Bildung in Österreich

09.08.2022

Wer sich mit dem Thema "Bildungspolitik" in Österreich beschäftigen will und dabei, so wie ich, der kruden Idee verfällt, dafür die Homepage des Bundesministeriums "Bildung, Wissenschaft und Forschung" zu verwenden, wird nach wenigen Minuten desillusioniert "das Handtuch werfen".

Quelle: https://www.bmbwf.gv.at/Ministerium/Presse/20210612.html#imageURL

Nun habe ich vermutlich, im Unterschied zu den meisten anderen Heimatseitenbesuchern, den Vorteil, dass meine Kinder ihre Pflichtschulausbildung hinter sich und so zumindest das Gröbste relativ unbeschadet überstanden haben; mein Mitgefühl gilt all jenen, deren Kinder weiterhin dem Schulpflichtgesetz 1985 unterliegen - für diese habe ich daher den Versuch unternommen, Licht in mein eigenes Dunkel, was den aktuellen Stand der Dinge in Sachen "Zentrale Reformen und Projekte" betrifft, zu bringen.

Dabei habe ich mich vor allem mit dem Thema "Digitale Schule" beschäftigt - immerhin ein mit 250 Millionen Euro "forciertes" Projekt der "gesamten Bundesregierung". Damit soll, so ist in Erfahrung zu bringen, sichergestellt werden, "dass der Innovationsschub konsequent und nachhaltig fortgesetzt wird und innovative Lehr- und Lernformate im Bildungssystem breitflächig implementiert werden".

Die hehre Vision dabei: "Im Zentrum der Digitalen Schule steht der junge Mensch, der mit Freude und Motivation lernt, um selbstbestimmt seine Zukunft meistern zu können. Ausgehend von einem humanistischen Menschenbild bildet die Beherrschung der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und mathematische Grundkenntnisse das Fundament der Schulbildung. Ganzheitliches Allgemeinwissen und die Beherrschung von Fremdsprachen gehören zur unverzichtbaren Basis, die in den jeweiligen Schulstufen verlässlich vermittelt werden muss.

Der Aufbau digitaler Kompetenzen bedeutet in einem umfassenden Verständnis das Lernen mit digitalen Medien, das Lernen über digitale Medien und die Schaffung eines Grundverständnisses dafür, wie die digitale Welt funktioniert. Metawissen über Digitalisierung ist unbedingt notwendig, weil diese sich ständig weiterentwickelt und unsere Gesellschaft durchdringt und verändert. Zudem bietet der Aufbau von digitalen, medienbezogenen und informatischen Grundkompetenzen die Chance, analytisches, logisches und abstrahierendes Denken fächerübergreifend zu fördern."

Bei der Lektüre dieser "Vision" sind mir vor allem zwei Begriffe aufgefallen: Das "humanistische Menschenbild" als Ausgangsbasis sowie das "Metawissen" über Digitalisierung.

Quelle: https://www.cjd.de/unsere-themen/bildung-und-begabung/auf-dem-weg-ins-digitale-klassenzimmer/

Was bedeuten diese beiden Begriffe also bezogen auf die "Zukunftsvorstellung" des Ministeriums?

Es wäre wohl vermessen zu verlangen, jemand im Bildungsministerium möge das "humanistische Menschenbild" näher spezifizieren, gar definieren; im (gedachten) Kontext hat es allerdings den Anschein, als ginge man am Minoritenplatz von einem "Menschenbild" im Sinne Ciceros aus, der das klassische Ideal der "Humanitas" mit "Bildung" verschmelzen ließ, wodurch die Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation auf hohem Niveau zum Bildungsideal wurde. Dazu gesellte sich - im Sinne philosophischer Charakterbildung - die Aneignung von Tugenden wie Milde, Gerechtigkeit und Würde.

Wenn man nachfolgend versucht herauszufinden, wie das Ministerium gedenkt, die Ziele, die mit dem "humanistischen Menschenbild" zwangsläufig verbunden sind, zu erreichen, sucht man vergebens: Scheinbar reicht den Verantwortlichen ein "Schlagwort" oder "Slogan" um darauf, Schritt für Schritt, die "Ziele" einer "digitalen Schule" zu konstruieren, deren "sukzessive Umsetzung" anhand eines "8-Punkte-Planes" erfolgen soll.

Das Ministerium übersieht dabei offensichtlich, dass bereits seine "Vision" rein begrifflich nur eine Zielvorstellung darstellt, folglich die "Ziele" (einer "digitalen Schule") nur Ziele oder Unterziele eines anderen Zieles (eben der "Vision") sein können.

Man hätte es sich im zuständigen Bundesministerium auch wesentlich einfacher machen können: Wir pfeifen auf ein "humanistisches Menschenbild" und frönen ab sofort dem digitalen Schulwahnsinn. Das Beherrschen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und mathematische Grundkenntnisse ist nicht länger Bestandteil der Schulbildung - Basta!

Das würde jeder verstehen und entspräche dem, was der "8-Punke-Plan" bewirken soll bzw. das Bundesministerium tatsächlich beabsichtigt.

