relevanten Mehrheiten.
Chr. Brugger
27.01.2021