Außenpolitik auf Österreichisch

15.05.2021

"Nie zuvor haben diese drei Fahnen am Dach des Bundeskanzleramts im Einklang im Winde geweht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ließ die israelische Flagge am Donnerstag hissen - als "Zeichen der Solidarität mit den Frauen, Kindern und Männern, die in Israel täglich in Luftschutzbunkern Schutz suchen müssen" liest man in "Die Presse" 14.05.2021.

Auf www.oe24.at wird die Haltung des österreichischen Außenministers wiedergegeben: "Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) betonte, für die "über tausend Raketen, die bisher von der Hamas und anderen Terrorgruppen aus Gaza auf Israel abgeschossen wurden", gebe es keine Rechtfertigung: "Wir stehen unerschütterlich hinter Israels Sicherheit. Ich bin zutiefst schockiert über Berichte von Übergriffen auf jüdische und arabische Bürger in Israel. Derartige Gewaltausbrüche sind umgehend zu stoppen. Die Übergriffe sind durch nichts zu rechtfertigen. Österreich steht voll und ganz hinter Israel und als Zeichen dafür weht die Flagge Israels auf unserem Haus."

In einer Pressekonferenz vom 14.05.2021 "legt Kurz noch nach": " ... dass wir diese terroristischen Raketenangriffe auf Israel auf Schärfste verurteilen; der Staat Israel hat ein Recht, sich hier selbst zu verteidigen und ich hoffe sehr, dass es hier zu einer Deeskalation kommt und auf diese Gewalt gegen Israel verzichtet wird und diese Aktionen und Angriffe auf Israel mit sofortiger Wirkung eingestellt werden; alles andere ist ein Verbrechen gegenüber den Menschen in Israel, ist aber auch eine massive Belastung für die ohnehin angespannte Region".

Auf die Frage, warum es in dieser "Region" immer wieder zu wechselseitigen(!) terroristischen bzw. zumindest terroristisch anmutenden, tödlichen, Angriffen (vor allem auf die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten) kommt, bleiben Kurz und Schallenberg, nicht unerwartet, jede Antwort schuldig.

Die momentane Haltung des "offiziellen" Österreichs zum Konflikt im nahen Osten, der im Wesentlichen auf die seit den Sechzigerjahren schwelenden, reziproken wie andauernden Besitzansprüche "Israels" und "Palästinas" zurückzuführen ist, hat sich, offensichtlich, wieder einmal geändert.

Noch im Mai des Vorjahres hat sich Außenminister Schallenberg, als Reaktion auf einen "geharnischten" Brief des palästinensischen Außenministers Riad Maliki an ihn (nachzulesen auf https://www.palestinemission.at/single-post/2020/05/22/brief-vom-palästinensischen-außenminister-riad-malki-an-den-österreichischen-außenminister), zur österreichischen Solidarität gegenüber Israel vollkommen anders geäußert: Der Außenminister erklärte in dem Interview, warum Österreich einen gemeinsamen Aufruf der EU-Länder an Israel zum Abrücken von Annexions-Plänen im Westjordanland verhindert hatte. "Ich war der Meinung, dass es nicht der richtige Moment ist, die israelische Regierung am Tag der Angelobung mit einer expliziten Warnung vor der Annexion der Westbank zu begrüßen. Doch es gibt an der österreichischen Haltung zur Annexion keinen Zweifel, ich habe sie auch Israels Außenminister mitgeteilt. Die einseitige Ausdehnung von Territorium widerspricht dem internationalen Recht und zahlreichen Sicherheitsratsresolutionen seit 1967" meint oder vermeint Schallenberg am 29.05.2021 - man weiß es nicht so genau.

Am 16.05.2020 vertrat Schallenberg zur geplanten Annexion besetzter Gebiete durch Israel im Westjordanland die Ansicht, man begrüße es, dass es jetzt in Israel eine Regierung gäbe, man erst einmal die Hand ausstrecken und man Regierungen an ihren Taten messen, die Regierung Israels nicht vorverurteilen soll. Auf die Frage nach einer völkerrechtswidrigen Annexion wollte sich Schallenberg nicht einlassen!