Quelle: https://www.cjd.de/unsere-themen/bildung-und-begabung/auf-dem-weg-ins-digitale-klassenzimmer/

In dieses perverse Bild eines fehlinterpretierten Verständnisses von "humanistischer Bildung" fügt sich der Begriff "Metawissen über Digitalisierung" nahtlos ein; eines ist vollkommen klar:

Metawissen klingt megacool!

Das Problem dabei: Was soll "Metawissen über Digitalisierung" bedeuten, zumal es ja, nach Ansicht des Ministeriums, für jeden Schüler unbedingt notwendig ist.

Gemeint dürfte (abgeleitet aus dem Griechischen) wohl sein, dass sich Schüler, gleichsam auf einer höheren Ebene, Wissen über Digitalisierung aneignen sollten.

Man könnte sich daher konsequenterweise die Frage stellen, warum Schüler auf einer "Meta-Ebene" unbedingt etwas über die Transformation analoger Informationen wissen müssen, um sinnvoll leben zu können.

Genügt nicht das Wissen um die Vor- und Nachteile neuer technischer Möglichkeiten oder Entwicklungen, der sinnvolle Umgang damit bzw. vor allem das Erkennen können der damit verbundenen Gefahren?

Das Ministerium bleibt, nicht unerwartet, auch eine Antwort auf die Frage schuldig, was es denn unter "Digitalisierung der Schule" an sich versteht oder verstanden wissen will; gar vom Schaffen eines Grundverständnisses dafür, wie die "digitalen Welt" funktioniert, ist die Rede.

Allein: Was bedeutet "digitale Welt" überhaupt? Ist das nicht auch eine reine Fantasiebezeichnung für etwas, das niemand zu beschreiben vermag?

Jedenfalls wird Wikipedia-Wissen nicht ausreichen, um den berechtigten Ansprüchen der SchülerInnen gerecht zu werden bzw. diesen zu ermöglichen, sich mit ihren eigenen Anlagen und Bedürfnissen auseinander zu setzen und selbst darüber zu entscheiden, wie sie (undefinierte) Lernziele erreichen wollen.

Die ministerielle Vision erweckt den Anschein, als handle es sich bei "Digitalisierung" um das Nonplusultra unserer Gesellschaft, ohne deren "Kenntnis" man nicht mehr lebensfähig wäre; gleichzeitig hält man ausdrücklich fest, dass Digitalisierung als "Veränderungstreiber für bessere Didaktik und nie als Selbstzweck" verstanden werden soll - wofür sollen diese "wissenschaftlichen Lerninhalte" dann aber flächendeckend vereinheitlich werden?

Das wiederum widerspricht nicht nur diametral dem zuvor skizzierten "humanistischen Weltbild" sondern auch dem ministeriell-visionären Paradigma, Menschen seien verschieden und hätten unterschiedliche Lernstile.

Die Zwangsverpflichtung von Schülern zur Verwendung "digitaler Endgeräte" stellt zudem nicht nur eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheit jedes einzelnen Anwendungsverpflichteten dar, sondern erhöht parallel dazu das Risiko einer Computer- und Internetabhängigkeit.

Für alle an der österreichischen Bildungspolitik Interessierten darf ich an dieser Stelle festhalten, dass man sich, es sei denn man wäre masochistisch veranlagt, die weitere Lektüre von Inhalten im Zusammenhang mit den Themen "Schule", insbesondere auch dem Thema "Österreichische Jugendstrategie" ersparen sollte. Sinnvolles ist dort nicht auffindbar; wer mir nicht traut, dem empfehle ich das Kapitel "Sicherung von Grundkompetenzen" samt Ausführungen zu "Reality Check" und den "European Youth Goals", insbesondere die Dokumentation "8. Forum Jugendstrategie".

Wahlweise kann ich noch zur Lektüre des Kapitels "Qualitätsentwicklung und Bildungsforschung" anraten; dort vor allem die Ausführungen zur "individuellen Kompetenzmessung PLUS" samt sinnstiftenden "Anregungen zur Ergebnisreflexion und Gesprächsführung".

Vor allem das Lehrpersonal wird mit diesem Blödsinn viel Freude und Arbeit haben; die Unterrichtenden haben es - im Unterschied zu den Schülern - etwas einfacher, bietet doch die Heimatseite des Ministeriums in der Rubrik "Schulpraxis" auch ein Schmankerl: "Termine, Ferien, Veranstaltungshinweise".

Dort können die LehrerInnen in Erfahrung bringen, dass sie auch im kommenden Schuljahr ca. 15 Wochen bezahlten Urlaub konsumieren dürfen und dadurch jedenfalls nicht Gefahr laufen, dass die Aussage des Wiener Exbürgermeisters Häupl ("Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich am Dienstagmittag fertigt; dann kann ich nach Hause gehen") für sie keine Geltung mehr hätte.

Wer jetzt noch immer nicht genug hat kann davon ausgehen, dass seine Kinder gute Chancen haben, sich im heimischen Bildungssystem geborgen und gut aufgehoben fühlen; wie eingangs erwähnt bin ich froh und stolz zugleich, dass meine Kinder, jedes auf seine Weise, diesem Bildungsschwachsinn (auch dank Covid-19 und damit verbundener Distanz zur Schule) unbeschadet entfliehen konnten.

Chr. Brugger

09.08.2022