Bachmannpreis 2023
"Die Tage der deutschsprachigen Literatur" liegen hinter uns, der Hauptpreis ist längst vergeben: Valeria Gordeev wurde die Ehre zuteil, mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet zu werden.
Quelle: https://www.buchjournal.de/literaturnews/diese-autorinnen-sind-2023-dabei-47529
Ein "großartiger", "sehr komplexer" wie "kolossaler" Text sei es gewesen, der die siebenköpfige Jury zu ihrer Entscheidung bewogen habe (ist auf der Homepage des NDR zu lesen).
Nach fundierte(re)n Rezensionen sucht man allerdings vergebens; es scheint mir, als sei niemand mehr bereit, sich zumindest mit dem Text der Siegerin auseinanderzusetzen; nicht erst seit dem Jahr 2019, als am 26.06. auf "Zeit Online" unter dem Titel "Der Klagenfurtblues" zu lesen war, solch ein "Wettlesen" sei längst aus der Mode bzw. "in die Jahre" gekommen und folglich obsolet, wird laufend moniert, es handle sich bei dieser "Leserei" bloß um einen Dichterstreit unter Nachwuchs- oder Möchtegernautoren.
Quelle: https://ww.vn.at/kultur/2023/07/02/bachmann-preis-wird-vergeben-2.vn
"Die" zentrale Frage des erwähnten Zeitartikels war aber eine andere: "Die Frage ist aber dennoch: Was bringt ein Klagenfurt-Auftritt heute noch im Sinne einer Aufmerksamkeitsökonomie und im Sinne eines Resonanzraums? Früher hatten die Autoren nichts zu verlieren, heute gibt es kaum noch etwas zu gewinnen. Die Zumutung, sich und das eigene Werk der öffentlichen Beurteilung auszusetzen, steht heute in einem weniger vorteilhaften Verhältnis zum Nutzen als in Zeiten, in denen der Preis noch eine über die Branche hinausreichende Strahl- und Wirkungskraft hatte. Nicht wenige Verlage raten ihren Autoren davon ab, nach Klagenfurt zu fahren: Der Ruhm, den es hier zu ernten gibt, ist kurz; die Schmach dagegen ewig."
Den lebenden Beweis einer "immerwährenden Schmach" durfte bzw. musste 1984 der mittlerweile verstorbene und erst posthum zum "Kultautor" erhöhte Jörg Fauser ertragen; was auf "Zeit Online" mit "Sündenfall" umschrieben wird, war in Wirklichkeit eine öffentliche Hinrichtung perfidester Art; Reich-Ranickis sinnbefreit-laustarkes Hinschlagen auf einen, der sich nicht wehren konnte – die eifersüchtig-absurd anmutende Abrechnung mit einem Genie; just von einem, der selbst kaum in der Lage war, einen vernünftigen Satz zu Papier zu bringen von dem man behaupten könnte, er hätte etwas mit Literatur zu tun; demütigen & verachten konnte der "tote Kritiker", schreiben hingegen war seine Sache nicht.
Quelle: https://newsv2.orf.at/stories/2130427/
Mit Fauser & Reich-Ranicki schließt sich der "bachmannsche" Kreis: Die verstorbenen Protagonisten des Jahres 1984 waren, wenn es um die Gruppe 47 ging, die dem Klagenfurter Literaturwettbewerb als Vorbild diente, ebenso geteilter Ansicht; "Die Gruppe 47. Mit dem, was diese Leute schrieben, hatte ich herzlich wenig am Hut" ließ Fauser wissen, wohingegen der Kritiker meinte, "die Tagungen der Gruppe 47 vereinten die besten Schriftsteller und intelligentesten Kritiker".
Eine verspätete Genugtuung, die ihm vermutlich nichts bedeutet hätte, erfuhr der "Rohstofflieferant" durch einen durchaus als prominent zu bezeichnenden Kritiker des "Literaturpapstes": Es war dem von Reich-Ranicki oft gescholtenen Martin Walser vorbehalten, den "Tod eines Kritikers" zu inszenieren und – allen Widerständen zum Trotz – zu "exekutieren", wie Frank Dieter Schirrmacher (als damaliger Mitherausgeber der FAZ) das in einem offenen Brief an den Autor bezeichnet hat; demnach wäre es "hier nicht um die Ermordung des Kritikers als Kritiker" gegangen, sondern "um den Mord an einem Juden".