Allein, man kann die chamäleonartig anmutenden, unberechenbaren schallenberg´schen Aussagen nicht richtig verorten. Kurz vor der Botschaft von Riad Mailiki haben sich die Außenminister von Ungarn und Österreich, Péter Szijártó und Alexander Schallenberg, gegen einen gemeinsamen Aufruf der EU an Israel, die Annexionspläne für das Westjordanland müssten umgehend verworfen werden, positioniert. Im März 2020 haben sich Szijártó und Schallenberg in einem Brief an den EU-Außenbeauftragten und Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Josep Borrell i Fontelles, sogar dafür eingesetzt, dass Jared Kushner, ein orthodoxer Jude, dessen Familie mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu bestens befreundet ist, den (äußerst dubiosen wie fragwürdigen) US-Friedensplan für Nahost in einem EU-Rat vorstellen dürfe. Einen Friedensplan, der nicht nur seinen Namen nicht verdient, vielmehr nur darauf abzielt, die völkerrechtswidrigen Annexionen Israels, insbesondere von Ostjerusalem, zu legalisieren, Frieden mit milliardenschweren Finanzierungen erkaufen zu wollen.

"Seit zu langer Zeit sind die Palästinenser in einem ineffizienten System der Vergangenheit gefangen. Unsere Vision 'Frieden durch Wohlstand' ist ein modernes System. Für eine bessere Zukunft. Es ist eine Vision, was mit Frieden möglich ist" tönte Kushner, Nahostbeauftragter der damaligen US-Regierung, bei seiner Hochglanzveranstaltung in der Hauptstadt des Königreiches Bahrein - und weiter: "Wohlstand und Wachstum für die Palästinenser sind nicht möglich ohne eine andauernde und gerechte politische Lösung des Konfliktes. Heute ist aber nicht der Tag für politische Fragen."

Wie diese "andauernde und gerechte politische Lösung des Konfliktes" aussehen könnte, vermochte Kushner allerdings nicht darstellen. Ein Grund für die beharrliche, US-amerikanische, Ignoranz der realen, in jeder Hinsicht destabilisierten, laufend in kriegerischen Auseinandersetzung mündenden, Verhältnisse vor Ort kann zweifelsfrei darin gefunden werden, dass die USA die einseitig-provokante, rechtswidrige, Annexion von Ostjerusalem (und Teilen des Westjordanlandes) durch Israel (Grundgesetz vom 30.07.1980 "Basic Law: Jerusalem, Capital of Israel", passed by the Knesset on the 17th Av, 5740 (30th July, 1980) and published in Sefer Ha-Chukkim No. 980 of the 23rd Av, 5740 (5th August, 1980), p. 186; the Bill and an Explanatory Note were published in Hatza'ot Chok No. 1464 of 5740, p. 287.) anerkannten und ihre Botschaft (unter Präsident Trump) in das "vereinte" Jerusalem verlegten "musste". Die Rechtsgrundlage dafür hatte der US-Kongress bereits am 23.05.1995 beschlossen ("Jerusalem Embassy Act"), von den Präsidenten Bill Clinton George W. Bush und Barak Obama jedoch nie umgesetzt.

Die unmittelbare Folge der trump´schen (Fehl-) Entscheidung: "Zu "Tagen des Zorns" hatten die Palästinenser aufgerufen, aus Anlass des 70. Jahrestags der Staatsgründung Israels und der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Sie begehen außerdem an diesem Dienstag den Nakba-Tag, an dem sie ihrer Flucht und Vertreibung aus dem heutigen israelischen Staatsgebiet gedenken. Schon am Montagmorgen, Stunden, ehe unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in Jerusalem die Feier für 800 geladene Gäste in der US-Botschaft stattfand, war klar, dass es ein blutiger Tag des Zorns werden sollte.

Im Gazastreifen blieben wegen eines Generalstreiks Geschäfte, Schulen und die Universitäten geschlossen. Zu dem Streik hatten alle politischen Fraktionen in dem Küstengebiet aufgerufen, einschließlich der dort herrschenden radikalislamischen Hamas. Jugendliche verbrannten schon am Morgen Reifen auf Kreuzungen als Protest gegen die Verlegung der US-Botschaft. Busse sammelten Menschen von den Straßen auf, über Moschee-Lautsprecher wurde zur Teilnahme an den Massenprotesten aufgerufen. Bis zu eine Million Menschen waren im Gazastreifen an der Grenze zu Israel zu Protesten erwartet worden. Israelischen Medien zufolge beteiligten sich zunächst etwa 35.000 Menschen an den Protesten.

