Akzeptabel oder inakzeptabel?

19.01.2021

Was für die einen alternativlos erscheint, ist für andere nicht mehr zu tolerieren. Die COVID-19 Maßnahmen der Bundesregierung, das andauernde "Hin und Her", haben letztlich dazu geführt, dass Wirtschaft, Schüler, Studenten, Pensionisten wie Erwerbstätige, Kulturschaffende & Arbeitslose etc., ziemlich verunsichert in die nähere Zukunft blicken müssen.

Niemand weiß oder kann wirklich sagen, wann Menschen die "neue Wirklichkeit" in Form einer möglichst pandemiebereinigten, stabilen gesundheitlichen, Planungssicherheit zulassenden, Form erleben können. Dieses "nicht-wissen-Können" gilt auch für alle Experten, beratenden Gremien, speziell für die verantwortlichen Politiker.

Die viel zitierte bzw. überstrapazierte "frühere Normalität" gibt es längst nicht mehr, sie ist Teil unserer Geschichte, der Vergangenheit.

Im Sommer werde jedenfalls "Normalität" einkehren, meint Bundeskanzler Kurz. Um welche "Normalität" es sich dabei handeln soll, sagt er hingegen nicht. In welcher "Normalität" leben die Menschen heute und was soll sich bis zum Sommer zum Besseren verändert haben?

Spricht man von "Normalität", wird reflexartig daran gedacht, dass es, im Gegensatz dazu, etwas geben muss, das nicht der undefinierten "Normalität" entspricht, das Abweichende, Anormale.

Das Abweichende ist dabei jedoch fast ausschließlich negativ konnotiert, wird mit "verrückt", "krank", "unmoralisch" oder eben "anormal" umschrieben.

Der entscheidende Fehler einer solchen Sichtweise ist allerdings darin zu sehen, dass man diese beiden Begriffe nicht hinterfragt, sie einfach als festgeschrieben annimmt bzw. voraussetzt.

Kurz & Co sollten aber (losgelöst von philosophischen Betrachtungen) zumindest zur Kenntnis nehmen, dass es die bis März 2020 bekannte "Normalität", wenn man so will, die "alte Wirklichkeit", längst nicht mehr gibt; all das ist bloß ein Relikt vergangener Tage. COVID-19 hat die sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Prozesse im privaten wie öffentlichen Leben bereits dermaßen und prägend verändert, dass jeder (Rück-) Blick auf das davor vorhanden Gewesene als naiv, sentimental und realitätsfremd bezeichnet werden muss.

Der Umgang mit den "Langzeitfolgen" der Corona-Pandemie wird uns in den nächsten Jahren dermaßen beschäftigen, dass wir für romantische Reminiszenzen aller Art keine Zeit mehr haben werden.

Auch die politisch Verantwortlichen sollten möglichst bald, wie bereits ein großer Teil der Bevölkerung, in der "neuen Normalität", der Realität, ankommen, nicht mit sinnentleerten Phrasen (z.B. Kurz: "Wir haben noch zwei bis drei harte Monate vor uns") die Menschen "zum Narren" halten oder mit "Durchhalteparolen", die an Hilflosigkeit nicht mehr zu überbieten sind, noch weiter verärgern (z.B. LH Haslauer: "Die Generallinie ist: Wir müssen über diesen Winter kommen").

Die COVID-19 Politik der vergangenen Monate ist, gepaart mit den vollkommen weltfremden Beiträgen einzelner, (ressort-) zuständiger, Politiker, mitverantwortlich dafür, dass von einer landesweiten zwischenmenschlichen Solidarität wenig (bis gar nichts mehr) verblieben ist. Die Bevölkerung hat an beschwichtigenden Statements kein Interesse mehr, verweigert, landauf landab, bereits unverhohlen den Gehorsam.

Die Gegner der vorgeschriebenen Maßnahmen formieren sich, der Widerstand wächst; immer häufiger werden Unmut, Verzweiflung und fehlende Perspektiven (in Folge fehlender Planungssicherheit) öffentlich zum Ausdruck gebracht.

Der bisherige Höhepunkt sichtbar gewordener Unzufriedenheit und Frustration wurde am vergangenen Wochenende bei einer Demonstration in Wien erreicht. Mehr als 10.000 Menschen haben dabei öffentlich kundgetan, was sie von den COVID-19 Maßnahmen der Bundesregierung halten. Größtenteils "unmaskiert" haben Sicherheitsabstände bei der "Querdenker-Demo" keine Rolle gespielt, Hygienemaßnahmen gab es nicht ... die Exekutive sah tatenlos zu, leistete willfährig lediglich Geleitschutz.