Quelle: https://www.stern.de/kultur/tv/momente-der-tv-geschichte--reich-ranicki-fetzt-sich-mit-loeffler-9421254.html
Wie auch immer: Mit derlei Unbill muss Valeria Gordeev nicht rechnen; Reich-Ranicki lebt nicht mehr, die Wettbewerbsbeiträge der heurigen Autoren interessieren kaum jemanden und die sieben Jurymitglieder waren ihr am Wörthersee recht wohl gesonnen; allein: Mich hat der Text, trotz mehrfachen Lesens, nicht überzeugt, sondern eher gelangweilt; ohne Fauser & Walser hätte ich dazu reichlich wenig zu schreiben gewusst; ein studierender, zwanghafter Putzer mit Minzöl als Markenzeichen – putzig; wie soll ich mich allerdings mit "chlorhaltigem Beistand, Spinnen, Fett und Staub" an einen "Spalt wagen"?
Handwerklich gut beschriebene Banalitäten – allerdings ohne Esprit; triviale Putz-Fummelei mit einem wirkungs-, weil sinnlosen "Nazi raus"; ohrenzerstörende Hakenkreuze als ideales Werkzeug?
Ein gestilltes "Bedürfnisses nach einer heilen Welt, in der alles in Ordnung ist" (wie Jurymitglied Brigitte Schwens-Harrant vermeint) erschließt sich mir nicht; geht es nach der Juryvorsitzenden, Insa Wilke, deren Protegé die Gewinnerin ist, handelt der Text "aber nicht nur vom Putzen, sondern auch über Kriege"; Putzflaschen werden, zumindest in dem mir vorliegenden Text, nirgendwo als "Truppe" bezeichnet – ein bewusster Irrtum Wilkes, um dem Werk der Gordeev zu etwas mehr "Tiefe" zu verhelfen?
"Man könne einen neurotischen Menschen lesen, aber auch einen Menschen, der sich durch Hingabe und Sorgfalt auszeichne" richtet Wilke auch noch aus, "der Kontrapunkt sei die Hingabe der Hauptfigur, das gebe dem Text eine Wärme"; allein, von einer Hingabe im klassischen Verständnis, also bezogen auf einen "höchsten persönlichen Wert" ist weit und breit nichts zu lesen und von "Wärme" ist ebenso wenig zu spüren; dazu mangelt es dem Text auch an der von Wilke insistierten "Komik".
Und: Mit Pandemie-Erfahrungen hat dieser "Wettbewerbsbeitrag" nicht im Entferntesten etwas zu tun.
Wie bereits erwähnt, sind Rezensionen zu den Texten beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis rar; dafür macht das Gerücht die Runde, die Juryvorsitzende Insa Wilke hätte "aus taktischen Gründen bewusst nicht für den besten Text" gestimmt (nachzulesen unter https:// www.literaturcafe.de/taktisches-spiel-beim-bachmannpreis-stimmte-insa-wilke-bewusst-nicht-fuer-den-besten-text/); dabei wurde noch im Mai 2023 öffentlich verlautbart, dass es "keine taktischen Abstimmereien mehr gibt" (https://kurier.at/kultur/bachmann-preis-es-gibt-keine-taktischen-abstimmereien-mehr/402461186):
Die Ermittlung der Preisträger erfolge demnach "heuer nach einem neuen Modus: "Zu Beginn der Preisvergabe am Sonntag werden die Jurymitglieder live ihre Wertungspunkte abgeben. Der Justiziar übernimmt die Aufgabe, diese Abstimmungsergebnisse zu addieren und erstellt daraus die Preisträgerliste des Bewerbes, die sukzessive beginnend mit dem 3sat-Preis bekannt gegeben wird", erläuterte Ebner. "Damit bleibt die Spannung um die finale Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises bis zum Schluss der Veranstaltung erhalten. Und es gibt auch keine taktischen Abstimmereien mehr."
Wer es allerdings in Kauf nimmt alle Texte zu lesen, kann sich selbst einen Reim darauf machen, ob das eine oder andere Jurymitglied nicht doch taktiert und damit das Endergebnis des Literaturwettbewerbes manipuliert bzw. zugunsten eines eigenen Protegés beeinflusst hat – denn, die am Literaturwettbewerb teilnehmenden Autoren werden immer noch von den Mitgliedern der Jury "eingeladen" bzw. von diesen bestimmt; dabei könnte das Hemd oder die Bluse dem einen oder der anderen allenfalls doch etwas näher sein als Rock oder Hose; das öffentlich gewordene Abstimmungsergebnis lässt zumindest Spielraum für Spekulationen …
Chr. Brugger
11/07/2023