Bis zum Abend stieg die Zahl der von der israelischen Armee erschossenen Palästinenser auf 58, etwa 2800 Menschen wurden nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde verletzt. Seit dem Gazakrieg 2014 hat es nicht mehr so viele Tote an einem Tag gegeben. Der palästinensische Gesundheitsminister Dschawad Awad warf Israel ein "Massaker an unbewaffneten Demonstranten" vor. Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri forderte seine Anhänger in einem Propaganda-Video zum Widerstand und zum Heiligen Krieg (Dschihad) auf.

Umgekehrt beschuldigte die israelische Armee die Palästinenser, "Gewalt in beispiellosem Ausmaß" eingesetzt zu haben. Drei Terrorzellen mit Schusswaffen hatten versucht, israelische Soldaten anzugreifen, sagte Militärsprecher Ronen Manelis Journalisten. Es seien Brandflaschen, Sprengsätze und Lenkdrachen mit Brandsätzen gegen die Israelis eingesetzt worden. Es habe Versuche gegeben, Soldaten zu entführen.

Schon nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump im Dezember, die Botschaft der Vereinigten Staaten nach Jerusalem zu verlegen, war es zu Protesten in den Palästinensergebieten gekommen, auch in deutschen Städten wurden israelische Flaggen verbrannt (https: www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/gaza-massenproteste-an-grenze-zu-israel-dutzende-tote-mindestens-2800-verletzte-li.12755).

(im Bild: die neue US-amerikanische Botschaft in Jerusalem)

Dass der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 487 vom 20.08.2080 das Jerusalemgesetz für nichtig erklärt hat, interessierte Trump und seinen Schwiegersohn Kushner nicht. Im Gegenteil: Jerusalem wurde als Hauptstadt Israel anerkannt.

Israels "Dank" dafür? Dutzende, erschossene Palästinenser, tausende Verletzte und: Der Innenhof der amerikanischen Botschaft wurde nach Jared Kushner, ein Kreisverkehr im Nahbereich der Botschaft erhielt die Bezeichnung "United States Square - zu Ehren von Präsident Donald Trump".

(im Bild: der "United States Square - zu Ehren von Präsident Donald Trump")

Der, äußerst fragwürdige, österreichische Beitrag zur Eröffnung der US-Botschaft: Die Teilnahme des Botschafters Martin Weiss an der Auftaktveranstaltung im israelischen Außenministerium. Außer Ungarn, Tschechien, Rumänien und Österreich sind alle anderen EU-Staaten diesem suspekten Schauspiel ganz bewusst ferngeblieben. Weiss meinte dazu sinngemäß, man (gemeint ist wohl das offizielle Österreich) verstünde, dass sich ganz Israel über die Verlegung der US-Botschaft freut. Man könne nicht so tun, als wäre die Präsenz Israels in Jerusalem (gemeint ist wohl das vereinte Jerusalem im Sinne israelischen Verständnisses) eine bloß vorübergehende. Die Teilnahme sei ein Akt diplomatischer Höflichkeit gewesen, man solle nicht päpstlicher sein als der Papst.

Für einen EU-Experten im Außenministerium Israels war der Auftritt von Weiss erfreulich; "wäre er auch zur Eröffnung gekommen, hätte diese Regierung ihren FPÖ-Boykott noch einmal überdenken müssen".

Dass es dazu nicht gekommen ist, hat der israelische Außenamtssprecher Emanuel Nahshon im Dezember 2018 einmal mehr bestätigt: "Das ist keine Marotte. Wir haben keinerlei Kontakt mit gewählten Amtsträgern der FPÖ oder Amtsträgern, die mit der FPÖ verbunden sind".

Nun also weht, wie eingangs erwähnt, am Dach des Kanzleramtes die Flagge Israels, einem skurrilen Symbol der Solidarität zu Israel.

