02
am Basteln weiterer Verzweiflung
... momentan treffe ich besser die tiefen Töne, in den mittleren Lagen herrscht Ebbe, oben keine Flut, kein Dahinfliegen, kein Flow, wie man so schön sagt; dümpeln im dunklen Park, im Dunkel der Bäume, rechtschreibfehlerdurchzogen, unbekannt, unmenschlich für mich; nichts für mich, meine trüben Stunden, erhellt durch feine Strahlen aus Leid, gebündeltes Leid als Lichtquelle, Quelle der Inspiration, des letzten Aufbegehrens; zeitvergessen, zeitlos zur Zeit; vom Platz dieses Briefes aus sieht man nichts, außer ein paar Bäume, Wiesenblumen, verschwommen gelb, manchmal weiß, eine schlanke Birke; den Wind in ihren noch jungen Blättern habe ich vergessen; als Hintergrund kühles, helles, fast glanzloses Grau; Hass, Flugzeuge, Indizien für den Abschluss, eine Inflation der Weltkrisen in den Zeitungen des Tages; Badeunfälle, verloren gegangen Flugzeuge, in der Luft zerstört; eine geschminkte Reporterin im Kibbuz-Bunker; Glitzerkleid, Raketen am Himmel, funkeln in der Nacht, die Bühne der Geschehnisse ...
... Regentropfen, Hand in Hand mit den Tränen beider Augen; kann man nur aus den Augen weinen? ... nach kurzem Halt in den Ringen darunter, im blau-violetten Karussell, bis zum Kinn, sie fallen zu Boden, darauf, nähren den Boden mit Salz; Dünger, reinigender Ausfluss, gerötete Bindehäute, verschwommene Blicke durch kreisrunde Linsen; keine klare Sicht, vernebelt, verhüllt, verschleiert, ein Schleier ...
... unnützes Zeug aus einem erkrankten Gehirn, aufbewahrt in einem kopflosen Kopf, Beigaben für ein Chaos de Luxe ...
... heute habe ich von dir noch sehr wenig gespürt, fern, dennoch nah, unwirklich allemal, ein einsames Gefühl der Zweisamkeit, gedankliche Kälte, eine Isolation der ohnedies beschränkten Möglichkeiten; ein Nichts im Einkochglas, luftdicht, geräuscharm, in sich auf fünfhundert Milliliter, kein Raum zum Schimmeln, Außensicht durch drei Millimeter dickes Glas; eine schöne Aussicht aus dem Regal, ganz hinten auf die Gläser davor; nie geöffnet, verwoben von den Spinnen des Kellers; nur Staub trübt die Aussicht, feines Grau in reichlichem Ausmaß, aufgeschichtet für Jahre, die Jahresringe meines Alters, eingepfercht in eine abgedunkelte Kammer; vierundzwanzig Stufen, glaube ich mich zu erinnern, vielleicht auch mehr, unter dem irdenen Boden; gelagert, eingelagert für später, vermutlich - nein sicher - vergessen, unberührt jahrelang; wie alt man hier werden kann, eine Frage, keine Antwort erwartend; ab und an geht das Licht an, Schritte, ein fragendes Seufzen; man findet die Gläser, die richtigen, nicht mehr; zu viel Glas, zu viel Staub, zu viel Zeit, kein Licht, nicht einmal Schatten ...
... hier wird einem alles abgewöhnt, einfach alles, sogar die Lasten der Vergangenheit, die Untaten, das, wofür sich die anderen, die, die einem am nächsten sein sollten; sie schämen sich wegen dir; gereinigt von allen Sünden im Glauben, im Hoffen auf Absolution um dann wieder lieben zu können; der Glaube, die Hoffnung und dann - die Liebe; Glauben zu schenken, Hoffnung zu schüren, die Bedingungen um, selbst das ist nicht sicher, wieder geliebt werden zu können; die Vorstufe, in der Warteschleife hin zur Liebe von dritter Seite, von außen, von der Glauben und Hoffnung erwartenden Zukunft; um geliebt werden zu können hat man sich also der Reinigung zu unterziehen, mit günstiger Prognose, befreit von den Gelüsten, von dem was die anderen beschwert hat ...
... sie tragen und so schwer an deinen zahllosen Rückschlägen, den zahllosen Verletzungen, den gebrochenen Versprechungen; selbst war man zu schwach, ganz einfach zu sich, nicht stark genug zu genügen; Genügsamkeit für sie, genügen für mich, ein edler Versuch; am Stock des Grates befremdlicher Erwartung; je höher die Erwartung, umso höher die Quote des Scheiterns; gescheitert, in Erwartung der nächsten, der höheren Erwartung, um ein weiteres Scheitern unmöglich zu machen; einsichtig bemüht endlich entsprechend den Anschluss zu finden, in der Hoffnung ganz rasch jetzt zu scheitern; das gelernte Versagen erleichtert die Scham, die Scham der vom schamlos Erwartenden, der Scham vor den Freunden, Bekannten , Kollegen; man schämt sich für dich, tut das, was man von dir erwartet; die Erwartung enttäuscht, die Hoffnung dahin, der Glaube verloren, die Liebe entwichen; du liebst, um dich selbst vor den anderen zu schützen, im Wissen, die Liebe nicht erwidert zu erhalten; man sagt, wer liebt stünde auf festem Boden, wer geliebt werden will, hinge an einem seidenen Faden; hängend, schwimmend im Glas, die Liebe im Dunkel; man erwartet nicht Liebe, man erwartet ganz anderes; der Faden ist dünn, die Erwartungen schwer; kein Spiel der freien Kräfte, die Schwerkraft beginnt ihre Wirkung; auch hier, hier im Dunkel des Kellers ...