Dazu die Aussendung der Wiener Landespolizeidirektion:

Presseaussendung vom 16.01.2021, 11:28 Uhr

Versammlungen in Wien: Bilanz zum Polizeieinsatz

Vorfallszeit: 16.01.2021
Vorfallsort: Wien

Sachverhalt: Zu den am 16.01.2021 abgehaltenen Kundgebungen in Bezug auf die Corona-Maßnahmen zieht die Landespolizeidirektion Wien bis dato folgende Bilanz:
An den Kundgebungen beteiligten sich insgesamt ca 10.000 Personen. Nachdem sich der Demonstrationszug in Bewegung gesetzt hatte, dezimierte sich die Anzahl im Laufe des Marsches auf rund 6.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Route führte vom Heldenplatz und dem Maria-Theresien-Platz, den gesamten Ring entlang entgegen der Fahrtrichtung wieder zurück zu den beiden Ausgangspunkten, weshalb Teile des Rings kurzzeitig gesperrt wurden.
An der am Ballhausplatz abgehaltenen Gegendemonstration beteiligten sich ca. 500 Personen.
Auf der Marschroute am Ring kam es zu mehreren Blockaden im Bereich des Wiener Stadtparks, die durch das zügige Einschreiten der Polizei rasch aufgelöst werden konnten. Dabei wurde eine Person wegen des Verdachts des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen.
Zwei weitere Festnahme wurden im Bereich des Äußeren Burgtors und der Landespolizeidirektion Wien wegen des Verdachts des versuchten Wider-stands gegen die Staatsgewalt vollzogen.
Weiters erfolgten insgesamt 3 Festnahmen wegen des versuchten Wider-stands gegen die Staatsgewalt, 17 Festnahmen nach dem Verwaltungsstrafgesetz, 14 Anzeigen wegen strafrechtlicher und 296 Anzeigen wegen verwaltungsrechtlicher Delikte.
Mehrere Versuche von Vermummten, die Versammlung zu stören, wurden durch die Exekutive verhindert. Eine hohe Anzahl an eingesetzten Polizisten war erforderlich, um die angezeigte Versammlung zu schützen und ein Aufeinandertreffen der gegnerischen Demonstrationen zu verhindern. Insbesondere im Bereich des Dr.-Karl-Lueger-Platzes löste sich eine Gruppe aus dem
Demonstrationszug und begab sich in Richtung einer Sitzblockade der Gegendemonstranten. Durch das unverzügliche Handeln der Polizeikräfte, wurde eine physische Konfrontation der beiden Gruppierungen verhindert. Schlussendlich wurden weder Polizisten noch Demonstrationsteilnehmer verletzt.
Von einer Vielzahl der Versammlungsteilnehmer wurde der vorgeschriebene Mund-Nasenschutz nicht getragen. Da den zahlreichen Durchsagen der Polizei nicht Folge geleistet wurde, wurden diesbezüglich 242 Identitätsfeststellungen durchgeführt, bis dato 156 Anzeigen nach der COVID-19 Maßnahmenverordnung erstattet sowie 7 Organmandate eingehoben. Aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und polizeitaktischer Notwendigkeiten wurde die Großdemonstration nicht aufgelöst, sondern mit Anzeigen vorgegangen.
Bei der Abschlusskundgebung waren rund 4.000 Teilnehmer anwesend. Der Veranstalter erklärte die Kundgebung am Heldenplatz gegen 18:00 Uhr für beendet. Daraufhin erfolgte ein Abstrom, wobei einige Personen anschließend der Abschlusskundgebung am Maria-Theresien-Platz beiwohnten, die gegen 18:30 Uhr ihr Ende fand.
Durch die in der Einsatzplanung festgelegten Maßnahmen ist es der Wiener Polizei während des gesamten Einsatzes trotz angespannter Lage gelungen, eine Eskalation zu verhindern und das Zusammentreffen rivalisierender Gruppierungen zu vermeiden. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wurde sichergestellt und strafbaren Handlungen gegen Menschen oder fremdes Eigentum vorgebeugt.



Die in der Presseaussendung genannten Zahlen muss man mE insbesondere im Lichte der Aussagen des Innenministers Karl Nehammer sehen, der immer wieder (vor laufenden Kameras und anlässlich von Pressekonferenzen) betont hat, man werde gegen "COVID-19 Maßnahmen Verweigerer" konsequent, rigoros und mit aller Härte vorgehen.

Wenn dem so wäre, müssten im Zusammenhang mit der Veranstaltung bzw. dem Aufstand vom vergangenen Wochenende bereits tausende Verwaltungsstrafverfahren anhängig sein.