Israel bislang von 164 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anerkannt; im Falle des Staates Palästina trifft dies auf 138 Staaten zu. Unter anderen verweigern beispielsweise Österreich und Deutschland Palästina die Anerkennung der staatlichen Eigenständigkeit. Das ändert aber, selbst vor dem Hintergrund der nach wie vor anhaltenden Diskussion darüber, ab wann ein Staat ein Staat sei, als solcher zu existieren beginne, nichts. Sowohl Israel als auch Palästina sind Staaten; ob man sie nun anerkennt oder nicht. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch für Republik Kosovo oder die Türkische Republik Nordzypern, die zwar nur von der Türkei anerkannt wird, dessen ungeachtet aber seit mehr als 35 Jahren relativ unabhängig Bestand hat.

Israel ist zwar seit 1949 auch Mitglied der Vereinten Nationen, verweigert sich aber, von Anbeginn an (UN-Resolution 242 vom 22. November 1967) beharrlich und bis heute den Resolutionen des Sicherheitsrates. Dies gilt insbesondere auch für die Resolution 476 vom 30.06.1980 (Aufforderung an Israel, die Besetzung der seit 1967 besetzten Gebiete, einschließlich Jerusalem, zu beenden und alles zu unterlassen, was den "Charakter oder Status von der heiligen Stadt" verändert) sowie die Resolution 1515 vom 19.11.2003, in der erneut verlangt wird, dass alle Gewalthandlungen, namentlich alle Akte des Terrorismus, der Provokation, der Aufwiegelung und der Zerstörung, sofort eingestellt werden.

Auch die Resolution 2334 vom 23.12.2016 kümmert Israel scheinbar nicht; dort wird unmissverständlich u.a. Folgendes festgehalten:

  • Verurteilung aller Maßnahmen, die darauf abzielen, die demografische Zusammensetzung, den Charakter und den Status des seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiets, einschließlich Ost-Jerusalems, zu ändern, darunter der Bau und die Ausweitung von Siedlungen, die Überführung israelischer Siedler, die Beschlagnahme von Land, die Zerstörung von Wohnhäusern und die Vertreibung palästinensischer Zivilpersonen, unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und die einschlägigen Resolutionen.
  • Israel verstoße gegen das humanitäre Völkerrecht und die einschlägigen Resolutionen.
  • Die anhaltende israelische Siedlungstätigkeit gefährde ernsthaft die Tragfähigkeit der Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage der Linien von 1967.
  • Israel wird verpflichtet, jegliche Siedlungstätigkeit, einschließlich des "natürlichen Wachstums" einzufrieren und alle seit März 2001 errichteten Siedlungsaußenposten abzubauen.
  • Die Errichtung von Siedlungen in dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalems, durch Israel besitzt keine rechtliche Gültigkeit und stellt einen flagranten Verstoß gegen das Völkerrecht und ein ernstes Hindernis für die Herbeiführung der Zwei-Staaten-Lösung und eines gerechten, dauerhaften und umfassenden Friedens dar.
  • Israel wird aufgefordert, alle Siedlungstätigkeiten im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalems, sofort vollständig einzustellen und alle seine diesbezüglichen rechtlichen Verpflichtungen uneingeschränkt zu achten.

Wenn sich Kurz und Schallenberg nun bemüßigt fühlen, sich mit Israel zu solidarisieren, exponieren sie sich zwangsläufig konsequenter Weise in zweierlei Hinsicht. Einerseits stellen sie sich eindeutig gegen die internationale Staatengemeinschaft der "Vereinten Nationen", respektive gegen den Sicherheitsrat. Andererseits goutieren sie das israelische Treiben im Nahen Osten, die beharrliche Weigerung Israels, Resolutionen des Sicherheitsrates zu befolgen, das vom Sicherheitsrat mehrfach monierte terroristische Verhalten des Staates am östlichen Mittelmeer, die beharrliche Expansions- und Bautätigkeit auf den palästinensischen Autonomiegebieten sowie die Vertreibung palästinensischer Familien aus Ostjerusalem und dem Westjordanland.