... zurzeit scheint die Sonne im Park in Gesicht, frische Wolken ziehen am Himmel entgegen; der Wind, er weht günstig, nur leider aus Westen; ich leide an dem, das mir fehlt, die Schrift zerrinnt in den Tropfen, den eigenen; so hältst du jetzt einen Teil von mir in Händen, zu wenig für dich, zu viel für mich; was mir gut tut, wird als schädigend, sich selbst zerstörend betrachtet; was mir das Ertragen so unerträglich macht, wird als idealer Zustand beschrieben; das eine will ich, darf ich nicht haben, obwohl es leicht möglich wäre; das, was ich nicht haben will, bekomme ich in großen Mengen, bin kaum in der Lage, es aufzunehmen, zu verdauen; der Riss ist zu breit, um beiden Seiten zu entsprechen, sie anzunähern, zu verinnerlichen; müsste ich mich entscheiden, ich wüsste wofür; warum zugunsten dessen, was man nicht will, auf das was man will zu verzichten; logisch im Widerspruch, undenkbar in Einklang zu bringen; lieber der Klang der Einsamkeit, als der Lärm des Alltäglichen; lieber Ikarus, mit der Gefahr abzustürzen, als die Einfalt des Üblichen; Übliches, Übel, übliches Übel; lieber ein harter Aufschlag, als viele Momente wie jetzt; lieber ein freudvolles Ende, als ein lustloses, lebloses Dahin; lieber ohne Ziel auf unzähligen Verwindungen, als ein klares Ende vor Augen; lieber das Risiko zu scheitern, als stetig von Normalität umgeben ...
... die Entscheidung fiele nicht schwer ...
... daneben beschäftige ich mich (mir ist bewusst, dich interessiert das nicht) mit dem philosophischen Essay "Der Mythos des Sisyphos" von Albert Camus, das Absurde und der Selbstmord; es gibt, demnach, nur ein einziges philosophisches Problem: den Selbstmord; sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht heißt, auf die Grundfrage der Philosophie antworten; auch darauf fiele die Antwort, stellte ich sie mir, würde sie vor mir aufgeworfen, deutlich aus ... man könnte dem Leben eine Chance geben, sich mir einem zu beschäftigen; das Leben an sich ist geduldig, ausdauernd, zäh genug, mich zu ertragen; insofern kann man dem Leben an sich keinen Vorwurf machen; es hat kein Interesse an seinem Dasein, hat eben dasselbe einem Zufall, einer Fügung oder Sonstigen zu verdanken; selbst gewollt existiert es nicht, ebenso wenig sein Dasein zeitlich begrenzt scheint; zumindest aus derzeitiger Sicht bzw. den Wissen über seine Vergangenheit; es ist so lange am Leben, dass sich niemand daran zu erinnern vermag, wann es einmal nicht gewesen sein soll; es hat Jahrtausende überlebt, unbeeinflusst, unbeeindruckt, stets mit derselben Intensität oder gleichbleibendem Desinteresse, konstanter Beharrlichkeit oder Neugier, allem, was man sich nur auszudenken vermag; es unterliegt keinerlei Veränderungen, ist immer dasselbe, kennt weder Tag noch Nacht, keine Gefühle ... eigentlich beneidenswert ... einem solchen Wunder kann man sich durchaus anvertrauen, entschwinden ist immer möglich, wiewohl das, für das Leben selbst, nichts änderte ...
... was gäbe ich für ein paar Stunden am Meer, Tavernen, Strand, Wasser, das verschwenderische Blau, Musik, das Klappern der Backgammonwürfel, ein paar fröhliche Sätze, wenn nicht gar Seiten, kühle Getränke, die ansteigende Stimmung, nur dazusitzen, die Gedanken im freien Lauf, zeitlos, schwerelos, befreit; die Szenerie erwartet nichts, erhofft nichts, es gibt nichts zu erfüllen, nur die eigenen Bedürfnisse, die eigene Erfüllung, Ruhe, nicht allein in der Nacht ...
... nur keine Tränen, eigenartige Gefühle, das anhaltende sich selbst Quälen, nur ein paar Stunden, nur ein paar Stunden, bitte ...
... so ende ich für heute ...
Juli 2014