Handelt es sich um keinen Irrtum, dann werden wir, wohl oder übel, eine weitere Glanzleistung von Innenministerium, BVT und der Wiener Landespolizeidirektion zur Kenntnis nehmen müssen - heiße ministerielle Luft, sonst nichts, wie immer. Jetzt lässt Nehammer, wie immer, evaluieren; diese Aufgabe wurde dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, übertragen. Diese nehammerische Ankündigung kann man getrost als "gefährliche Drohung" werten ... wie immer wird nichts herauskommen. Viel Lärm um nichts; Nehammer stellt sich nach außen hin immer als "Hardliner" dar, intern scheint er aber weder über die notwendigen Kenntnisse, Informationen, eine ausreichenden Rückendeckung, verfügen, noch ist er, ganz offensichtlich, in der Lage, vorhandene, seit langem bekannte, Missstände abzustellen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Exekutive (aus welchen Gründen immer) zumindest "auf einem Auge" blind sein muss. Jedenfalls ist die laxe Handhabung bzw. Exekution bei offensichtlichen Verwaltungsstraftatbeständen unübersehbar.

Klar ist: Welche Gründe immer für den fragwürdigen "Polizeiansatz" am 16.02.2021 vorlagen oder genannt werden mögen, für die "COVID-19 Querdenker" werden sie jedenfalls zugleich Anlass und Aufforderung sein, bei der nächsten geplanten Demonstration am 30.01.2021 noch mehr "mobil" zu machen. Zu befürchten hat man ohnedies nichts, man kann ungeniert gegen alle COVID-19 Maßnahmen verstoßen; dies vor den "eingetrübten" Augen der Exekutive und in aller Öffentlichkeit.


Als geradezu "dummdreist" könnte man speziell zwei Aussagen des Wiener Landespolizeipräsidenten Pürstl bezeichnen:

  • "Wir müssen bei der Ahndung von Verwaltungsübertretungen besser werden."

Die Ahndung von Verwaltungsübertretungen ist eine der Kernaufgaben der Polizei und unumstrittener Bestandteil exekutiver Maßnahmen im Rahmen sicherheitspolizeilicher Tätigkeit (Art. 10 B-VG). Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz - COVID-19-MG), ist damit ganz eindeutig von den Sicherheitsbehörden zu vollziehen. Das sollte, an und für sich, jedem Exekutivbeamten bekannt und vertraut sein.

  • "Der Landespolizeipräsident verwies darauf, dass das Gesundheitsministerium die Abhaltung von Versammlungen ausdrücklich vom Covid-19-Maßnahmengesetz ausgenommen habe. Das Grundproblem liege darin, dass sehr viele Dinge verboten seien. So habe man strenge Ausgangsregelungen, man dürfe nur eine Person im Familienkreis treffen, es seien viele Veranstaltungen verboten, "aber der Gesundheitsminister hat ausdrücklich Versammlungen erlaubt". (zitiert aus: https://wien.orf.at/stories/3085165/)

Scheinbar hat Landespolizeipräsident Pürstl trotz einschlägigem Studium bis heute nicht verstanden, wie ein grundlegendes Prinzip in Österreich, die Gewaltenteilung, funktioniert. Neben der Gerichtsbarkeit gibt es, Gesetzgebung und Verwaltung. Dabei wird, vereinfacht erklärt, die "Legislative" von Parlament und Landtagen ausgeübt; der "Verwaltung", der Herr Pürstl angehört, ist die "vollziehende Gewalt", die u.a. zur Durchsetzung von Gesetzen und Verordnungen gesetzlich verpflichtet ist.

Verträte man die Ansicht von Pürstl, könnte (überspitzt formuliert) jeder Polizeibeamte seine Arbeit mit der Begründung verweigern, er müsse Gesetze oder Verordnungen vollziehen, die seiner Ansicht nach nicht sinnvoll sind. Eine solche Haltung wäre zwangsläufig mit dem Ende des Rechtsstaates gleichbedeutend.


Auf der Homepage des österreichischen Innenministeriums (https://www.bmi.gv.at/104/Beruf_und_Karriere/start.aspx) findet man ein wohlklingendes Zitat des römischen Philosophen, Dramatikers und Politikers Lucius Annaeus Seneca, das (nach Ansicht des Ministeriums) den höheren Zweck der ministeriellen Sicherheitsakademie umschreiben soll: "Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige."

Das gilt jedenfalls auch für Nehammer, Pürstl & Co.


Chr. Brugger

19.01.2021