(im Bild: neu erbaute Jüdische Siedlung in Ostjerusalem, 2019)

Jetzt kann man von Kurz nicht unbedingt erwarten, dass dieser, auch angesichts seines fragwürdig-freundschaftlichen Verhältnisses zu Benjamin Netanjahu, in der Lage wäre einzuschätzen, was es bedeutet, im Nahostkonflikt einfältig mit einer der beiden betroffenen Parteien unverhohlen und offen zu sympathisieren; Schallenberg aber wären rudimentäre Sachkenntnisse, zumindest ab der Konferenz von Évian, zuzutrauen gewesen. Mitnichten: "Österreich steht voll und ganz hinter Israel", so Schallenberg. Andererseits hätte man spätestens Ende Mai 2021 erkennen müssen, was Schallenberg damit gemeint hat, wenn er bestätigt, dass sich die österreichische Linie zugunsten Israels geändert habe. "Das soll sich im Regierungsprogramm widerspiegeln, das eine klare Sprache zur historischen Verantwortung Österreichs für Israel enthält. Ich finde das sehr gut." Im Regierungsprogramm "Aus Verantwortung für Österreich" liest sich das so: "Der Staat Israel soll in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen in Frieden neben einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat leben können."

Wenn Schallenberg das tatsächlich ernst gemeint hat, verkennt er, dass das unsäglich verantwortungslose, terroristische und kriegerische Verhalten Israel absolut nichts mit der historischen Verantwortung Österreichs für Israel zu tun hat. Darüber hinaus müssten Kurz und Schallenberg Israel vielmehr dazu drängen, sich, nach beinahe 45 Jahren, an die anerkannten Grenzen zu erinnern anstatt sich Israel auf peinlich-liederliche Art als "Verbündeter" aufzudrängen.

Kurz sollte Netanjahu anlässlich von Telefonaten, Videokonferenzen oder Staatsbesuchen beispielsweise "ins Gewissen redend" auffordern, Israel solle beispielsweise seine, mehrfach angekündigten, Annexionsansprüche auf das Jordantal ad acta legen und nicht noch einmal, in aufreizend provokanter Weise, Regierungssitzungen auf fremdem Staatsgebiet abhalten.

So aber haben die nationalen, wie internationalen Reaktionen auf das Hissen der israelischen Flagge nicht lange auf sich warten lassen. Dass das die innerstaatliche politische Opposition missbilligt, ist nicht weiter verwunderlich, aber durchaus verständlich. Beachtenswert und durchaus zutreffend sind aber vor allem die Aussagen namhafter Wissenschaftler, die sich zur "Flaggenparade" geäußert haben: "Anstatt in der Tradition der österreichischen Außenpolitik vermittelnd tätig zu werden, lässt der österreichische Kanzler Kurz am Bundeskanzleramt inmitten eines Krieges einfach die Fahne Israels hissen. Auch hier will jemand wohl bewusst Konflikte schüren, um dann, wenn sich davon wer provoziert fühlt, auf die bösen antisemitischen Muslime zeigen zu können. Für die österreichische Außenpolitik ist damit jedenfalls ein neuer Tiefpunkt erreicht", schrieb der Nahost-Experte Thomas Schmidinger auf Facebook. Der Politikwissenschaftler und Experte für Internationale Beziehungen, Gerhard Mangott, twitterte: "Ich bin solidarisch mit den Israelis, die in Bunkern ausharren müssen. Ich bin solidarisch mit den Palästinensern, deren Häuser zerbombt werden. Ich bin solidarisch mit den Gerechten auf beiden Seiten. Aber ich hisse keine Fahne!"

"Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif hat einen für Samstag geplanten Besuch in Wien bei ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg abgesagt. Grund dafür sei, dass das Bundeskanzleramt und das Außenministerium am Freitag angesichts der jüngsten Entwicklung im Nahost-Konflikt zwischen Israel und der Hamas die israelische Fahne gehisst hatten", liest man auf www.orf.at. Auch der Präsident der Republik Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, hat das Vorgehen von Kurz und Schallenberg heftig kritisiert. Das wird die beiden nicht weiter interessieren. Erdoğan wird immer nur dann "hofiert" und mit milliardenschweren Euro-Paketen bei Laune gehalten, wenn man jemanden benötigt, der die "Migration aus dem Osten" nach Europa verhindern und damit das außenpolitische Dilemma bzw. "Multiorganversagen" der Europäischen Union wieder einmal kaschieren soll.

So haben es Kurz und Schallenberg mühelos geschafft, in der breiten Öffentlichkeit in einem schrägen Licht zu erscheinen. Es handelt sich tatsächlich um einen (weiteren) "Tiefpunkt für die österreichische Außenpolitik", um einen Affront gegenüber Palästina und der internationalen Staatengemeinschaft. Statt sich um Deeskalation zu bemühen wurde Öl ins Feuer gegossen - eine beachtenswerte Leistung, auf die Kanzler und Außenminister (zumindest aus ihrer verkürzten Sicht) durchaus stolz sein können.

Ehe sich Kurz und Schallenberg im Nahostkonflikt das nächste Mal zu weit zum Fenster hinauslehnen, sei den beiden zumindest die Lektüre des "Amnesty International Report Israel und besetzte Gebiete" vom 04.04.2021 empfohlen. Dort können sie aus objektiver Sicht betrachtet nachlesen, wie es um das Verhalten Israels tatsächlich bestellt ist. Vielleicht ist das Anlass genug, die Flagge Israels - möglichst stillschweigend und rasch - wieder vom Dach des Kanzleramtes zu entfernen und zumindest solcherart einen winzigen Beitrag zur Deeskalation zu leisten.

Eines sollten sich Kurz und Schallenberg noch ins Stammbuch schreiben (lassen). Wenn man sich etwas völkerrechtswidrig, auf terroristisch-militante Art und Weise, unrechtermäßig und gegen den ausdrücklichen Willen der Internationalen Staatengemeinschaft sowie die berechtigten, geschützten, Interessen eines anderen Staates angeeignet hat, hat man kein Recht, sich dort, in welcher Form auch immer auch noch zu verteidigen; selbst dann nicht, wenn diese "Ermächtigung" durch die, ach so bedeutsame, österreichische Außenpolitik vom Dach eines hiesigen Regierungsgebäudes in die Welt hinausposaunt wird. Die beiden Protagonisten orientierungsloser und fehlgeleiteter Außenpolitik mögen sich bei Zeiten auch daran erinnern, dass sich Gewalt, terroristische Akte, kriegerisches Verhalten, Zerstörungswut und Annexionsgelüste, trotz massivem internationalem Widerspruch, wie ein roter Faden durch die Geschichte des Staates Israel zieht, mit dem man offenkundig allzu sehr verwoben ist. Aber auch das hätte mit der historischen Verantwortung Österreichs nichts zu tun.

Daneben könnte man das "Duo Infernale - Zwei Profis ohne Plan" daran erinnern, mit welchem Einfallsreichtum die Europäische Union (mit Zustimmung Österreichs), anlässlich der Annexion der Krim ,Sanktionen gegen Russland zu verhängen in der Lage war. Von solchen Sanktionen gegen Israel hat man bislang - aus ganz bestimmten Gründen - immer abgesehen, zur Gänze darauf verzichtet. So wären, speziell in diesem Fall, entsprechende Maßnahmen wie das Einfrieren von Vermögenswerten, Reisebeschränkungen, Wirtschaftssanktionen und Maßnahmen in Bezug auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit durchaus angebracht. Von solchen Überlegungen konnte man bis heute weder von Österreich noch von der Europäischen Union auch nur einen Satz vernehmen. Dass dieses Nichtstun, das Erstarren in Lethargie, die strategische Ratlosigkeit, der Europäischen Kommission, letztlich absolut berechtigt, vehemente Kritik einbringt, ist nachvollziehbar.

Angesichts als dessen klingt die Botschaft der österreichischen Europa-Ministerin Edtstadler in einem Kurier-Interview am 09.05.2021 ebenso hämisch wie krude zugleich: "Und wir brauchen jetzt wirklich die Bereitschaft, in der europäischen Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen. Wir sind in dieser Hinsicht noch nicht auf gleicher Augenhöhe mit den USA und China".

Chr. Brugger

15.05.2021